„Reparationen“ und die polnische Westgrenze

Hinter Bundeskanzler Kohls Junktim, eine Anerkennung der polnischen Westgrenze müsse mit dem Verzicht Polens auf „weitere Reparationsforderungen“ verbunden werden, steckt die immer noch ungeklärte Frage der Entschädigung polnischer ZwangsarbeiterInnen / Über die historischen Hintergründe einer aktuellen Diskussion  ■  Von Ulrich Herbert

Die Erklärung Bundeskanzler Kohls, eine Anerkennung der polnischen Westgrenze durch beide deutsche Staaten müsse mit der Garantie Polens, „keine weiteren Reparationsforderungen“ gegenüber einem vereinten Deutschland zu erheben (sowie der Bestätigung der „Schutzbestimmungen“ für die „deutsche Minderheit“ in Polen), verbunden werden, hat im In- und Ausland außer zu Ablehnung auch zu beträchtlichem Kopfschütteln geführt. Denn von polnischen „Reparationsforderungen“ war gar nichts bekannt, so daß Kohls Initiative als unverständlich und überzogen wahrgenommen werden mußte. Tatsächlich aber verbirgt sich dahinter eine politisch wie finanziell ebenso brisante wie weitreichende Problematik, die seit 45 Jahren Gegenstand deutsch-polnischer Auseinandersetzungen ist: die Frage der Entschädigung für ehemalige polnische Zwangsarbeiter. In der westdeutschen Öffentlichkeit hat diese Frage bis heute kaum eine nennenswerte Bedeutung gehabt, sodaß die weitgehende Verwirrung durch Kohls Vorstoß verständlich ist. In Polen hingegen handelt es sich um eines der moralisch und politisch schwerwiegendsten Probleme im Verhältnis zu Deutschland, das in der Öffentlichkeit seit jeher intensiv und leidenschaftlich diskutiert wird.

Wer aus „rassischen, politischen, weltanschaulichen oder religiösen Gründen“ von den Nationalsozialisten geschädigt worden ist, hat einen Anspruch auf Entschädigung - dieser Grundsatz des westdeutschen „Wiedergutmachungs„rechts ist jedoch insofern eingeschränkt, als es sich um innerdeutsches Recht handelt und sich auf Deutsche beschränkt (bzw. auf solche Menschen, die eine „räumliche Beziehung“ zur BRD oder zum Deutschen Reich haben oder hatten). Dem steht aber gegenüber, daß die überwiegende Mehrzahl der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung eben nicht Deutsche, sondern Ausländer waren, die nicht unter die Bestimmungen der verschiedenen Bundesentschädigungsgesetze fallen - die Angehörigen der Länder also, die während des Krieges von Deutschland besetzt waren.

Neun Millionen

ZwangsarbeiterInnen

Von den nationalsozialistischen Behörden wurden während des Zweiten Weltkrieges etwa neun Millionen Menschen zum „Arbeitseinsatz“ ins Deutsche Reich rekrutiert; im Sommer 1944 war jeder vierte Beschäftigte in der gesamten deutschen Wirtschaft ein Ausländer - oder eine Ausländerin, denn der Anteil von Frauen war bei Polen und „Russen“ mit über 50 Prozent besonders groß.

Der weit überwiegende Teil der ausländischen Arbeitskräfte ist zwangsweise nach Deutschland deportiert worden; insbesondere die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Osteuropa. Von den genannten neun Millionen sind im Sommer 1944 7,8 Millionen Zwangsarbeiter gleichzeitig als „in Arbeit befindlich“ gemeldet worden; 5,9 Millionen Zivilarbeiter und etwa zwei Millionen Kriegsgefangene. Hinzu kommt noch eine nicht genau bestimmbare Zahl von KZ-Häftlingen, die im Reich in „Arbeitskommandos“ verbracht worden waren; ihre Zahl lag im Sommer 1944 bei 300.000 bis 400.000, bei Kriegsende bei etwa 600.000.

