"Ziel der Koalition: Wohlstand, Freiheit, Einheit"

In der Präambel zu den „Grundsätzen der Koalitionsvereinbarung“ vom 12. April 1990 heißt es:

„Ziel der Koalition ist:

-Wohlstand und soziale Gerechtigkeit für alle Bürger der DDR zu sichern

-Freiheit und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen

-Die Einheit Deutschlands nach Verhandlungen mit der BRD auf der Grundlage des Art. 23 GG zügig und verantwortungsvoll für die gesamte DDR gleichzeitig zu verwirklichen und damit einen Beitrag zur europäischen Friedensordnung zu leisten.

Bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung der DDR oder, falls es nicht dazu kommt, bei der Veränderung des Grundgesetzes ist es das Verhandlungsziel der Regierung, die sozialen Sicherungsrechte als nicht einklagbare Individualrechte einzubringen. Das gilt vornehmlich für das Recht auf Arbeit, Wohnung und Bildung. Diese Rechte werden in der Form von Staatszielbestimmungen gewährleistet.“

In dem Dokument heißt es weiter, die Koalitionspartner seien sich darin einig, daß der Inhalt „insbesondere des zu erwartenden Staatsvertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion den heutigen Vereinbarungen zwischen den Koalitionsfraktionen in ihren Grundzügen entsprechen“ müsse.

Außenpolitik

Im Abschnitt „Außen- und sicherheitspolitische Grundpositionen“ heißt es, daß die polnische Westgrenze von beiden deutschen Staaten völkerrechtlich verbindlich anerkannt werden soll. Nach der Vereinigung soll der Artikel 23 des Grundgesetzes gestrichen werden. Weiter heißt es in dem Dokument, daß die Prinzipien von Helsinki und die Dokumente der Helsinki-Nachfolgekonferenzen völkerrechtlich verbindlich werden und daß die KSZE eigene Institutionen erhalten sollen. Es liege in deutschem Interesse, daß Deutschland fest integriert ist in die EG und in ein künftiges gesamteuropäisches Sicherheitssystem.

„Vertragliche Verpflichtungen der DDR gegenüber Dritten behalten ihre Gültigkeit und werden erforderlichenfalls einvernehmlich mit dem jeweiligen Vertragspartner modifiziert.„

In einem Unterabschnitt „Der Einigungsprozeß und die Außenpolitik“ heißt es: „Es ist davon auszugehen, daß das vereinigte Deutschland für eine Übergangszeit bis zur Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems Mitglied der sich in ihren militärischen Funktionen verändernden NATO sein wird. Die NATO-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands ist den osteuropäischen Staaten nur zumutbar, wenn damit sicher das Aufgeben bisher gültiger NATO-Strategien, wie Vorneverteidigung, flexible Response und nuklearer Ersteinsatz, verbunden ist.„

Die Streitkräfte der DDR sollten

in der Übergangszeit weiterexistieren und weder der Bundeswehr noch der NATO angehören. Bei den angestrebten Abrüstungsschritten „sollten die deutschen Streitkräfte zusammen nicht größer sein als die in Mitteleuropa stationierten amerikanischen oder sowjetischen Streitkräfte. (...)

Die DDR verzichtet auf Herstellung, Weitergabe und Besitz von ABC-Waffen und strebt einen entsprechenden Verzicht des geeinten Deutschlands an. Sie tritt außerdem ein für ein globales Verbot chemischer Waffen noch in diesem Jahr, die Stärkung und Weitergeltung des Nichtweiterverbreitungsvertrages und die Fortsetzung des nuklearen Abrüstungsprozesses.“

Es wird weiter festgehalten, daß durch eine neue Sicherheitsordnung die Voraussetzungen für „die Ablösung der Rechte der Alliierten des Zweiten Weltkrieges für Deutschland als Ganzes“ geschaffen werden. Um die Brückenfunktion Deutschlands zwischen Ost und West auszudrücken, soll Berlin die deutsche Hauptstadt sein.

