„Der Schatten von '36 wirkt nicht mehr“

■ Im taz-Streitgespräch über Olympia 2000/2004: Manfred von Richthofen, Vorsitzender des Landessportbunds, und Hans-Jürgen „Kola“ Kuhn, Sport-Staatssekretär des rot-grünen Senats

Der eine ist grüner Lehrer, aktiver Skateboarder, Sport -Staatssekretär und gilt als schönster Mann der AL/SPD -Koalition. Der andere ist CDU-Mitglied, Enkel des legendären WeltkriegI-Fliegers „Roter Baron“, Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees, Vorsitzender des Landessportbundes und gilt als äußerst karrierebewußt. Zwischen Hans-Jürgen „Kola“ Kuhn und Manfred von Richthofen müßten auch ohne Ämter und Weltanschauungen die Konflikte vorgezeichnet sein. Doch der ganz große Knall blieb bisher aus. Schließlich ist der Sport weitgehend fest in Verbandshand, und der staatliche Einfluß ist gering. Außerdem hat Kuhn Schwierigkeiten, seinen Parteifreunden und der Öffentlichkeit klarzumachen, was grüne Sportpolitik denn sein soll. Sackhüpfen ganz in Jute? Aneinander gerieten Kuhn und Richthofen allerdings in der Frage der Avusrennen und des Motorbootsports. Den elitären Sportarten und Profi -Großveranstaltungen möchte Kuhn gern den Senats-Geldhahn etwas mehr zudrehen sowie nichtorganisierten Sportlern mehr Zugang zu den Sportstätten verschaffen. Bei Olympia 2000/2004 stehen beide auf einer Seite. Wie weit sie trotzdem auseinander stehen erfragten Hans-Hermann Kotte und Jürgen Schulz.

taz: Herr von Richthofen, ist Ihnen die Vision Olympia 2000/2004 jetzt beigesprungen und hat den alternativen Staatssekretär eingereiht in die Phalanx der demokratischen Olympioniken? Ist der jetzt eingebunden, haben Sie ihn im Sack?

Richthofen: Ich hab den ja gar nicht eingebunden. Das kann doch höchstens der Senat. Allerdings wird der Staatsekretär im Rahmen der Vorbereitung wohl das tun müssen, was der Senat beschließt. Schön, daß der rot-grüne Senat sich für die Olympische Idee begeistert hat - aber in den nächsten Monaten werden dann auch eine Reihe praktischer Konsequenzen sichtbar werden müssen.

Kuhn: Wenn wir da jetzt mal intensiver in die Konsequenzen einsteigen, die das Reden über Olympia hat, dann werden die Differenzen schnell klar. Um es zuzuspitzen: Ich kann mir gut vorstellen, daß aus dem Blickwinkel von Herrn Richthofen nichts dringlicher ist, als dem Senat die Olympia-Planung so schnell wie möglich abzunehmen und sie in die Hände der Wirtschaft zu legen. Ihnen geht das doch zu langsam, wenn wir nicht pauschal ja sagen, sondern erstmal kritisch prüfen und die Umweltverträglichkeit und die Stadtentwicklungsplanung mit einbeziehen. Wir wollen das Ding kleiner machen, nicht so prunkvoll, bescheidener. Da bringen die Sportverbände bisher eher größere Wünsche mit. Die wollen eine ganze Menge mehr gebaut haben als das Notwendige. Da werden wir an die Schmerzgrenze kommen.

Richthofen: Natürlich sind wir der Auffassung, daß mit der Gründung der Olympia-GmbH im Sommer ganz erheblich die Wirtschaft einsteigen muß, sonst fehlt nämlich das Geld. Die GmbH soll sich selbst finanzieren, das wird der Senat nicht können. Also sind wir alle auf die Wirtschaft angewiesen. Es hat bis jetzt überhaupt noch keine Spiele gegeben, wo die Wirtschaft nicht sofort mit eingestiegen ist. Gegen eine Machbarkeitsstudie haben wir nichts, denn wir müssen ja die Möglichkeiten des Ostens miteinbeziehen, um zu sagen was machen wir hier und was da. Wo ist was besser für die Umwelt. Aber der Osten will natürlich nicht nur die Brosamen, sondern verspricht sich auch Auftrieb für die Bereiche Bau und Verkehr.

