(ESS)KULTUR FÜR ALLE

■ Nachschlag zur Republikpalastbesetzung

Der Palast der Republik wird besetzt, wußten zumindest westliche Agenturen seit ein paar Tagen. Hier war der Aufruf der „Initativgruppe 4.11.“, der Initiatorin der großen Demonstration vom 4. November auf dem Alexanderplatz, erschienen: „Wir machen aus dem Palast ein kulturelles Zentrum.“ Die Ostkrämer, die seit einiger Zeit aus dem Haus des Volkes eine „Räuberhöhle“ (Markus, 11, 17) machen und mit Pelz, Ohranhängern und Klamotten schacherten, waren überrascht: „Ich muß sagen, daß hier ein absolutes Chaos herrscht. Als wir hier um zwölf Uhr angekommen waren, war der Palast der Republik besetzt. Wir wurden davon nicht informiert. Das stand ja in 'ner westlichen Zeitung und nicht in 'ner Berliner.“ Die Veranstalter des Familiennachmittags mit „dit und dat und Modenschau“ hätten sie ja auch darauf hinweisen können, meint eine Händlerin. Aber „die ham gestern nur 'ne große Klappe gehabt, weil wir unsere Stände mit Tischen usw. aufgebaut hatten. Und das ist immer noch wie vorm halben Jahr. Da gibt es eben Leute, die glauben, die sind verantwortlich - die tragen den Kopf hoch, aber haben keine Ahnung. Aber es gibt auch sehr nette.“

Freie Gruppen, die um ihre Räume bangen beziehungsweise noch gar keine haben, und „eigentlich immer nur verarscht wurden“, so ein Organisator, erklären: „Wenn's um Kultur geht, ist nicht nur Eßkultur gemeint...“ Und sie besetzen, so die Plakate, für die Kunst, für die Feuerschlucker, für freien Eintritt, für Jazzer, Türken, Väter, Tänzer, Polen, Neger, Europa; gegen rechte Parteien, gegen Kunstverkauf und gegen vieles.“ Der Palast der Republik, so verkünden sie, soll ein Haus neuer Erlebnisräume, kurz ein Palast des Volkes werden.

Ab Mittag gab es vor allem, eigentlich nur im Foyer, das sich die „Besetzer“ mit dem relativ ungestört weiter laufendem Normalbetrieb teilten, ein „buntes Programm“ Pantomimen, Kinderspäße, Punkrockgruppen, Kabarett, Stände vom Wahlbündnis 90, Flugblattverteiler der Grünen, Nelken, Vereinigten Linken und - viel Medienrummel.

„Das ist so 'ne Sache, aber eigentlich ist das 'ne ganz tolle Aktion heute“, meinte die Frau an der Bar. Bloß diese Gruppe hier, „die ein paar Meter weiter mit Sambaklängen lärmt“, die finde ich etwas unhöflich. Die ham ja auch schon die Modenschau gestört“. Die hatten angefangen „auszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel“ (Markus, 11, 15).

Ein Politaktivist sah das anders. Angewidert von der Modenschau, ereiferte er sich: „Die spielen da das Lied 'Hurricane‘ von Bob Dylan und machen dazu 'ne Ledermodenschau... Die wissen überhaupt nicht, was das Lied bedeutet. Der Mann saß im Gefängnis!!“ Eine Sambaquelle zog vorbei, und unter Hammer und Sichel vor der braun spiegelnden Wand lärmten Ostpunker, „Noah“ hieß eine Band und sang „Hilf Deiner Polizei und schlag dir selber in die Fresse“ - ein Song gegen Reps. Sie spielten Stücke zur Verbesserung des Humanismus. DDR-Punktthemen unterscheiden sich eigentlich in nichts von denen westlicher Liedermacher: Man ist gegen den Faschismus, gegen Ausländerfeindlichkeit, für Frauen, wirbt um Verständnis für Schwule, und dann darf die bürgerliche „Liebe“ sich auch schon mal auf vermeintlich anarchistischen „Trieben“ reimen. Der Sänger einer anderen Punkkapelle fragte sich, warum er geboren sei. Einsam stand am Rande ein vermummter Autonomer.

Der Manager einer der „besetzenden“ Künstler berichtete für den Rias und hatte schon Tage zuvor angekündigt, daß der eigentliche Höhepunkt des Ganzen um 17 Uhr stattfinden sollte. Was er meinte, war ein kulturpolitisches Hearing, an dem so ungefähr alle Parteien teilnahmen, die nach der Wahl weniger als fünf Prozent der Wählerstimmen kriegen werden: die Nelken, das Bündnis 90, die DBP, Vereinigte Linke, die PDS, die mit einer Stunde Verspätung und Herr Schorlemmer von der SPD, der als Privatmann gekommen war, hatte es seine Partei doch nicht für nötig befunden, jemand zu delegieren. Man erging sich mehr oder minder in Gemeinplätzen, war sich allerdings darüber einig, daß zur Kultur auch die Eßkultur Gemüse gegen das „verschweinte“ (Schorlemmer) Mahl - gehören würde. Herr Bohr von der Bauernpartei dachte an eine freiwillige Pflicht der Betriebe, Kulturelles auch weiterhin zu unterstützen, Wolfgang Templin von der Initiative Frieden und Menschenrechte, forderte Essen, Trinken, Vergnügen, kurz „Brecht statt Markt“, seine Kollegin Irene Runge, die einzige Frau auf dem Podium, wollte weltrespektive Multikultur - „ob die Schotten (die zuvor musizierten) nun echt waren oder nicht“ -, Detlef Bahlke von den Grünen, der sich penetrant in den Vordergrund spielte, verlangte es nach einer „Kulturförderungspflicht“. Im Allgemeinen war man für die Abwehr westlichen Kommerzes, ohne daran zu denken, daß Kultur im Westen gerade der Repräsentation dient; der Vertreter des Neuen Forums meinte, daß Konkurrenz auch in der Kultur herrschen müsse; jemand anderes, daß alle Häuser dem Volk gehörten, Künstler aus dem Publikum wollten mehr als „Laberlaber“ hören, und das Problem sei doch, so unisono Bahlke und Schorlemmer, daß wir keine Mehrheit dafür finden werden, „das Geld einzusetzen, das wir nicht haben, für etwas, was das Volk nicht will“.

So unterschied sich das Hearing der Politiker nicht im Mindesten von ähnlichen Universitäts- oder Kulturpolitgewäsch im Westen. Es war nur ein wenig absurder. Wolfgang Templin hatte noch den Besetzern, deren Aktion doch offensichtlich nur ein schüchternes und mit der Palastleitung abgesprochenes Auf-sich-aufmerksam-machen war, angeboten, bei Verhandlungen zu helfen, als dächten überhaupt mehr als eine Handvoll daran, zu bleiben. Und die linke junge Öffentlichkeit, mit „Don't worry - take Gysi„ -Stickern ausgestattet, scharte sich hernach um Pfarrer Schorlemmer, um sich ausschließlich von ihm als SED und „Verbrecherorganisation mit ein paar netten Leuten“ beschimpfen zu lassen. Freundlich hatten die jungen Menschen nur schüchterne Einwände. Niedergeschlagenheit allerorten. Für Gesamtdeutschland wäre es sicher prima, wenn der Palast, so er denn asbestverseucht ist, zur Heimat eines neuen gesamtdeutschen Parlaments würde.

Detlev Kuhlbrodt