D-Mark bringt Wettbewerb ins Land

■ Reinhold Wutzke, designierter Vizepräsident des in Gründung befindlichen (Kartell-)Amtes für Wettbewerbsschutz der DDR begründet im taz-Interview, warum ihm die geplanten deutsch-deutschen Kooperationen weniger Angst vor künftigen marktbeherrschenden Konzernen einflößen als Hoffnungen bringen auf größeren Wettbewerb

taz: Bei Ihrem neuen Amt fehlt noch einiges: Außer dem Türschild, auch das Gesetz, aufgrund dessen Sie tätig werden können. Was machen Sie eigentlich jetzt, da der einschlägige Gesetzesentwurf noch gar nicht verabschiedet ist?

Reinhold Wutzke: Zum einen haben wir ja das Gesetz selbst vorbereitet, wesensgleich mit dem bundesdeutschen Gesetz mit einigen Anpassungsregeln. Wir haben uns geeinigt, daß wir bis zum Zeitpunkt der schnellstmöglichen Verabschiedung Empfehlungen ausarbeiten für die Regierung, die zur Zeit als Sachwalter der Betriebe bei Unternehmenszusammenschlüssen fungiert. Maßstab ist dabei auch heute schon der Gesetzentwurf. Im übrigen wird auch eine rückwirkende Anwendung des Gesetzes möglich sein bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Joint-venture-Verordnung am 26. Januar 1990.

„Wir wollen Signale setzen, daß ausländische Investoren kommen“

Fühlen Sie sich als kleine, in Gründung befindliche Dienststelle mit noch wenig Beschäftigten nicht unter einem ungeheuren Druck angesichts der Größenordnung und Namen der angepeilten Elefantenhochzeiten: Lufthansa, Allianz, Deutsche Bank und diverse Automobilkonzerne einerseits und die entsprechenden ehemaligen staatlichen Monopolunternehmen der DDR. Droht da nicht der Kampf gegen Windmühlenflügel?

Nein, so kommen wir uns eigentlich nicht vor. Sicher ist es aufwendiger, derartige Großunternehmen mit 200, 300 verschiedenen Produkten zu untersuchen, weil da mehr Märkte abzugrenzen sind. Aber der große Name allein macht's ja nicht. Wir verspüren keinen Druck. Wir müssen versuchen, sehr ausgewogen zu entscheiden in dieser sensiblen Übergangsphase. Unter Umständen sind wir dabei schlecht beraten, nur streng nach dem Buchstaben des Gesetzes wettbewerbliche Gesichtspunkte zu betrachten, und das ganze wirtschafts- und währungspolitische Umfeld mit all seinen Konsequenzen außer acht zu lassen. Deshalb haben wir im Gegensatz zum Bundeskartellamt ja so lange einen Ermessensspielraum, bis sich der Wettbewerb entfaltet hat. Jetzt wollen wir erstmal Signale setzen, daß ausländische Investoren hier tätig werden, sich mit vorhandenen Unternehmen zusammentun und das Verwertbare übernehmen können.

Heißt Ermessensspielraum Ihres Amtes für Wettbewerbsschutz auch, daß Sie als Partner der ehemals staatlichen Monopolversicherung der DDR ausgerechnet die westliche Allianz-Versicherung begrüßen, gerade weil die aufgrund ihrer starken, marktbeherrschenden Stellung in der BRD in der Lage ist, die Sicherheit der Einlagen bei der DDR -Versicherung zu garantieren?

Wenn die Versicherungen erhalten bleiben, wie sollte ich dann den Versicherten eine Ablehnung aus wettbewerbspolitischen Gründen erklären? Bisher hat sich auch noch kein anderer Kandidat als die Allianz richtig ernsthaft interessiert. Im übrigen ist es die Frage, ob die Bedingungen auf dem DDR-Markt auch weiterhin so bleiben und eine Marktbeherrschung droht. Wir können doch darauf achten, ob der Vertrag zwischen der Allianz und der DDR-Versicherung die Niederlassungsfreiheit anderer Unternehmen gewährleistet, und durch die Lizenzvergabe deren Arbeitsmöglichkeiten selbst sichern. Zum selben Zeitpunkt, da die Einheit Allianz-Deutsche Versicherung in Kraft tritt, muß auch jedes andere Unternehmen Versicherungsleistungen anbieten dürfen. Entsprechend müssen die Regelungen über Pflichtversicherungen gestaltet sein.

Es ist doch aber trotzdem bemerkenswert, daß die Wettbewerbshüter die Stärke des künftigen Fusionspartners als positives Entscheidungskriterium ansehen.

Das ist so, aus gesamtwirtschaftlichen Gründen.

Diese übergeordneten Gesichtspunkte können ja in der Bundesrepublik auch eine Rolle spielen. Der Bundeswirtschaftsminister kann nach einem Verbot durch das Kartellamt die Ministererlaubnis erteilen, wenn er den Unternehmenszusammenschluß aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen begrüßt. Fänden Sie es nicht auch besser, die Prüfung zwei verschiedenen Instanzen zu überlassen, so daß sich die Wettbewerbshüter auf die Prüfung der wettbewerblichen Konsequenzen eines Zusammenschlusses konzentrieren können?

