Wieviel ist ein Papier wert?

■ Die Grünen formulieren Klartext zur Deutschlandpolitik - und glauben selbst nicht dran

Nach wochenlangem Gezerre zwischen Parteivorstand und Bundestagsfraktion hat das höchste Gremium der Grünen zu einer deutschlandpolitischen Position gefunden, in der sich die Partei weiterhin als einzige Opposition gegen die Anschlußpolitik der Bundesregierung und Altparteien präsentiert. Eindeutig hat man sich für das Fortbestehen zweier deutscher Staaten ausgesprochen - wenn denn das so gemeint ist, wie es auf dem Papier steht, und wenn den Beschluß alle mittragen. Daran aber muß bereits jetzt gezweifelt werden. Man könnte das abgrundtiefe Mißtrauen zwischen den Lagern einfach als Pawlowschen Reflex zu lange eingeübter Strömungsdifferenzen übergehen, wenn jene, die sich als Linke in der Partei begreifen, keinen Pfifferling auf den Beschluß geben. Sie, die sich in der Abstimmung teilweise bei der Alternative Konföderation oder Föderation

-also der Entscheidung zwischen Zweistaatlichkeit oder verkapptem Anschluß - der Stimme enthielten, um letzterer und damit „entlarvender“ Position „nicht im Weg zu stehen“ und somit die „Rechtsentwicklung „der Partei zu dokumentieren, müssen sich fragen, wie sinnvoll ein solches Verhalten ist. Man könnte auch meinen, damit werde jeder Anspruch aufgegeben, Politik in den Grünen gestalten zu wollen.

Die Parteilinke wird es schwer haben, den Unterschied zwischen der von ihr geforderten „strikten Zweistaatlichkeit“ und der jetzt beschlossenen Position der Konföderation „zweier selbständiger Staaten“ klarzumachen. Das wird sie leicht in die Rolle der grundlos maulenden Minderheit bringen. Erklärbar werden ihr Verhalten und ihre Befürchtungen erst aus der Erfahrung in der Partei: tatsächlich glaubt kaum jemand an das, was dort am Wochenende in Wittgenstein formuliert wurde.

Den einen ist es lediglich „Auffanglinie“ gegen „Schlimmeres“, gegen die Erosion der Zweistaatlichkeit. Die Realos machen andererseits keinen Hehl daraus, daß sie die jetzt gefundene Formulierung als „Durchgangsstation“ auf dem Weg zur klaren Bejahung der deutschen Vereinigung sehen. Sie wähnen dabei die historische Entwicklung auf ihrer Seite. Beide Haltungen haben nur ein Ergebnis: das Papier wird entwertet, bevor es richtig auf dem Markt ist. Zu befürchten ist deshalb, daß auch künftig jede Gelegenheit genutzt wird, die gerade gefundene Klarheit wieder zu revidieren. Mit solcher Flatterei ist aber weder die anschlußwillige Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung zu gewinnen - noch die Menschen zu halten, die aus vielfältigen Gründen gegen eine Vereinigung sind.

Gerd Nowakowski