KLEINE Super-8-FREIHEITEN

■ Filme von "Film+ Foto Man Ray" aus Potsdam

„Die gibt es nicht“, antwortete Anfang November die Defa -Dokumentarfilmregisseurin Petra Tschörtner einer Westberliner Hochschulzeitschrift auf die Frage, wie es um die Amateurfilmszene in der DDR bestellt sei. Gleichzeitig startete im Jugendclub der Defa Babelsberg das Kunstlicht 89-Festival. An zwei Abenden liefen rund vier Stunden unabhängiger Film aus der DDR und der BRD durch die 16- und 8mm-Projektoren, zusammengestellt von der Potsdamer Gruppe Film+ Foto Man Ray und dem Westberliner KOBs Kommerzkino.

Daß in der DDR schon seit Jahren eine unabhängige Filmszene existiert, wurde vor der Wende von der offiziellen DDR wie auch von der westdeutschen No Budget-Szene einfach ignoriert. Es fehlte an Öffentlichkeit: Man wurde zwar geduldet, arbeitete aber halblegal. Veranstaltungen fanden meist in Wohnungen oder in kirchlichen Räumen statt. Nur selten zeigten sich staatliche Stellen so aufgeschlossen wie die Hochschule für Bildende Künste in Dresden, die die MacherInnen des wichtigsten alljährlichen unabhängigen Filmfestes der DDR in ihren Räumlichkeiten gewähren ließ. Woanders wurde gleich zur Zensur gegriffen: So forderte der Direktor der Hochschule in Cottbus kurz vor Beginn eines institutsinternen Filmabends, daß Sanctus Sanctus von Thomas Werner nicht gespielt wird. Der Film zeigt den Verlauf einer Betriebskampfdemonstration zum 1. Mai 1988 einschließlich einer wunderschönen Szene, in der der Leiter der Berliner Staatsoper dem Politbüro über fast vier Minuten orgiastisch mit einem roten Tuch zuwinkt.

Auch das Filmen war nicht immer ganz einfach. „Es verging kaum ein Drehtag, an dem wir nicht mit der Polizei in Berührung kamen“, meint Alex Schubert von Film+ Foto Man Ray. Meist blieb es bei Schikanen wie Ausweiskontrollen, was aber für den Drehtag fast immer das Aus bedeutete. Cornelia Clauß wurde sogar verhaftet, als sie für ihr Stadtportrait Halle aus dem Zug die Anlagen des VEB Chemiekombinats Bitterfeld filmte.

In den Genuß staatlicher Unterstützung kamen nur die Amateurfilmclubs in den großen Kombinaten. Die unabhängige Filmszene mußte sich mit Super8-Technik begnügen - durchaus erschwinglich, aber ohne Ton. Statt dessen lief eine Tonkassette parallel zum Film. Bei den improvisationsgeübten DDRlerInnen produzierten derartige technische Zwänge nur neue Ideen. So ist der dreiminütige Scombermix ein wahres Plädoyer für den Stummfilm, das sich auf künstlerische Vorbilder im deutschen Film der 20er Jahre bezieht, ohne diese jedoch platt zu kopieren.

Selig sind die Liebenden, mit 35 Minuten der längste Film, steht für eine andere in der Szene übliche künstlerische Praxis: Da wurde - wie zuletzt bei Jana Miley

-mit bis zu sechs Projektoren gearbeitet, die die sich bewegenden Bilder quer durch den ganzen Raum schossen. Film+ Foto Man Ray beschränken sich auf die Doppelprojektion, mit der sie dem Anspruch einer „Vergangenheits-Gegenwarts-Auseinandersetzung, wie sie von einer Generation der Spät- oder Zu-spätGeborenen gesehen werden kann“, durchaus gerecht werden. Indem die dargestellten Zeitebenen parallel zueinander auf die Leinwand projiziert werden, wird ihr gegenseitiger Bezug deutlich, ohne daß dem Publikum dabei durch Rückblenden eine in sich abgeschlossene Chronologie aufgedrängt wird.

Manchmal jedoch droht das Assoziative in einem wuchtigen Pathos aus Brahms-Requiem und monumentaler Filmästhetik unterzugehen. Doch wer schafft es schon, auf Super8 einen Film mit den ästhetischen Eigenschaften des 7mm -Breitwandformats zu drehen.

Beim Experimentalfilm führt oft der Zufall Regie. „Als ich den Film in die Säure geschmissen habe, wußte ich nicht, was nachher da rauskommt, so erklärt Fayd Jungnickel den Blauton von Ein Film von Film+ Foto Man Ray. Es wäre fast der letzte Film der Gruppe geworden. Nachdem schon Christin Bohnke legal ausgereist war, setzte sich ein weiteres Mitglied via Ungarn in den Westen ab. An ein Wiedersehen nur wenige Wochen später hinter geöffneter Mauer dachte damals noch niemand. Auf der umwegreichen Reise Potsdam-Budapest -Westberlin-Potsdam entstand eine sehr persönliche Hommage an die Ereignisse im Herbst 89. Die Route führte auch durch Bayern, wo Bilder im Aufnahmelager und auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände entstanden, die in Dokument 89 mit Aufnahmen eines FDJ-Aufmarsches gegengeschnitten wurden

-etwas befremdliche Assoziationen, die auch in der Man Ray -Gruppe nicht unumstritten sind. Zu hören ist zu der Collage ein monoton wiederkehrender Trommelschlag.

Inzwischen hat die Gruppe ihr Aktionsfeld erweitert: Zusammen mit StudentInnen der Film- und Fernsehhochschule wurde ein Haus besetzt, in dem später u. a. ein Kino untergebracht werden soll. Neben der Arbeit in der Gruppe sind die Mitglieder auch einzeln aktiv: Thomas Zickler wirkte bei der HFF-Produktion 10 Tage im Oktober mit, die die Wende in der DDR in ihren revolutionären Anfangstagen dokumentiert, und Fayd Jungnickel arbeitet zusammen mit dem Westberliner Filmemacher Andreas Fischer an einer Dokumentation über den Stasi-Knast „Lindenhotel“ in der Potsdamer City.

Bernd Buder „Man soll die Toten schlagen, wenn sie kalt sind“, „Scombermix“, „Selig sind die Liebenden“, „Ein Film von Film+ Foto Man Ray“, „Dokument 89“ am 29. u. 30. März im FSK und am 31.3. und 1. April im Regenbogenkino.