Ferner heißt es: „Die Regierung der DDR strebt die Selbstverpflichtung des vereinigten Deutschlands an, (...) ein friedliches Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in Deutschland zu gewährleisten.„

In einem weiteren Unterabschnitt wird u.a. das Eintreten der Regierung für die Einstellung der Kriegswaffenproduktion bis 1992, die Umstruktierung der NVA und den Abzug aller ABC -Waffen von deutschem Boden festgelegt.

Zur Entwicklungspolitik wird u.a. festgelegt: „Die Regierung der DDR setzt sich für die Umsetzung eines Teils des Rüstungsausgaben beider deutscher Staaten für eine gesamtdeutsche Entwicklungspolitik ein.„

Innen- und Rechtspolitik

„Um den inneren Frieden in unserer Gesellschaft zu sichern, bedarf es einer verfassungsrechtlichen Grundlage“, heißt es in diesem Abschnitt. „Die Koalition tritt bei der weiteren Gestaltung der Verfassung für Übergangsregelungen ein, die sowohl die Verfassung von 1949 als auch den Verfassungsentwurf des Runden Tisches berücksichtigen.„

Zur Verwaltungsreform wird ausgeführt, daß „die Schaffung der Länder möglichst in Anlehnung an die bis 1952 geltende Struktur einschließlich der Neuorganisation der Landkreise erfolgen„ soll. Ein Berufsbeamtentum wird abgelehnt.

Des weiteren tritt die Koalition dafür ein, daß eine Umgestaltung des Justizapparates personell differenziert und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfolgt. „Richter und Staatsanwälte, die insbesondere in politischen Strafsachen rechtsstaatliche und verfassungsrechtliche Grundsätze verletzt haben, können nicht im Amt verbleiben.„

Als konkrete Aufgaben werden unter anderem aufgeführt: Bildung eines Verfassungsgerichts, schrittweise Schaffung einer umfassenden

Verwaltungsgerichtsbarkeit, Aufbau von gesonderten Arbeits und Sozialgerichten, Umgestaltung der Vertragsgerichte in ordentliche Gerichte, Schaffung einer freien Advokatur, Zulassung von Einzelnotaren bzw. Anwaltsnotaren, Abschaffung der Militärgerichte, Eingliederung der Staatsanwaltschaft in das Justizwesen entsprechend der Gewaltenteilung, Beibehaltung bzw. Neuordnung der Mitwirkung der Bürger an der Rechtsprechung sowie Gewährleistung kostenloser Rechtsauskunft.

Ein Datenschutzbeauftragter sollte vom Parlament eingesetzt werden. „Es darf keine Geheimpolizei geben. Ein Verfassungsschutz mit polizeilichen bzw. strafprozessualen Befugnissen ist unzulässig.„

Im Unterabschnitt „Bewältigung der SED-Vergangenheit“ wird ausgeführt, daß eine dem Innenminister unterstehende Kommission die Auflösung des MfS/AfNS vorantreiben soll. Weiter soll „eine völlige Offenlegung des Vermögens der SED/PDS erfolgen“.

Währungsunion

In der Koalitionsvereinbarung wird festgelegt: „Die Herstellung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gehört zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion können nur gleichzeitig in Kraft treten.“ Als Termin wird der 1. 7. 1990 genannt.

„Dazu sind folgende Einzelheiten in einem Staatsvertrag zwischen der DDR und der BRD festzuschreiben:

-Differenzierter Umtausch der Sparguthaben und Versicherungen mit Sparwirkung der Bevölkerung der DDR im Verhältnis 1 : 1.

-Nach einer Umlage bisheriger Produkt- und Leistungssubventionen zugunsten einer Pro-Kopf-Zulage Umstellung der Löhne und Gehälter im Verhältnis 1 : 1.

-Nach einer Umlage bisheriger Produkt- und Leistungssubventionen zugunsten einer Pro-Kopf-Zulage Umstellung der Renten im Verhältnis 1 : 1, bei schrittweiser Anhebung der durchschnittlichen Mindestrenten auf 70 % des Arbeitseinkommens in Verbindung mit einer dynamischen Rentenentwicklung.

