Quasi anerkannter Underground

■ Rock in der DDR - die Bands organisieren sich selbst Das ehemalige Haupt- und Staats-Label wird zur GmbH und bekommt einen neuen Namen

Birgit Herdlitschke

Sonntag, 11.März 90. Unter dem Motto „Kultur statt Wahlkrampf“ ruft die Vereinigte Linke in die Ostberliner Kongreßhalle im „Haus des Lehrers“ am Alexanderplatz. Auf dem Programm steht: „ab 20:00 Punk mit Ich-Funktion, Tachles, 1.000 Tonnen Obst, Freigang, Die Firma und Herbst in Peking“. Vor den Türen des 70er-Jahre-DDR-Glasbaus drängelt sich eine kuriose Mischung aus klassischen Studenten und Ostpunks.

Im Innern des geräumigen, geschmacklosen Glasquaders trennen sich die Wege der Studenten und Punks: Erstere begeben sich vornehmlich in den „Gelben Saal“ im Erdgeschoß, in dem sich die Kandidaten der Vereinigten Linken präsentieren und zwei Kabarettisten die Wiedervereinigung und den Wahlkampf verarbeiten; die Punks dagegen strömen über die geschwungene Freitreppe in den Plastikkuppelbau im ersten Stock, wo laut Programm Punk angesagt ist. Der runde Saal mit seinen weißbetuchten Resopaltischen läßt eher einen Seniorentee vermuten als ein Konzert der interessantesten DDR-Bands der sogenannten „neuen“ Szene.

So bewegen sich die Fans auch nur zögernd über den gewienerten Parkettboden, um sich an den weißgedeckten Tischen niederzulassen.

Unterdessen stehen „Herbst in Peking“ auch schon auf der großen hellen Bühne, die in der Vergangenheit sicher mehr Reden über Planerfüllung und Lehrinhalte gesehen hat als Rockkonzerte.

„Waiting for my man“ eröffnet das Konzert - an einem absurderen Ort ist dieser Klassiker sicherlich selten gespielt worden. Mit Rock 'n‘ Roll hat die Stimmung in der Plastikhalle jedenfalls nichts zu tun. Als dann auch noch ein rollschuhlaufender Fan vom Techniker von der Bühne geprügelt wird, ist das „Herbst-in-Peking„-Konzert auch schon wieder zu Ende: Die Band verläßt aus Protest die Bühne, ohne daß irgendjemand aus dem lethargischen Publikum eine Regung zeigt. Im weiteren Verlauf des Abends tauen die Zuhörer doch etwas auf, und bei Anarchy in the UK (in der Version der „Ich-Funktion“) reißt es sogar einen Teil aus ihren Sitzen zu einem Pogo, wie ich ihn in West-Berlin seit Jahren nicht gesehen habe.

Derweil streikt einen Stock tiefer schon das Imbißpersonal, nachdem jemand eine Bierflasche hinter den Verkaufstresen geschleudert hat. Die gesittete Wahlveranstaltung des Demokratischen Aufbruchs, die am 13.März im gleichen Haus stattfand, ist den Angestellten sicher lieber als diese Versammlung von „Ausgeflippten“.

Beim abschließenden Auftritt der „Firma“ versagt dann die PA - oder wollte der Techniker einfach nicht mehr? Wie auch immer, das Steuerkabel der Anlage muß dran glauben - also hat er auf jeden Fall etwas zu reparieren...

„Kulturkrampf“ wäre wohl das passendere Motto für diesen Abend gewesen - von „vereinigt“ oder „links“ war nichts zu spüren; die Veranstalter standen dem Chaos hilflos gegenüber.

Auch Rockkultur will eben erst gelernt sein! Bisher waren gute Klubs und Konzertveranstalter in der DDR so gut wie nicht vorhanden. Orte wie das Ecstasy, das Loft oder früher das Blockschock hier in West-Berlin suchte man bislang in Ost-Berlin vergeblich.

Auch das wird sich sicherlich bald ändern - wie so vieles, was bisher die Strukturen des Musikgeschäftes in der DDR ausmachte.

So gab es bis zum 9.November 89 die strikte Trennung zwi schen „etablierten“ und „Underground-„Bands. Rex Joswig, Sänger von „Herbst in Peking“, formuliert das so: „Es gab zwei Arten von Bands in der DDR: Die systemerhaltenden und die systemzerstörenden.“

Die „systemerhaltenden“ Bands unterwarfen sich der stalinistischen Zensur, verzichteten auf kritische Texte und durften dafür auf Amiga (der immer noch einzigen Plattenfirma der DDR) Platten veröffentlichen. Als Bonbon erhielten sie den so begehrten Paß, der ihnen Westreisen ermöglichte.

Die „systemzerstörenden“ Bands dagegen, zu denen Bands wie eben „Herbst in Peking“, „Die Firma“, „Ich-Funktion“, „Freigang“, „Die Art“, „Die Skeptiker“, „Big Savod“ oder „Sandow“ gehörten, schlugen sich mehr oder weniger unabhängig durchs Land, verdienten etwas Geld mit Live -Auftritten und produzierten Cassetten im Übungsraum, die dann auf den Konzerten verkauft (oder auch verschenkt) wurden.