Nach den Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion waren die Polen die zahlenmäßig stärkste Gruppe unter den ausländischen Arbeitskräften. 1944 wurden 1,7 Millionen gezählt, die Gesamtzahl der nach Deutschland deportierten polnischen Zivilarbeiter (die Zahl der Kriegsgefangenen war sehr gering) lag bei etwa zwei Millionen, hinzu kommt noch eine nicht genau bestimmbare Zahl von polnischen KZ -Häftlingen.

Die zentrale Frage bei der Behandlung von Entschädigungsforderungen ehemaliger KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter bestand nun darin, ob sie als individuelle Forderungen von Privatpersonen oder als Reparationsforderungen der ehemaligen Feindmächte einzustufen waren. Schon wegen der zu erwartenden finanziellen Größenordnungen wurde von westdeutscher Seite aus hier von vornherein nur an eine pauschale Regelung im Rahmen von Reparationszahlungen gedacht, da nach internationalem Recht Ansprüche aus Kriegs- und Besatzungshandlungen nur von Staat zu Staat, nicht aber von einzelnen Individuen gegen den ehemaligen Feindstaat zu erheben seien; dabei wurde auf das Vorbild des Versailler Vertrages, in dem ebenso verfahren worden sei, verwiesen.

Nach dieser Rechtsauffassung also waren Staatsangehörige eines ehemaligen Feindlandes von direkter Entschädigung ausgeschlossen und auf Leistungen ihres eigenen Staates angewiesen, die dieser wiederum aus den zu vereinbarenden deutschen Reparationsleistungen zu begleichen hatte.

Dieser Auffassung widersprach jedoch vor allem die polnische Seite, die seit Kriegsende immer zwischen „individueller Wiedergutmachung“ und „staatlichen Reparationen“ unterschieden hatte - bereits im ersten Dokument der Provisorischen Polnischen Regierung Anfang 1945 war davon die Rede gewesen; auf der Konferenz der Außenministerstellvertreter in London am 23. Januar 1945 betonte die polnische Regierung diese Forderungen erneut und hob dabei vor allem auf die ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter ab. Polen hat diese Ansprüche auf individuelle Wiedergutmachung für ehemalige ZwangsarbeiterInnen bis heute nicht aufgegeben und immer wieder erhoben.

Das Londoner

Schuldenabkommen

Zwar war also der politische Wille zur Ablehnung solcher Forderungen auf westdeutscher Seite eindeutig. Die juristische Position der Bundesregierung aber stand hier doch auf wackeligem Fundament, solange nicht durch eindeutigere Abkommen, an denen die deutschen Nachfolgestaaten beteiligt waren, das Reparationsproblem insgesamt und besonders die Einbeziehung der Forderungen ehemaliger KZ-Häftlinge und FremdarbeiterInnen darin geregelt waren. Die Lösung für dieses Problem im deutschen Sinne kam gewissermaßen durch die Hintertür - in Form des „Londoner Schuldenabkommens“ vom 27. Februar 1953, in dem die Rückzahlung der vor allem von den USA nach dem Kriege gewährten Kredite durch die BRD geregelt war. Dabei verwiesen die Bundesregierung und der Leiter der Bonner Delegation in London, der Bankier Hermann J. Abs, darauf, daß man die vereinbarten 7,3 Milliarden D-Mark nur zurückzahlen könne, wenn auf die Zahlung von Reparationen bis auf weiteres verzichtet würde.

Die in dem hier untersuchten Zusammenhang entscheidende Vereinbarung des Londoner Schuldenabkommens lautete in Art.5 (2): „Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland in Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrage des Reichs handelnde Stellen oder Personen...wird bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt.“ Dieser Artikel war die unmittelbare Folge der von seiten der deutschen Delegation immer wieder vorgebrachten Hinweise auf die Zahlungsunfähigkeit der Bundesrepublik, wenn weitere Reparationsforderungen gestellt würden.