Hier deuten sich zwei völlig verschiedene Spiele an. Sie plädieren eher für den Gigantismus und Herr Kuhn...

Richthofen: Nein, davon habe ich nie gesprochen.

Aber Olympische Spiele sind immer Gigantismus...

Richthofen:Das sagen Sie!

Aber die Vorstellungen der AL, kleine Einheiten, Selbstbestimmung, Übersichtlichkeit, die bedeuten doch eine ökologische Ausrichtung. Läßt sich sowas überhaupt mit Olympia vereinbaren?

Richthofen:Man wird das ja zum Glück nicht mit der AL vereinbaren müssen, sondern mit dem Senat; das NOK wird das mit dem Senat klären. Das NOK und IOC machen ganz klare Vorgaben über die Größe von Sportstätten und das Fassungsvermögen für Zuschauer. Denen ist zwar egal ob achteckig oder dreieckig, ob eher breit oder eher hoch. Aber um die Vorgaben kommt der Senat nicht drumherum, sonst braucht er sich gar nicht erst zu bewerben. Wir wollen diese Vorgaben in möglichst vertretbarer Weise umsetzen. Es muß aber eben wohl das gemacht werden, was das IOC vorschreibt.

Kuhn: Aber die Ängste in der Stadt sind ja gerade deshalb da, weil man weiß, daß die Spiele abheben und zum Selbstläufer werden können. Da sind doch ernstzunehmende Befürchtungen da, daß Stadt- und Bauplanung dann nicht mehr von der Stadtregierung bestimmt werden, sondern von einem allmächtigen Organisationskomitee. Diese Fragen können nicht einfach mit dem Hinweis auf die Vorgaben des IOC beantwortet werden. Wir werden aus eigener Initiative abspecken müssen. Zum Beispiel gibt es keinen Zwang, daß olympische Schwimmwettbewerbe unter dem Dach stattfinden müssen. Wir können also durchaus das alte Schwimmstadion nehmen - unter freiem Himmel. Ich könnte noch mehr Punkte nennen, wo es Spielraum zwischen Notwendigem und Wünschenswertem gibt, der ausgeschöpft werden kann. In der Vergangenheit haben sich bei Olympia immer die mit den vielen Wünschen durchgesetzt. Darunter wollen wir einen Schlußstrich ziehen.

Richthofen: Beim Notwendigen werden Sie uns an Ihrer Seite haben.

Kuhn: Wir wollen die Chance nutzen, hier in Berlin die Sinnkrise des olympischen Sports ein stückweit zu beheben. Hier soll etwas anderes stattfinden, angefangen bei der Frage, ob dem Vor- und Beiprogramm und der Eröffnungsfeier ein anderer, besonderer Stempel aufgedrückt werden kann. Es macht für mich einen großen Reiz aus, mir die 4-Millionen -Stadt Berlin als Austragungsort vorzustellen. Einen Abklatsch von dem, was wir in den letzten 8 oder 12 Jahren erlebt haben, wird es nicht geben.

Da sind Sie aber sehr optimistisch, was die Entwicklungen von Olympia angeht. Wir denken da an die Kommerzialisierung, den Hochleistungswahn und das Doping.

Kuhn: Ich habe die Hoffnung, daß sich das beeinflussen läßt...

Olympische Spiele mit Katalysator?

...daß auch die Situation Berlins so Einfluß auf die Olympiade nehmen kann, daß sie ein anderes Gesicht bekommt. Ob das aber so wird, kann man jetzt nicht sagen. Außerdem ist das Risiko zu bedenken, daß wir jetzt Spiele planen, die dann vielleicht eine ganz andere Stadtregierung umsetzt. Ich habe dennoch die Hoffnung, daß der Ursprungsgedanke Olympias hier wieder mehr Fuß fassen kann. Nicht ständig neue Disziplinen, keine weitere Verlängerung der Spiele, weniger Prunk.

