Standbild: Talking Freak Radio

■ Talkshow III nach 9

(Talkshow III nach 9, Nord 3, Freitag, 22 Uhr) Was wir schon immer gewußt haben und allmählich nicht mehr hören können, bekamen wir am Freitag auf Nord 3 nochmal kräftig aufs Butterbrot geschmiert. Ein ganzer Haufen Medienfreaks versuchte, seine Wahrheit an den Mann zu bringen, seinen Wunderstoff zu verticken, sein Ego zu verkaufen. Wer dann doch nicht kam, war Rudolf Heß‘ Sohn, der gegenwärtig mit der Ansicht hausieren geht, sein Vater sei ermordet worden. Eingesprungen für ihn war Dagobert Lindlau, ein fetter Fernsehfuzzi, der versicherte, Ceausescu habe sowieso nichts mehr gerafft und die Dorfschleifung in Rumänien sei gar nicht so schlimm gewesen. Da bohrte der junge Schnösel von Interviewer gleich entrüstet nach, „der war doch ein Schwein“, und stippte Lindlau kritisch den Finger ins Gesicht. Der war aber ohnehin nur wegen der Erdnüsse gekommen und schaufelte sie sich handvollweise in den Mund.

Und dann gleich die Sensation. Ein Mann mit Decknamen Oertel und angeklebtem Bart nahm aufrecht Platz und stellte sich als Angehöriger der westlichen SED-Geheimarmee vor. Aus moralischen Bedenken ist er nach 15 Jahren augestiegen und erzählte nun von dreimonatigen Militärausbildungen am Scharmützelsee, von Einsatzszenarios und konspirativen Verbindungen. „Das mit Herrhausen hätten wir auch gekonnt“, fügte er mit aufgerissenen Augen an. Irre! Diese Kommunisten waren also echt böse und richtig gefährlich! Mein Papa weiß das schon lange und wählt deshalb auch die CDU. Ganz zwanglos schloß sich dann die Geschichte des Guillaume -Sohnes an, der von jenem Morgen erzählte, als Papi - der Meisterspion - im Morgenmantel verhaftet wurde, Mutti und Oma wurden auch weggeschleppt, und er blieb allein zu Haus zurück. So geht's halt manchmal im Leben. Vom Vater links überholt, siedelte er in die DDR über, findet sich nicht zurecht und geht zurück in den Westen - dies alles gleichmütig berichtet, ohne fette Message als Nachtisch, dankbarer Beifall für diesen Lichtblick. Dann war Ilse Middendorf dran, eine lustige 80jährige Dame mit Halswampe, die uns erklärte: „Der Atem geht mit uns durch das Leben“, und das gleich mal mit Übungen vertiefte. Schon mit elf Jahren spürte sie eine innere Stimme, sich um den Atem zu kümmern, empfindend zu werden und sich (und uns alle) leiblich zu erwecken, bis in die Fußsohlen. Eine Sache für taz-säzzer. Karl Dall fand das Gelaber „zum Teil ätzend“ und wollte eigentlich zu Problemen seiner Person Stellung nehmen, riß zwei matte Witze und sang von Laila, „nur die eine Nacht erwähle mich, küsse mich und quäle mich“. Doch zurück zu den drängenden Weltproblemen. Herr Drewermann, katholischer Priester aus Paderborn in blauer Strickjacke, verkündete im pastoralen Singsang: „Ich leide sehr darunter zu sehen, wieviele Menschen an der Kirche leiden.“ Er hat herausgefunden, daß die Kirche „ein totalitäres System ist, das uns alle neurotisch macht“. Gemein, nicht? Dagegen schreibt er nun mutig an, sein 30.Buch ist eine Interpretation des Märchens „Brüderchen und Schwesterchen“. Und auch Rudi Bahro wollte seine Weisheit loswerden. Eine „Orgie des falschen Bewußtseins“ attestierte er dem abendlichen Geplauder und brabbelte gleich fort vom „westlichen Wahnsystem und Verblendungszusammenhang mit der überwältigend herrschenden falschen Bewußtseinsstruktur“. Prima, daß wenigstens einer Bescheid weiß. Zurück zur Scholle und zu uns selbst und zum Tao und zum Ausschaltknopf des Fernsehers.

Olga O'Groschen