US-Senator will „Dritte Null-Lösung“

In den USA verschärft sich die Debatte um Atomwaffen in Westeuropa / Der demokratische Senator Kerr: Die Beibehaltung der „Flexible-Response„-Strategie ist „anachronistisch“  ■  Von Andreas Zumach

Berlin (taz) - Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in Osteuropa verschärft sich in den USA die Debatte um die Rolle amerikanischer Atomwaffen in Westeuropa und deren beabsichtige „Modernisierung“. Dazu beigetragen haben auch die einseitigen Abrüstungsschritte des Warschauer Vertrages sowie die sich abzeichnenden konventionellen Rüstungskontrollabkommen.

In einer außenpolitischen Grundsatzrede vor dem Senat forderte der demokratische Senator John Kerr am Dienstag in Washington Präsident Bush auf, „sofort“ West-Ost -Verhandlungen über den völligen Abzug bodenstationierter Atomwaffen aus Europa zu beginnen.

Bislang hatten die Mitglieder von Senat und Abgeordnetenhaus einhellig die von der Nato im Mai 1989 auf Vorschlag von Präsident Bush beschlossene Linie unterstützt, Verhandlungen über atomare Artillerie und Kurzstreckenraketen bis 500 Kilometer Reichweite erst nach begonnener Umsetzung eines ersten Wiener konventionellen Abrüstungsvertrages aufzunehmen. Wegen der nach wie vor als unverzichtbar geltenden Funktion dieser Waffen im Rahmen der Nato-Strategie der „Flexiblen Antwort“ ist das westliche Militärbündnis bislang nur bereit zu ihrer Reduzierung auf ein niedrigeres Niveau, nicht aber zur völligen Abschaffung.

Kerr, Mitglied des außenpolitischen Senatsausschusses, erklärte, die Beibehaltung dieser von der Nato einst als „Ausgleich“ für überlegene konventionelle Streitkräfte der UDSSR in Westeuropa stationierten Waffen sei zunehmend „anachronistisch“.

Seine ausdrückliche Forderung nach einer „dritten Null -Lösung“, die rund 4.000 US-Atomwaffen in Westeuropa und rund 7.000 sowjetische in Osteuropa betreffen würde, begründete Kerr auch damit, daß ohne eine völlige Beseitigung dieser Waffenkategorie bis zu 50.000 Soldaten aus sowjetischen Atomwaffeneinheiten auf Dauer in den osteuropäischen Stationierungsländern verbleiben würden. Kerr sprach sich allerdings für die weitere Stationierung von mit Atomwaffen ausgerüsteten Flugzeugen in Westeuropa aus. Bei Anhörungen vor beiden Häusern des Kongresses hatte in der vorletzten Woche der Nato-Oberkommandierende General Galvin die fortgesetzte Stationierung von atomarer Artillerie und Kurzstreckenraketen in Westeuropa für „unverzichtbar“ erklärt und die weitere planmäßige Umsetzung der „Modernisierung“ dieser Waffen gefordert. Wie vor ihm schon andere Kongreßmitglieder aus den Streitkräfteausschüssen beider Häuser zeigte sich auch Senator Kerr überzeugt, daß der Kongreß die von Präsident Bush im Haushaltsentwurf 1991 verlangten Gelder für die „Modernisierung“ überhaupt nicht oder nur unter von der Administration nicht erfüllbaren Vorbedingungen bewilligen wird.

Daß die Bush-Administration der „Modernisierung“ nach wie vor allerhöchste Priorität einräumt, zeigt folgender Vorgang: Im Rahmen der administrationsinternen Vorberatungen zu Bushs im Januar vorgelegten Haushaltsentwurf hatte die US -Armee bereits auf neue atomare 155-Millimeter Artilleriegranaten verzichtet, die nach bislang gültigen Planungen ab Januar 1991 in der Bundesrepublik stationiert werden sollen. Der Grund: Wegen der Schließung mehrer Atomwaffenfabriken aus Umweltschutzgründen - vor allem der Anlage in Rocky Flats, wo bombenfähiges Plutonium für die Verwendung in Sprengköpfen zubereitet sowie Zündeinrichtungen hergestellt wurden - herrscht in den USA akuter Mangel an Atomsprengköpfen.

Die drei Teil-Streitkräfte einigten sich, daß die neue U -Boot-Rakete Trident II und andere strategische Waffen höhere Priorität haben als atomare Artillerie. Doch der Nationale Sicherheitsrat beschloß gegen diese Entscheidung, daß die Mittelforderungen für die Artillerie in voller Höhe in den Haushaltsentwurf kommen.