-Streichung bzw. Umbewertung der Inlandsverschuldung der VEB zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Durchsetzung von Anpassungshilfen für wettbewerbsfähig organisierbare Betriebe, z.B. auch durch Entschuldung im Rahmen der in der EG üblichen Sanierungsverfahren.“

Sozialunion

Das Dokument umreißt auch die „Inhalte einer Sozialunion“, die folgende Inhalte zusätzlich zu den für die Währungsunion geforderten enthalten soll:

-Gesetzliche Regelung zum Kündigungsschutz (mit besonderer Berücksichtigung von Frauen, Alleinerziehenden, Geschädigten und kinderreichen Familien), zum Arbeitsvertragsrecht usw. durch

Überarbeitung des Arbeitsgesetzbuches der DDR.

-Beibehaltung bzw. Einführung einer allgemeinen Rentenpflichtversicherung.

-Mietpreisbindung für Wohnraum in Abhängigkeit von der allgemeinen Einkommensentwicklung, Wohngeld für sozial Schwache, Kündigungsschutz für Mieter.

-Sicherung des Rechtes auf Wohnraum durch Aktivierung des sozialen Wohnungsbaus unter Berücksichtigung von Behindertenwohnungen und altersgerechtem Wohnraum.

-Arbeitsförderungsgesetz für die Gestaltung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik (darunter Arbeitslosenunterstützung nach BRD-Modell mit einem Anfangswert von 70 % des Netto -Einkommens).

-Sicherung der Belange von Frauen bei Arbeitsvermittlung, Umschulung und Qualifizierung.

-Schaffung eines Tarifvertragsgesetzes.

-Gesetz zur Übernahme des Mitbestimmungsgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes der BRD in angepaßter Form. Ersatz des Gewerkschaftsgesetzes durch Regelungen in Verfassung und Vereinigungsgesetz.

Die Koalitionsvereinbarung zählt eine Reihe von Gesetzgebungsvorhaben zur Wirtschaftsreform auf und enthält ein umfangreiches, in sich geschlossenes Paket von Maßnahmen auf dem Finanzgebiet, die in diese Vorhaben eingebunden werden sollen.

Eigentumsordnung

Ferner werden folgende Maßnahmen auf dem Gebiet der Eigentumsproblematik als erforderlich bezeichnet:

-Anerkennung der alliierten Rechtsprechung

-Gesetz zur Sicherung der Eigentumsrechte aus der Bodenreform

-Gesetz zur Sicherung sonstiger Eigentums- und Besitzrechte der DDR-Bürger, wo in Treu und Glauben Eigentums- und Nutzungsrechte erworben werden

-Rechtsvorschrift zur Rechtsstellung kommunalen, genossenschaftlichen und staatlichen Eigentums

-Gesetz zur Sicherung des Volkseigentums an Gebäuden zu Wohnzwecken, wobei die Bildung von Eigentum an Wohnraum durch die Mieter ermöglicht werden sollte.

Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, daß Grund und Boden grundsätzlich handelbar ist. Bei der Übertragung von Grund und Boden in Privathand soll u. a. durch Bau- und Bodenrecht Spekulation verhindert werden.

„In einer Übergangszeit von 10 Jahren kann natürlichen und juristischen Personen, die an einem bestimmten Stichtag nicht ihren Sitz in der DDR haben, grundsätzlich nur ein Erbpachtrecht mit Vorkaufsrecht nach Ende der Übergangszeit zu den dann marktüblichen Preisen eingeräumt werden“, legt die Vereinbarung u. a. fest.

In einem Unterabschnitt „Privatisierung und Vermögensbildung“ wird konstatiert, die Koalitionspartner seien sich darüber einig, „daß das bisherige Volkseigentum im Sinne einer marktwirtschaftlichen Ordnung grundsätzlich innerhalb geeigneter Rechtsformen in Eigentum von Privaten und in besonders begründeten Fällen in Eigentum von Gebietskörperschaften überführt wird“.

Als Merkmale eines dafür geeigneten Modells werden u. a. folgende genannt:

-Die volkseigenen Betriebe werden in wirtschaftlich sinnvoller Weise entflochten und in geeignete Rechtsformen überführt.

