Voodoo-Mann zu Gast beim Papst

Seit Weihnachten genießt der von den USA gejagte Ex-Diktator Noriega „temporäres Asyl“ in der päpstlichen Nuntiatur Panamas / Der Vatikan könnte Noriega an Panama ausliefern  ■  Aus Panama-Stadt R. Leonhard

„Bis hierher und nicht weiter“. Der Yankee im ausgewaschenen Tarnanzug winkt unmißverständlich mit seinem M-16-Gewehr und deutet auf den Stacheldrahtverhau. Die Apostolische Nuntiatur ist in einem Umkreis von 100 Metern hermetisch abgeriegelt und von Soldaten und Panzerfahrzeugen der Invasionsarmee belagert. Jeder, der in der näheren Umgebung zu tun hat, muß sich gegenüber den Soldaten der Besatzungsmacht ausweisen sowie Kofferraum und Handschuhfach durchsuchen lassen.

Die Avenida Balboa, die breite Uferstraße, ist schon einen Kilometer vor der belagerten Zone verbarrikadiert. Im Inneren der diplomatischen Mission des Vatikan hält sich seit dem Weihnachtsabend Manuel Antonio Noriega auf, der gestürzte Diktator von Panama. Der ehemalige Armeechef und CIA-Informant hatte rechtzeitig von der Invasion Wind bekommen und war untergetaucht, bevor die 24.000 Mann US -Truppen am 20. Dezember in Panama einfielen. Die Gefangennahme und Verschleppung Noriegas in die USA, wo er wegen Drogenvergehen abgeurteilt werden soll, waren die wichtigsten Ziele der Invasion. Deshalb scheute Präsident Bush keine Mühen und setzte eine Million Dollar auf den Kopf des Erzfeindes aus.

Nach den ersten Tagen heftiger Bombardements, die Tausende Tote hinterließen, Plünderungen der Geschäfte, Massenverhaftungen und Haus-für-Haus-Durchsuchungen nach Noriega-Freunden, ist in Panama-Stadt relative Ruhe eingekehrt. Verschanzt hinter olivgrünen Sandsäcken kauern an strategischen Straßenecken US-Soldaten, die mit ihren rußgeschwärzten Gesichtern und Laubattrappen auf dem Helm einem Vietnam-Film entsprungen zu sein scheinen.

Die Bevölkerung, die tagsüber wieder die Straßen füllt, begegnet den Fremden mehrheitlich eher mit scheuer Neugier als mit Empörung. „Sie haben für uns erledigt, was wir allein nicht fertigbrachten“, erklärt der Mittelschullehrer Joaquin Garrido: „Sie haben diesen Verrückten abgesetzt.“ Ab und zu hört man noch Schüsse in der Stadt oder penetrante Alarmsirenen auf den Militärjeeps lassen erkennen, daß irgendwo ein Widerstandsnest oder ein bewaffneter Noriega -Sympathisant aufgespürt wurden.

Über Lautsprecher machten die US-amerikanischen Invasoren am Sonntag klar, daß auch in der Silvesternacht die Ausgangssperre von 23 Uhr bis fünf Uhr früh gelten sollte. Das Zünden von Raketen oder Feuerwerkskörpern war verboten: „Es könnte zu Mißverständnissen führen. Die US-Armee wünscht ein frohes neues Jahr.“

Die Regierung unter Guillermo Endara, der bereits wenige Stunden nach Beginn der Invasion in der US-Basis Fort Clayton (auf eine englische Bibel) als neuer Präsident vereidigt worden war, hat inzwischen formal die Verwaltung übernommen. Der Wahlrat widerrief auf Druck der USA die Annullierung der Wahlen vom 7.Mai und erklärte Endara nachträglich zum Wahlsieger. Die Vizepräsidenten Ricardo Arias und Guillermo Ford übernahmen das Justiz- und das Innenministerium bzw. das Ministerium für Wirtschaftsplanung. Momentan gibt es allerdings nicht viel zu planen und was die Justiz betrifft, so ist die Regierung von der ersten Krise bereits überfordert.

Während ein Kommando der schnellen Einsatztruppe „Delta -Force“ sich bereithält, die Nuntiatur notfalls zu stürmen, sind Verhandlungen mit dem Vatikan über eine Auslieferung Noriegas in eine Sackgasse geraten. Papst Johannes Paul II hat erklärt, er würde den General nicht an die Okkupationsmacht ausliefern, politisches Asyl wolle er ihm aber auch nicht gewähren. Der unbequeme Besucher wurde daher zuerst zum „Gast“ der diplomatischen Mission erklärt und bekam schließlich „temporäres Asyl“. Ohne Genehmigung der USA kann der Flüchtling allerdings nicht ausgeflogen werden.

Der neue Generalstaatsanwalt Rogelio Cruz kündigte nun an, er wolle Noriega in Panama vor Gericht stellen, und zwar unter Mordanklage. Er wirft dem ehemaligen Armeechef, der in den von der neuen Regierung kontrollierten Medien als wahrer Gottseibeiuns dargestellt wird, vor, die Anführer des mißglückten Putsches vom 3. Oktober exekutiert zu haben. Guillermo Endara möchte das Problem allerdings genauso gelöst haben wie seinen Kampf um die Macht - nämlich durch die USA. „Ich hoffe, der Papst bringt uns nicht dadurch in Verlegenheit, daß er ihn uns ausliefert“, seufzte er am Silvestertag in die Mikrophone.

Der Belagerungsring um die Nuntiatur beweist, daß diplomatische Immunität und völkerrechtliche Konventionen die Interventionstruppen wenig kümmern. Mehrere Nächte lang übten die US-Truppen durch ohrenbetäubende Rockmusik vor dem Gebäude Psychoterror aus und kappten sogar zwei Telefonleitungen der päpstlichen Mission. Die Musik wurde schließlich auf Protest von Nuntius Sebastian Laboa eingestellt. Hätte Noriega in der Botschaft Nicaraguas oder Kubas Zuflucht gesucht, wie lange Zeit spekuliert wurde, dann hätten die Truppen den Ex-Diktator zweiffellos gewaltsam herausgeholt. Beide Missionen sind seit Tagen umstellt, und die Privatresidenz des nicaraguanischen Botschafters Antenor Ferrey wurde am Freitag durchwühlt. Zwei kubanische Diplomaten wurden vorübergehend festgenommen.

Die Kirche bemüht sich um eine einvernehmliche Lösung und versucht Noriega zur Aufgabe zu überreden. „Er wird jedenfalls nicht gewaltsam vor die Tür gesetzt“, stellte Erzbischof McGrath klar. Wenn der General aber stur bleibt und die USA nicht auf ihre Rache verzichten, dann kann der einstige Drogenzar und Anhänger des Voodoo-Kultes zu einem Dauergast des Heiligen Vaters werden. Eine Perspektive, die weder Noriega noch dem Papst große Freude machen dürfte.