Politische-juristische

Abwehrmanöver

Die Regelung der Schuldenbegleichung selbst als eigentlicher Kern des Londoner Abkommens ist mittlerweile längst abgeschlossen; aus der unverdächtig klingenden Formulierung des Art. 5 (2) aber, der einstweiligen Zurückstellung der Prüfung von Reparationsforderungen, ist durch das Ausbleiben eines Friedensvertrages eine Dauerregelung geworden - mithin nichts anderes als die Erledigung sämtlicher aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Reparationsforderungen und zugleich die politisch -juristische Grundlage für die Abwehr aller Wiedergutmachungsansprüche ehemaliger ausländischer KZ -Häftlinge und FremdarbeiterInnen, also des überwiegenden Teils der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.

Schließlich ist noch auf eine weitere in diesem Zusammenhang bedeutsame Vereinbarung zu verweisen. Am 22. August 1953 erklärte die Sowjetunion ihren Entschluß, auf weitere Reparationsentnahmen aus ihrer Zone, der SBZ/DDR, fürderhin zu verzichten und „im Einverständnis mit der Regierung der Volksrepublik Polen (in bezug auf den sie betreffenden Anteil an den Reparationen) ab 1. Januar 1954 die Entnahme der Reparationen aus der Deutschen Demokratischen Republik sowohl in Form von Warenlieferungen als auch in jeder anderen Form vollständig zu beenden“. Damit, so die Rechtsauffassung in der Bundesrepublik, habe Polen auf alle Reparationsforderungen gegenüber ganz Deutschland verzichtet, worunter eben aus Sicht der Bundesregierung auch individuelle Ansprüche einzelner Staatsangehöriger fielen.

Mit diesen Abkommen im Rücken wurden in der Folgezeit alle Forderungen nach Entschädigung, die von ehemaligen KZ -Häftlingen und ZwangsarbeiterInnen aus dem Ausland an die Bundesrepublik gestellt wurden, durchweg abgelehnt; es handle sich dabei um Reparationsforderungen - und die seien nach dem Londoner Schuldenabkommen zurückgestellt beziehungsweise nach dem Reparationsverzicht Polens und der Sowjetunion hinfällig. Darüberhinaus waren im Bundesentschädigungsrecht Ansprüche von Angehörigen solcher Staaten, mit denen die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, bis zum Jahre 1965 explizit augeschlossen worden.

Was aber nun, wenn der Gegenstand des Londoner Schuldenbabkommens - die Schuldenregelung - durch Befriedigung der Gläubigerforderungen hinfällig wurde? Kurz nachdem das erste bundesdeutsche Entschädigungsgesetz in Kraft getreten war, monierte die Alliierte Hohe Kommission (AHK) am 10. Dezember 1953 bei der Bundesregierung, daß nach den Bestimmungen dieses Gesetzes die von den Nationalsozialisten verfolgten Staatsangehörigen der westeuropäischen Länder von allen Leistungen ausgeschlossen seien. „Hauptbeispiel“ dafür, so wurde bei Verhandlungen auf Sachverständigenebene ein Jahr später dazu von alliierter Seite erklärt, seien die „aus Frankreich deportierten, im Reich unmenschlich behandelten Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge französischer Staatsangehörigkeit“.

Während die Vertreter der Bundesregierung unter Hinweis auf das Londoner Schuldenabkommen erklärten, es handele sich dabei um ein Problem des Reparationsrechts, zudem seien die daraus erwachsenden finanziellen Folgen für die Bundesrepublik untragbar, erklärten die Vertreter der drei Westmächte, es handele sich bei den hier in Rede stehenden Unrechtshandlungen des NS-Regimes nicht um Kriegsmaßnahmen, also auch nicht um die Regelung von Reparationsforderungen.

Präjudizien

Schließlich aber erklärte sich die Bundesregierung bereit, sich in Wiedergutmachungsabkommen mit elf westeuropäischen Ländern zu Pauschalleistungen in Höhe von 870 Millionen Mark zu verpflichten, „um die Möglichkeiten von Störungen der bilateralen Beziehungen zu verringern“, die, wie der Völkerrechtler Rumpf formuliert, von „einflußreichen Gruppen jüdischer und anderer Verfolgter..., besonders durch ihren Einfluß in den Massenmedien ausgehen konnten“.