Den Staat ignorieren konnten allerdings auch diese Bands nicht. Jede Band benötigte eine „Einstufung“, vergeben von der „Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst“, die Live-Auftritte erst ermöglichte und einen festen Honorarsatz pro Gig festlegte.

So ungünstig die Produktionsbedingungen in der alten DDR auch gewesen sein mögen - die „systemzerstörenden“ oder unabhängigen Bands hatten den großen Vorteil, in ihrer Szene schnell Kultstatus erreichen zu können - sie waren moralisch integer, quasi anerkannter Underground. Der gemeinsame Feind war klar - das stalinistische System. Dagegen zu sein - und das auch in den Texten und der Musik auszudrücken - reichte schon, um eine gewaltige Anhängerschaft unter den vom System ebenso frustierten Jugendlichen zu gewinnen.

Ausverkaufte Häuser waren so auch bei eher mäßigen musikalischen Darbietungen keine Seltenheit.

Matthias Hofmann, Redakteur bei Amiga, sieht es so: „Unsere Mauerkultur hat einfach gebracht, daß viele Bands dachten, sie müssen sich nicht mehr entwickeln. Sie hatten ja sowieso ihr Publikum, alle haben gejubelt. Die meisten 'neuen‘ Bands haben dabei nicht merken müssen, daß es noch an vielem fehlt.“

Matthias Hofmann weiß, wovon er redet. Nach klassischer DDR - Ausbildung (er studierte Musikwissenschaft am Forschungszentrum Popmusik an der Humboldt-Uni in Berlin) geriet er in die Mühlen des (damals!) noch festgefahrenen DDR-Kulturbetriebs. Anderthalb Jahre arbeitete er im Palast der Republik, wo er versuchte, Konzerte mit neuen, anderen Bands des Landes durchzusetzen. Matthias rückblickend: „Ich glaube, diese Zeit war sehr wichtig für mich - dort habe ich gelernt, wo in einem so institutionalisierten Kulturbetrieb die Grenzen, aber auch die Nischen sind.“

Bei Amiga ist Matthias Hofmann seit Januar 89 als „Redakteur“ angestellt. „Die Funktion des Redakteurs liegt irgendwie zwischen A&R-Manager und Produzent“, erklärt er die in westlichen Plattenfirmen unbekannte Berufsbezeichnung.

Matthias gilt in Musikkreisen als der Mann, der die Wende innerhalb von Amiga forciert und vorangetrieben hat. Er ist zuständig für fast alle Produktionen mit Bands der „neuen“ DDR-Szene.

Vereinzelte Zusammenarbeit zwischen sogenannten Underground -Bands und dem VEB Deutsche Schallplatte gab schon vor 89, so zum Beispiel den Sampler Die anderen Bands, auf dem mit „Feeling B.“ und „Sandow“ zwei der wichtigsten anderen Bands zu hören sind.

„Feeling B.“ waren dann auch die ersten, die eine ganze LP bei Amiga aufnahmen - im Januar 90 ist sie auf den Markt gekommen. Die Startauflage von 15.000 Stück war innerhalb von zwei Tagen vergriffen!

An solchen Zahlen kann man die Breitenwirkung dieser Musik in der DDR erkennen. Die Musik von „Feeling B.“ ist für westliche Ohren altmodischer deutscher Hauruck-Punk, aber „so etwas baut Defizite hier im Land ab, die die Jugendlichen durch die beschissene Situation über Jahre hinweg aufgebaut haben“. Ähnliches ist für die Platte der Skeptiker zu erwarten, die im April in der DDR rauskommen wird.

Die Frage ist nur, wie lange die Bands - und auch Amiga noch mit einer so treuen DDR-Käuferschaft rechnen können. Noch kaufen die Kids für wenig Ostmark die Platten „ihrer“ Bands - wenn jedoch harte DM auf den Tisch gelegt werden müssen, greifen viele Fans sicher lieber zu den dann ebenso teuren/billigen Originalen - also „Dead Kennedys“ statt „Feeling B.“ und „Skeptiker“. Oder die Käufer legen das „gute“ Geld erst mal in ganz anderen Dingen an als in Platten...

Was in Zukunft zählen wird, ist also Professionalität. Bands mit guten Ideen, die aber ihre Instrumente nicht beherrschen, werden es auch in der DDR zunehmend schwer haben. Die gnadenlosen Gesetze der westlichen Musikbranche greifen sicher bald auch auf das „zweite Deutschland“ über.