Richthofen: Hier muß ich ein, zwei Dinge mal ganz klar sagen: Wie die Eröffnungsveranstaltung durchgeführt wird, ist nicht Sache des Senats, sondern des Organisationskomitees und des IOC; wieviel Disziplinen zugelassen sind, entscheidet ebenfalls das IOC. Hier sollten keine Phantomvorstellungen aufgebaut werden. Zwar gibt es Reformbestrebungen auch im IOC, aber die Vorgaben kommen eben allein von dort - und nicht vom Senat von Berlin.

Kuhn: Nein, nein. Es ist doch aber die Frage, ob nicht eine Stadt die sich bewirbt, nicht auch ein Konzept vorlegen kann, das die Mauern von 1936 nicht als angemessenen Ort betrachtet für eine Eröffnung. In dem steht: wir wollen keine Eröffnungsfeier im Stadion von 1936, sondern wir wollen die Eröffnung im Ost-Teil oder zwischen Alex und Siegessäule. Das kann durchaus in einem Konzept stehen, das man dem IOC vorlegt und dessen Details dann ausgehandelt werden müssen. Da sollte Berlin mutig genug sein.

Richthofen: Natürlich können 'zig Vorschläge über die Form der Eröffnung diskutiert werden. Aber da redet eben nicht nur das nationale Organisationskomitee mit, sondern auch das IOC. Es gibt da durchaus Erfahrungen. Beispielsweise München, wo die starre Aufmarschiererei ja bekanntlich schon abgeschafft wurde.

Wird es denn auch sportlich zu einer Art Abrüstung kommen, etwa beim Doping?

Richthofen: Die Dopingkontrollen beim Training und während der Wettbewerbe bestimmen alleine die Sportorganisationen, unabhängig von irgendwelchen staatlichen Instanzen.

Und der Hochleistungsgedanke? Wenn man davon mehr und mehr abkäme, würden Olympische Spiele dann nicht obsolet? Dann könnte man doch gleich so etwas machen wie einen gigantische Abnahme des deutschen Sportabzeichens...

Richthofen: Das glaube ich nun wirklich nicht. Olympische Spiele werden immer im Hochleistungsbereich angesiedelt sein. Da werden immer die weltbesten Athleten an den Start gehen. Die Überlegungen gehen ja in Richtung einer Zulassung auch von Profisportlern auch in den Bereichen, wo sie bisher noch nicht zugelassen waren. Tennis und Fußball sind die ersten Beispiele, demnächst werden wohl auch im Eishockey und Basketball die Profis starten dürfen. Nur bei den Boxern gibt es noch ernsthafte Widerstände.

Welchen Sinn haben denn Olympische Spiele in Berlin überhaupt in Ihren Augen?

Kuhn: Ein Argument, das dafür sprechen könnte sind die Impulse für die Stadt- und Regionalplanung. Spiele setzen eine bestimmte Infrastruktur voraus. Die sollte man so entwickeln, daß sie der Bevölkerung über das Großereignis der Wettkämpfe hinaus etwas einbringt. Ich denke an den öffentlichen Nahverkehr, den Wohnungsbau - auch den Hotelneubau. Das kann ein zusätzlicher Impuls von drei bis vier Milliarden Mark sein, die dann hierher kommen. Probleme sehe ich beim Sportstättenbau. Hier muß darauf geachtet werden, daß das, was gebaut wird, auch nachher nutzbar ist. Wir wollen keine Überkapazitäten und keine untragbaren Folgekosten. Hier muß man auch an den eventuellen Rückbau von Sportanlagen denken. Das ist der entscheidende Punkt beim Ausbau und Neubau der Sportstätten.

Ist das überhaupt machbar mit der AL? In der Hasenheide sollte doch auch mal eine Sporthalle gebaut werden - da ging das Geschrei doch schon los...

Richthofen:Das war ja sogar nur ein Freizeitzentrum des Turnerbundes, offen für die breite Bevölkerung.