Es war klar, daß durch diese Verträge Präjudizien im Hinblick auf gleichlautende Ansprüche von Ostblockstaaten, insbesondere Polens, geschaffen worden waren. Solange allerdings mit Polen keine diplomatischen Beziehungen bestanden und keine Veränderungen im Klima des Ost-West -Verhältnisses eintraten, war dieses Thema nicht aktuell. Erst als sich diese Situation zu verändern begann, bekamen auch die seit langem erhobenen Forderungen Polens nach Entschädigung für polnische KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter wieder politische Bedeutung. Noch im Februar 1965 hatte der polnische Delegierte auf der 21. Sitzung der UN -Menschenrechtskommission das Problem der Zwangsarbeiterentschädigung erneut vorgebracht und die westdeutsche Rechtsauffassung kritisiert, wonach die Ansprüche ausländischer NS-Verfolgter abzuweisen seien. Nach den Abkommen mit Israel und mit den Westmächten empfand die polnische Seite nicht zu Unrecht diese Haltung als nahezu ausschließlich gegen Polen gerichtete Diskriminierung; zwei Jahre später wiederholte der polnische Außenminister in London diese Forderungen.

Am 27. September 1969 konkretisierte Polen diese Forderungen gegenüber den Vereinten Nationen und nannte acht Gruppen von polnischen NS-Verfolgten, die gegenüber der Bundesrepublik Anspruch auf individuelle Entschädigung erhöben; darunter als größte Gruppen „ehemalige KZ-Häftlinge und andere politische Gefangene“ sowie „Personen, die zu Zwangsarbeit ins Reich deportiert wurden oder als Kriegsgefangene Sklavenarbeit verrichten mußten, ohne für diese Arbeit einen angemessenen Lohn zu erhalten“.

Reparationen oder

individuelle Ansprüche

Juristische Grundlage für diese Ansprüche war der von der polnischen Seite seit jeher betonte Unterschied zwischen Reparationsregelungen zwischen Staaten und individuellen Ansprüchen einzelner Geschädigter, die durch staatliche Vereinbarungen wie das Londoner Abkommen oder die polnische Verzichtserklärung bezüglich Reparationsleistungen aus der DDR vom 22. August 1953 nicht berührt seien.

Nun war von seiten der Bundesregierung schon das Abkommen mit Israel und der Claims Conference nur gegen erheblichen Widerstand in der westdeutschen Öffentlichkeit und auch in den eigenen Reihen der Regierungskoalition Adenauers abgeschlossen worden, die Berücksichtung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern etwa aus Polen oder der Sowjetunion wäre zu dieser Zeit in der Bundesrepublik vermutlich politisch nur sehr schwer durchsetzbar gewesen, weil - anders als gegenüber den Juden - gegenüber diesen Menschen in weiten Teilen der Bevölkerung ein Unrechtsbewußtsein gar nicht bestand, oder doch durch den Bombenkrieg der Alliierten, durch Flucht und Vertreibung aus den Ostgebieten dieses Unrecht als beglichen angesehen wurde.

Diese ablehnende Haltung gegenüber Entschädigungsansprüchen ehemaliger KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, insbesondere wenn sie von Polen gestellt wurden, blieb auch bis in die siebziger und achtziger Jahre unverändert. Auffällig ist dabei aber, daß es weder in der Öffentlichkeit noch im Bundestag bis 1985 je eine Debatte darum gegeben hat, welches Schicksal die Zwangsarbeiter und die zur Arbeit eingesetzten KZ-Häftlinge während des Krieges in Deutschland erlitten hatten. Die Beschäftigung mit diesem Komplex war, wenn sie denn stattfand, nahezu ausschließlich durch die Abwehr möglicher finanzieller Forderungen geprägt.

