Systemkritiker Wolfgang Harich wurde „zu Unrecht verurteilt“

■ In Ost-Berlin begann ein Kassationsverfahren zum Fall des 1957 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilten Philosophen und Systemkritikers und zweier damaliger Mitangeklagter / Der Generalstaatsanwalt: „Die Verurteilung war eine Verletzung des Gesetzes“

Berlin (dpa) - Der 1957 vom Obersten Gericht der DDR zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilte Philosoph und Systemkritiker Wolfgang Harich war nach Feststellung des Generalstaatsanwalts Hans-Jürgen Joseph unschuldig. In einem am Mittwoch vor dem Präsidium des Obersten Gerichts in Ost -Berlin begonnen Kassationsverfahren beantragte Joseph, das Urteil vom 9. März 1957 aufzuheben und Harich sowie die bei diesem Verfahren ebenfalls verurteilten Manfred Hertwig und Bernhard Steinberg freizusprechen. Sie sollen für die zu Unrecht erlittene Haft entschädigt werden.

Die drei Angeklagten waren wegen angeblicher Staatsverbrechen, konspirativer Handlungen und „Boykotthetze“ nach einem Schauprozeß ins Zuchthaus geschickt worden. Steinberger wurde zu vier Jahren und Hartwig zu zwei Jahren verurteilt. Harich kam nach acht Jahren Haft wieder frei. Das Urteil beruhte, so der Generalstaatsanwalt Joseph, auf einer „Verletzung des Gesetzes“. Von der damaligen Staats- und Parteiführung unter Walter Ulbricht seien Andersdenkende zu Revisionisten gemacht worden. Seine Aufgabe, so der Generalstaatsanwalt, sei es, „die dunklen Seiten der Justiz unseres Landes aufzuhellen.“

Kopf einer

Oppositionsgruppe

Der 1923 geborene Harich war in den 50er Jahren der Kopf einer Oppositionsgruppe, zu der auch die Anfang des Jahres rehabilitierten Walter Janka und Gustav Just gehörten. Janka, ehemaliger Chef des Aufbau-Verlages, Just sowie Heinz Zöger und Richard Wolf waren in einem zweiten Verfahren 1957 ebenfalls zu Zuchthausstrafen verurteilt worden.

Die „Harich-Gruppe“ wollte den DDR-Sozialismus menschlich gestalten und Parteichef Ulbricht durch das ehemalige Politbüromitglied Paul Merker ersetzen.

Harich stellte bei dem Kassationsverfahren den Antrag, alle Akten über das damalige Verfahren offenzulegen. Das ganze seinerzeitige Verfahren sei „Theater“ gewesen.

Das Präsidium des Obersten Gerichts will an diesem Freitag seine Entscheidung in dem Kassationsverfahren verkünden.