Geschenke statt Gelöbnis

■ Sonntag für Sonntag statt Bekenntnissen zum Staat und Sozialismus nun deutsche Dichterbesinnlichkeit bei Jugendweihefeiern in Ost-Berlin

Weißer Saal der Ostberliner Kongreßhalle am Alexanderplatz. Adrett und aufgeputzt lauschen die SchülerInnen der 8. Klasse der 19. Oberschule Berlin-Mitte und ihre Familien Heines Denk ich an Deutschland in der Nacht. Lockere Besinnlichkeit der Gruppe „Rose, Skalei & Georgi“, eine Gesangs- und Instrumentalgruppe, zum „Beginn eines neuen Lebensabschnittes“. Es gibt sie also noch, die Jugendweihefeiern in der DDR. An diesem Sonntag allein in Ost-Berlin 30. Von Ende März bis Ende Mai werden allsonntäglich - außer Ostern! Für dieses Wochenende gibt es ein Arrangement zwischen dem Zentralen Ausschuß für Jugendweihen und den zu neuer gesellschaftlicher Anerkennung gelangten Kirchen, dieses Fest für christliche Feiern freizuhalten - die 13- bis 14jährigen der DDR feierlich in den „Kreis der Erwachsenen“ aufgenommen.

1887 von der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung als „heidnische“ Gegenveranstaltung zur Konfirmation erstmals zelebriert, durfte ab 1954 kein DDR-Kind mehr ohne Jugendweihe erwachsen werden. Zwar hat es offiziell nie einen Teilnahmezwang gegeben, betont Frau Mankiewicz vom Kreisausschuß für Jugendweihe Berlin-Mitte, doch entschuldigt vom Einheitsritual waren nur die, die sich gegen den staatlichen geförderten Trend entschieden und konfirmieren ließen. Selbst deren Eltern sind teilweise aus Angst vor Schul- oder Berufsnachteilen für ihre Sprößlinge nach dem Motto verfahren: Doppelt hält besser. Jugendweihe und Konfirmation hieß die Lösung.

Doch auch an der realsozialistischen Institution „Jugendweihe“, einst in straffer FDJ-Diktion durchgeführt, ist der historische (Zusammen-)Bruch vom November nicht spurlos vorübergegangen. Statt Honecker-Zitate jetzt Heine -Worte. Statt dem Gelöbnis: “...als junge Bürger der DDR ... für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen“, reichen heute schlichte Dankesworte an Eltern und Lehrer und das viel schwierigere Versprechen, ehrlich und aufrichtig zu leben.

Zu der Pubertätskrise nun die Gesellschaftskrise. Jana (13) meint zur Jugendweihe: „Gut. Soll auf jeden Fall bleiben.“ Auch Alena (14) und Rene (13) finden diese Tradition nicht überholt und sind eigentlich ganz froh, „daß man nicht einfach so ohne was ins Erwachsensein reinschlittert“.

Total dagegen ist Antje (14), sie verdammt die Jugendweihe als „kommunistische Tradition“. Aber sie läßt sich ohnehin konfirmieren. Der Bedarf nach dieser feierlichen Zäsur ist auf jeden Fall vorhanden, meint auch Frau Mankiewicz, das zeigen auch die Teilnahmequoten von 85 bis 90 Prozent pro Klasse. In welcher Form sie allerdings fortgesetzt wird, ist angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung unklar. Wichtiger als die Feier für Jeanine (13), und das ist eine typische Haltung, sind die Geschenke, die sie bekommt. Am liebsten ist ihr Geld. So bekommt sie ca. 1.000 Mark zusammen. Auf dem Land gäbe es mehr - schade, meint sie, daß wir in Berlin leben.

Anne Strandt