In den vergangenen Jahren nun ist die Frage der Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter, insbesondere diejenigen aus Polen, erstmals auch innerhalb der westdeutschen Öffentlichkeit diskutiert worden; von verschiedenen Gruppen und Initiativen wurden die Forderungen sowohl ehemaliger KZ-Häftlinge als auch ehemaliger polnischer Zivilarbeiter unterstützt; schließlich entwickelte sich daraus eine Initiative der Grünen im Bundestag die seit kurzem in den wesentlichen Punkten auch von der SPD-Fraktion unterstützt wird, in der die polnische Forderung nach individueller Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter aufgegriffen und die Etablierung einer Stiftung gefordert wird, mit deren Mitteln die noch lebenden Betroffenen durch einmalige Zahlungen von 2.000 oder 5.000 D -Mark eine nicht nur symbolische finanzielle Unterstützung erhalten sollten.

Spiel mit dem

Friedensvertrag

Von seiten der Bundesregierung sind diese parlamentarischen Vorstöße immer wieder abgeblockt worden. Die Bundesregierung war nicht bereit, irgendwelche Zahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen zu leisten, zum einen, weil Polen ja 1953 auf Reparationen gegenüber Deutschland ganz verzichtet habe, zum anderen, weil kein Friedensvertrag mit entsprechenden Reparationsvereinbarungen bestand - oder ein anderer Vertragszustand, der einem Friedensvertrag gleichkam. Kalkül Bonns war es, daß dadurch stillschweigend eine Beerdigung der polnischen Forderungen stattfinden würde, weil ein Friedensvertrag oder eine andere grundlegende Veränderung der Rechtslage auf absehbare Zeit nicht zu erwarten war.

Der überwiegende Teil der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter ist jetzt zwischen 60 und 75 Jahre alt, da die meisten Zwangsarbeiter in ganz jungem Alter nach Deutschland kamen (das Durchschnittsalter lag 1940 bei etwa 20 Jahren). Man hoffte also von Seiten der Bundesregierung auf eine baldige „biologische Lösung“ des Problems.

Hier aber hat nun die Entwicklung in der DDR und die ins Haus stehende „Wiedervereinigung“ der beiden deutschen Staaten eine neue Situation geschaffen. Denn hatte man noch bis zum November 1989 eine tatsächlich friedensvertragliche Regelung oder eine ähnliche Vereinbarung mit einem geeinten Deutschland für ganz und gar irreal gehalten, so rückte dies nun plötzlich ganz nah und erschien mit einem Mal auch kurzfristig realistisch. Damit aber erhielten die polnischen Forderungen nach Entschädigung für Zwangsarbeiter eine ganz andere Rechtsstellung - die Rechtspositon der Bundesregierung drohte also, sich gegen die eigenen Interessen zu wenden: nämlich für ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen keinen Pfennig Entschädigung zu zahlen.

Kohls Vorwärtsverteidigung

Hier setzte nun Kohls Initiative an. Die „Anerkennung“ der Oder-Neiße-Grenze schien gegenüber Polen das letzte Druckmittel zu sein, um die Forderungen nach Zwangsarbeiterentschädigung endgültig zu Fall zu bringen. Ohne den Begriff „Zwangsarbeiter“, der in der Öffentlichkeit womöglich neugierg gemacht hätte, auch nur zu erwähnen, verband er die Anerkennung der polnischen Westgrenze mit einem „Reparationsverzicht“ Polens auch gegenüber einem vereinten Deutschland. Auch die Vereinbarung der Koalition, die ja im allgemeinen als Niederlage Kohls angesehen wird, beinhaltet die Forderung nach „Reparationsverzicht“ Polens nach wie vor, wenn auch nicht mehr in der Form des Junktims.

Die Bundesrepublik hat in den vergangenen 40 Jahren ganz erhebliche Mittel zur „Wiedergutmachung“ und Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus bereitgestellt - dabei sind aber mit den ausländischen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern, insbesondere aus Polen, ausgerechnet jene Gruppen ausgeschlossen worden, die im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Politik der Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung gestanden haben. Durch die massive Aufforderung der Bundesregierun gegenüber Polen, es möge auf seine „Reparations„-forderungen, nämlich nach Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter, ein für allemal und auch an ein vereintes Deutschland verzichten, soll eben diese Situation zementiert werden.