Kuhn: Es war trotzdem eine unsinnige Standortwahl. Auch bei Olympia wird in die Hasenheide mit Sicherheit keine Halle reingebaut.

Also keine weitere Versiegelung von Grünflächen?

Richthofen: Also was das olympische Dorf angeht, erwarte ich in der Bevölkerung eher Zustimmung, bei der katastrophalen Wohnsituation. Hier haben Los Angeles und auch Seoul gezeigt, daß das olympische Viertel vor und nach den Spielen genutzt werden kann.

Kuhn: Ich sehe zwei andere Problem-Ebenen, bei denen noch unsicher ist, ob sie in den Griff zu kriegen sind. Bei vielen in der Stadt besteht die Sorge, daß Olympische Spiele höhere Mieten und Lebenshaltungskosten nach sich ziehen, ganz zu schweigen davon, daß viele Menschen die Spiele gar nicht zu Gesicht kriegen werden. Die Furcht vor Preiserhöhungen - und zwar nicht nur für die 16 olympischen Tage, sondern auf Dauer - ist berechtigt. Das gilt es in jedem Fall zu verhindern. Die zweite Problem-Ebene: Wird die Annäherung der beiden deutschen Staaten oder ihr Zusammenschluß im Ausland nicht schon in wenigen Jahren schon wieder eher Ängste mobilisieren? Die Bereitschaft, Spiele nach Berlin zu geben könnte dann schnell geringer werden, weil hier Erinnerungen an 1936 wachgerufen werden. Durch einen entgegengesetzten „Olympischen Geist“ könnte gegengesteuert werden. (Kola, du angeblich schönster Staatssekretär: Wo bleibt die Antwort zu der Frage nach den versiegelten Grünflächen? Wird peinlich, was? Wohl doch 2.000 Parkplätze auf dem Kleingartengelände am Poststadion? Gruß d. S.in.)

Richthofen:Also ich denke, daß man bei einer vernünftigen Planung alle - ich sage alle - Sportstätten später auch wieder sinnvoll nutzen kann. Die meisten Hallen sind ja Trainingshallen. Das entspräche genau unserem Fehlbedarf, insbesondere dem im Osten. Denn dort, so habe ich mir sagen lassen, ist keine einzige Sportstätte bisher Olympia -gerecht. Den politischen Aspekt sehe ich natürlich auch. Daß es im Ausland nicht nur Freude über eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten gibt, ist klar. Aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die meinen, daß der Schatten von 1936 am Anfang des nächsten Jahrhunderts noch wesentlich wirken wird. Ich halte eher für problematisch, daß die Olympischen Spiele als äußeres Zeichen der kommenden wirtschaftlichen Großmacht gewertet werden könnten. Nach dem Motto: Seht, was wir für tüchtige Kerle sind. Hier müssen wie die bisher einmalige Möglichkeit von Ost-West-Spielen herausstellen.

Muß aber nicht an die 36er-Spiele erinnert werden?

Richthofen: Wir haben hier in Berlin vom NOK aus ein Treffen der alten Teilnehmer der 36er-Olympiade gemacht, durchaus gegen Widerstände im Vorfeld. In diesem Rahmen wurde die heutige Jesse-Owens-Allee dem Gedächtnis an diesen großen Sportler der 36er-Spiele gewidmet. Wir haben zu diesem Treffen ganz bewußt auch unter den Nazis verfolgte Athleten und Athletinnen eingeladen.

Kuhn: Ein veränderter „Olympischer Geist“ für 2000 oder 2004 schließt die Auseinandersetzung mit 1936 in jedem Falle ein. Zu überlegen wäre dann, ob es dann noch zu vertreten ist, daß eine Straße „Reichssportfeld-Straße“ heißen darf. Es muß auch Formen der Auseindersetzung mit den Bauten und auch den Skulpturen auf dem Olympia-Gelände von 1936 geben. Wir werden mit dem allzu Großartigen, das in dieser Architektur steckt und das die Nazis für ihre Zeremonien ausnutzten, umgehen müssen.