Nur Honecker ist's gewesen...

■ Zur Festnahme des ehemaligen SED-Chefs

Das Strickmuster ist einfach und vor allem in Deutschland bekannt. Selbstentlastung heißt das miese Stück, das derzeit von der DDR-Justiz gespielt wird. Die Festnahme des todkranken Erich Honecker ist nur der sinnfälligste Ausdruck dieses Prinzips. Fast alle haben sie mitgemacht, jahrzehntelang, und jetzt soll mit wenigen exemplarischen Strafaktionen 40 Jahre DDR-Geschichte aufgearbeitet werden. Da fällt einem sofort die Entnazifizierung nach 45 ein. Was jetzt in der DDR geschieht, hat mit der Aufarbeitung stalinistischer Geschichte nichts zu tun. Statt dessen wird Geschichte vernichtet, sind die Verhaftungen opportunistische, gefährliche Zugeständnisse an den Volkszorn und zugleich Entlastung: Strafaktion gegen wenige

-und der Rest macht weiter. Mit Rechtsstaat hat das auch nichts zu tun. Gefragt werden muß darüber hinaus: mit welchem Recht da eigentlich welche Justiz zur Tat schreitet. Niemand im DDR-Staatsapparat ist frei von eigener Verstrickung, also auch kein Richter und kein Staatsanwalt.

Der Vorwurf, mit dem sich Honecker heute konfrontiert sieht - Hochverrat -, ist dem politischen Strafrecht zuzuordnen. Und nach welchem politischen Strafrecht soll er eigentlich verurteilt werden? Legt man auch nur minimale rechtsstaatliche Kriterien an, dann kann sich ein Prozeß nur auf das damals geltende Recht und eventuelle Verstöße dagegen stützen. Erinnert werden muß in diesem Zusammenhang an die Führungsrolle der Partei, die zu Honeckers Amtszeit im Artikel 1 der DDR-Verfassung festgeschrieben war. Zu fragen ist doch, ob dieser Verfassungsartikel nicht alles deckt, was ihm juristisch vorzuwerfen wäre? Fragwürdig ist darüber hinaus die Eile, mit der der Haftbefehl am Montag vollstreckt wurde, bevor seine Haftfähigkeit - die von den ihn behandelnden Ärzten der Charite gutachterlich verneint wird - von der Staatsanwaltschaft überhaupt überprüft wurde.

Alles deutet darauf hin, daß Honeckers Festnahme, aber auch die Inhaftierung eines Großteils des alten Politbüros, nach demselben Muster wie die bloß administrative Entnazifizierung erfolgt, mit ähnlich fatalen Folgen: der Unfähigkeit der DDR-Gesellschaft, mit ihrer eigenen Geschichte zu leben, sie wirklich aufzuarbeiten und Trauerarbeit zu leisten. Das wäre die Voraussetzung die einzige Möglichkeit einer gesellschaftlichen Aussöhnung mit vierzig Jahren DDR-Geschichte.

Max Thomas Mehr