Matthias Hofmann dazu: „Bei der Produktion mit 'Die Vision‘ im Studio stellte sich schnell heraus, daß einige Songs nicht aufgenommen werden können, weil die Band sie nicht hinbekam. Wenn ich von Amiga ihnen dann sage, daß ein bestimmtes Riff einfach nicht klingt, heißt es leicht: Ja, der Ostproduzent, der Amiga-Arsch, will uns reinreden! Diese Auseinandersetzung zwischen Band und Redakteur beziehungsweise Produzent kennen die Bands eben nicht. Das ist dann für sie der Ostreinreder. Die wissen noch nicht, daß es international, in jedem Studio der Welt, das gleiche wäre!“

Natürlich hat Amiga - wie alle schon vor der Wende existierenden Institutionen - ein Imageproblem. Und Matthias kann auch gut verstehen, wenn die Bands jetzt sagen: „Nee, mit euch nicht! Jahrelang habt ihr euch um nichts gekümmert, ihr Staatsdiener - jetzt wollen wir nicht mehr.“

Allerdings haben wohl in den letzten Monaten immer mehr Musiker gemerkt, daß - zumindest mit einigen Leuten des Unternehmens - eine gute Zusammenarbeit sehr wohl möglich ist. Die Liste der „neuen“ Bands, die zur Zeit mit Amiga produzieren, ist jedenfalls lang: die schon erwähnten Deutsch-Punk-Bands „Feeling B.“ und „Die Skeptiker„; die an Zappa und Supercharge erinnernden Fun-Jazzer „DECAdance„; „Sandow“, eine vielversprechende junge harte Band aus Cottbus, die auch im Westen über Noise Records vertrieben wird. Gerade in Arbeit ist die Platte der schon erwähnten „Vision“ - übrigens auch eine Koproduktion mit dem Westen: Produzent ist der Engländer Marc Reeder, abgemischt wird zur Zeit im Westberliner Vielklang-Studio. „Die Vision“ macht chartskompatiblen Gitarrenpop, der bei guter Produktion und Promotion durchaus auch internationale Chancen haben könnte.

Im April folgen dann die Studioaufnahmen mit der Leipziger Band „Die Art“, eine DDR-Kultband aus der deftigeren Ecke, deren Musik so oder ähnlich auch in Castrop-Rauxel oder einer nordenglischen Industriestadt entstehen könnte.

Ein Projekt, das Matthias Hofmann besonders am Herzen liegt, ist der Sampler All tomorrow's parties mit „Big Savod & The Deep Manko“, „The Fate“, „B. Crown“ und „Campanella is dead“. Alle vier sehr gute Gitarrenpop-Bands. Das Titelstück des Samplers haben alle gemeinsam im Studio aufgenommen.

Matthias freut sich über die in letzter Zeit wirklich gute Zusammenarbeit mit vielen Bands: „Die fühlen sich von Amiga nicht mehr über den Löffel gezogen.“ Ganz anders sieht die wirtschaftliche Seite aus - was nach der Währungsunion passieren wird, ist noch unklar. Sicher wird Amiga seine Monopolstellung bald verlieren. Auch den Namen, der negativ vorbelastet ist, wird die Firma wohl bald aufgeben. Wahrscheinlich wird eine GmbH unter marktwirtschaftlichen Bedingungen - das beinhaltet auch bessere und schnellere Produktionsbedingungen und vernünftiges Marketing versuchen, die Labelarbeit fortzusetzen.

„Wichtig ist, daß wir demnächst noch rentabel sind, daß wir - naja, überhaupt noch existieren.“

Jenseits der immer noch dominierenden Amiga schießen zur Zeit auch viele neue Projekte aus dem Boden, allesamt initiiert von Musikern des Landes.

So gibt es unter dem Namen „Zone Ton“ mittlerweile das erste Cassetten-Label im Osten, betrieben von Mitgliedern der experimentellen Band „Expander des Fortschritts“ (die übrigens die Aufnahmen für ihr erstes Album mit dem Titel Ad Acta gerade bei Amiga abgeschlossen haben).

Die zur Zeit allerorten hochgelobten „Herbst in Peking“ haben es unterdessen als erste geschafft, eine Single in Eigenregie zu produzieren - zum Pressen haben sie einen bis jetzt wohl einmaligen Deal mit dem Preßwerk der Amiga abgeschlossen. Am 7.April soll dann im Cafe Westphal, dem besetzten Cafe/Klub am Kollwitzplatz, rauschende Single -Party gefeiert werden. Die auf Peking Records erscheinende Bakschischrepublik kann dort auch gegen sieben Mark Bakschisch erstanden werden.

Zu einem anderen unabhängigen Projekt könnte sich das von drei Bands („Die Firma“, „Ich-Funktion“ und „Freigang“) besetzte Haus in der Rosenthaler Straße 68 entwickeln. Dort betreiben die Musiker den florierenden Klub „Cafe im Eimer“ (Dienstag bis Sonntag von 21 bis 3 Uhr). Mit dem dort und durch Konzerte erwirtschafteten Geld hoffen sie, das baupolizeilich eigentlich gesperrte Haus in ein Zentrum mit Studio, Proberäumen, Konzertsaal und Cafe umbauen zu können.