-Die Treuhandgesellschaft, deren Kontrollorgan qualifiziert und ausreichend besetzt wird und der Volkskammer verantwortlich ist, übernimmt die Vermögensrechte der umgewandelten Gesellschaften für eine Übergangszeit. Der Finanz- und der Wirtschaftsminister sind gesetzliche Mitglieder des Kontrollorgans der Treuhandgesellschaft.

-Die Treuhandgesellschaft arbeitet nach dem Muster einer Unternehmensbeteiligungsgesellschaft (UBG) der BRD. Wie diese kann sie Aktien und Anteilsscheine ausgeben.

Umwelt

Zum Komplex Umweltschutz und Energie wird in der Koalitionsvereinbarung u. a. das Vorsorge- und das Verursacherprinzip fixiert. Diese sollen durch ein Umweltordnungsrecht, marktwirtschaftliche Instrumente und unabhängige Kontrolle durchgesetzt werden.

Das Dokument spricht sich aus für einen Strukturwandel zugunsten abproduktarmer und umweltverträglicher Produktion, den Aufbau einer leistungsfähigen Umweltindustrie, die Förderung des sparsamen Umgangs mit natürlichen Ressourcen, einschließlich Recycling, sowie für die schrittweise Stilllegung von stark umweltgefährdenden Produktionsstätten. Außerdem werden die Eckpunkte einer Umweltschutzgesetzgebung markiert, darunter die Schaffung eines Umweltstrafrechts.

Weiter heißt es in diesem Zusammenhang: „Die Frage des Einsatzes von bestehenden und in Bau befindlichen Kernkraftwerken zur Energieversorgung ist durch Konsens innerhalb der Koalition zu entscheiden. Die Entscheidung über den Bau weiterer Kernkraftwerke auf dem Territorium der DDR, einschließlich KKW Stendal 2. Ausbaustufe, bleibt einer künftigen gesamtdeutschen Regierung vorbehalten.„

Landwirtschaft

Als unabdingbar charakterisiert das Koalitionsdokument „eine vielfältig strukturierte, leistungsfähige und ökologisch orientierte Land- und Forstwirtschaft“.

Alle Eigentumsformen in der Land- und Forstwirtschaft sollen gewährleistet und rechtlich gleich

gestellt sein. Eigentumsverhältnisse, die im Ergebnis der Bodenreform auf dem Territorium der DDR entstanden sind, sollen nicht in Frage gestellt werden. Strittige Eigentumsverhältnisse sollen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der Bundesrepublik unter Beachtung von Lastenausgleichsmaßnahmen geprüft werden. Unrechtmäßige Enteignungen nach der Bodenreform sollen überprüft werden. Es soll ein neues Bodenrecht geschaffen werden, das dem Boden wieder Wert gibt.

„Alle nach dem 7.10. 1989 erfolgten Eigentumsveränderungen an Grund und Boden sowie Immobilien sind auf die Einhaltung geltender Gesetze zu überprüfen und gegebenenfalls für nichtig zu erklären.„

Zu den vordringlichen gesetzgeberischen Maßnahmen werden gezählt: ein Bodengesetz, die Aufhebung des LPG-Gesetzes sowie ein Genossenschaftsgesetz.

Kultur, Medien, Bildung

Die Kulturpolitik soll frei von jeglicher staatlicher Reglementierung ungehindertes kulturell-künstlerisches Schaffen gewährleisten.

Im Abschnitt „Medienpolitische Übereinkünfte“ wird u. a. die „schnellstmögliche Einführung eines dem bundesdeutschen Kartellrecht entsprechenden Rechts in den Bereich der Medien in der DDR festgelegt.

Der Abschnitt zur „Bildungspolitischen Übereinkunft“ hält u. a. die Gleichberechtigung privater und öffentlicher Schulen fest.

Die seit Oktober 1989 eingestellten Lehrer und Erzieher, die hauptamtliche Mitarbeiter des MfS gewesen sind, sollen auf ihre fachliche Qualifikation überprüft und gegebenenfalls aus dem Schuldienst wieder entlassen werden.