Militante Proteste gegen britische Kopfsteuer

Empörte BürgerInnen stürmen vielerorts in Großbritannien die Rathäuser und greifen zu Pasteten und Wasserpistolen / Unmut über die von Thatcher initiierte neue Kommunalabgabe „Kopfsteuer“, bei der ein reicher Mann keinen Penny mehr zahlen muß als sein Chauffeur  ■  Aus London Ralf Sotscheck

Das Rathaus der südenglischen Stadt Southampton erlebte am Mittwoch zum ersten Mal in seiner langen Geschichte eine Schlägerei zwischen DemonstrantInnen und Ratsmitgliedern. Zu Beginn der Ratssitzung hatten sich über hundert Menschen auf der Besuchergalerie eingefunden und lautstark gegen die Kopfsteuer protestiert, die ab April in England und Wales eingeführt werden soll. Tory-Bürgermeister Norman Best unterbrach daraufhin die Sitzung und wollte die Galerie von der Polizei räumen lassen. Die DemonstrantInnen verbarrikadierten sich jedoch und warfen brennendes Papier von der Galerie.

Die Empörung richtete sich vor allem gegen die Labour Party, die im Rat über eine Mehrheit verfügt. Ein Demonstrant rief: „Was für Sozialisten seid ihr, wenn ihr die Kopfsteuer nicht verhindert?“ Als ein junger Mann schließlich in den Sitzungssaal sprang, war es um die Beherrschung der konservativen Ratsmitglieder geschehen. Sie stürzten sich auf den Demonstranten, zogen ihn an den Haaren auf einen Schreibtisch und hielten ihn im Würgegriff fest, bis die Polizei eingriff und ihn abführte. Insgesamt wurden 27 Menschen festgenommen. Die Sitzung wurde nach 70 Minuten fortgesetzt.

Ratsmitglied Paul Russell von der Labour Party reichte noch am Abend seinen Rücktritt ein. In seiner Erklärung heißt es: „Anständige, gesetzestreue BürgerInnen sind wie Tiere behandelt worden.“ Er habe gesehen, wie Menschen an den Füßen von der Galerie geschleift wurden und mit den Köpfen auf die Betonstufen schlugen. Sein Parteikollege Parmi Behia, der Vorsitzende des Polizei-Verbindungskomitees, sagte, er selbst sei von den Polizisten angegriffen worden. Behia beschuldigte Bürgermeister Best, er habe die Auseinandersetzungen nach Absprache mit der Polizei absichtlich provoziert, um von der ungerechten Kopfsteuer abzulenken. Best gratulierte der Polizei dagegen zu ihrem Einsatz, der für den ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung gesorgt habe.

Auch in anderen britischen Städten kam es am Mittwoch zu militanten Demonstrationen. In Southwark in Süd-London mußte die Ratssitzung abgebrochen werden, nachdem das Rathaus von hundert Menschen besetzt worden war. In Plymouth konnte die Polizei mit Mühe und Not 300 Menschen vom Eindringen in das Rathaus abhalten. In Devonport griff ein Mädchen den Chef der Sozialdemokraten, David Owen, mit einer Wasserpistole an. In Exeter wurde dem örtlichen Labour-Vorsitzenden eine Pastete ins Gesicht geschleudert.

Alan Eastwood, der Vorsitzende des Polizeiverbandes, und zahlreiche konservative Abgeordnete behaupteten, die Krawalle seien von „Miet-Rowdies“ veranstaltet worden, die von außerhalb gekommen seien. Steve Nally von der Antikopfsteuer-Organisation sagte dagegen, daß die überwältigende Mehrheit der DemonstrantInnen ortsansässige BürgerInnen waren. Die Polizei mußte gestern zugeben, daß es sich bei sämtlichen Verhafteten um Ortsansässige gehandelt habe.

Bei den Tories werden die Sorgen über die Proteste gegen die Kopfsteuer immer größer. Die Steuer, die ab April die alten Gemeindeabgaben ablösen wird, liegt zum Teil doppelt so hoch wie bisher. Die Höhe der Steuer wird von den einzelnen Bezirksverwaltungen festgelegt. Premierministerin Margaret Thatcher hatte gehofft, daß die von den Tory -Verwaltungen festgelegten Beträge deutlich unter denen der Labour-Bezirke liegen würden, was zu einem Popularitätsverlust der Opposition geführt hätte. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten. Fast alle Verwaltungen unter konservativer Kontrolle haben die Regierungsrichtlinien weit überschritten.

Laut letzten Meinungsumfragen liegt die Labour Party in der Gunst der WählerInnen inzwischen mit 19Prozent Vorsprung vorne. Einige Kabinettsmitglieder fürchten, daß die Kopfsteuer zu einem Exodus der konservativen Parteimitglieder führen wird.