Wir hatten ja bisher noch kein Wirtschaftsministerium, geschweige denn eine entsprechende Abteilung, die dafür zuständig wäre. Deshalb haben wir uns darauf geeinigt, daß diese Entscheidungen vorerst in einer Behörde getroffen und später sauber getrennt werden. Sicher ist das ein Problem, das in enger Zusammenarbeit mit dem Ministerium gelöst werden muß. Wir haben bei uns sozusagen die Ministererlaubnis eingearbeitet in der Fusionskontrolle unseres Amtes. Meines Wissens war im Falle MBB auch der übergeordnete Gesichtspunkt Sicherung von Arbeitsplätzen entscheidend bei der Ministererlaubnis der Fusion mit Daimler Benz.

„Wir haben nicht viel Zeit“

Immerhin konnte das Kartellamt offen seine Mißbilligung über das Zurückstellen von wettbewerblichen Kriterien aussprechen. Das können Sie ja nicht, wenn Sie beides berücksichtigen müssen.

Ja, aber wir haben nicht viel Zeit. Wir wollen nicht jetzt erst alles verbieten und später mit Ministererlaubnis wieder gestatten. Dieser Instanzenweg dauert doch viel zu lange. Wir müssen jetzt zusammen mit den zuständigen Stellen klären, ob Gründe des Gesamtinteresses stärker wiegen.

Mit den zwei Seelen in Ihrer Brust haben Sie keine Probleme?

Wir müssen damit leben, wegen der Kürze der Zeit, die wir haben, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Wie sieht es im Falle der Deutschen Bank und ihrem Einstieg bei der Nachfolgebank der alten Staatsbank zum Zwecke der Übernahme ihrer Filialen aus?

Das werden wir uns in allen Einzelheiten ansehen. Wir haben gerade die Bitte an die Deutsche Kreditbank AG - die Rechtsnachfolgerin der Staatsbank im Geschäftsbankenbereich

-formuliert, uns die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ich meine aber, daß man auch hier möglicherweise vorschnell von einer Elefantenhochzeit spricht und entsprechende Zensuren verteilt.

Auch angesichts der Größenordnungen beider Banken?

Das Bankensystem der DDR ist doch im kompletten Umbruch. Die Filialen der Staatsbank waren nicht die Masse der hier tätigen Kreditinstitute gewesen. Wenn jetzt die Sparkassen in die Geschäftsbereiche der ehemaligen Staatsbank miteinsteigt mit einem viel breiteren Filialnetz und auch noch nicht einmal sicher ist, wieviele Filialen die Kreditbank in das gemeinsame deutsch-deutsche Unternehmen einbringt, sind solche Äußerungen doch verfrüht. Der Ausgangspunkt im Falle Allianz und Staatliche Versicherung war wesentlich anrüchiger. Sparkassen gibt's viele, Versicherungen gab's nur eine.

Bei Entscheidungen über deutsch-deutsche Kooperationen liegt doch das Hauptproblem jetzt darin, daß es laut bundesdeutschem Kartellgesetz noch keine Möglichkeit gibt, eine mögliche Marktbeherrschung im geplanten gemeinsamen Wirtschaftsraum zu berücksichtigen. Eine Rolle spielen dürfen nur Rückwirkungen auf den rein bundesdeutschen Markt. Können Sie diese Lücke durch Ihr Gesetz jetzt füllen?

Auch laut unserem Gesetz können nur die jeweils getrennten Märkte untersucht werden. Um die Auswirkungen für die Zeit nach der Wiedervbereinignug zu betrachten, und in dieser Hinsicht unerwünschte Zusammenschlüsse zu verhindern, haben wir die deutsch-deutsche Arbeitsgruppe Wettbewerb gegründet.

Die hilft doch aber auch nichts. Wenn Sie aufgrund potentieller Auswirkungen auf einen gemeinsamen Wirtschaftsraum eine Fusion untersagen, könnten also die Unternehmen mit guter Aussicht auf Erfolg dagegen klagen.

Ob in einem künftigen gesamtdeutschen Wirtschaftsraum ein fusioniertes Unternehmen tatsächlich eine marktbeherrschende Stellung innehaben wird, ist ja oftmals noch gar nicht klar. Ich denke, das träfe auf relativ wenige Fälle zu.

Aber bei denen würde es für Sie schwierig.

Das würde schwierig. Da wäre die deutsch-deutsche Arbeitsgruppe gegebenenfalls gefordert.

Konnte man denn kein Gesetz schaffen, das die gesamtdeutschen Auswirkungen jetzt schon berücksichtigt?

Das ist jetzt alles noch theoretisch. Es muß erst mal ein Fall vorliegen. Wenn, dann muß man prüfen, welche Bestimmungen anwendbar sind, ob beispielsweise mit der EG -Fusionskontrolle gearbeitet werden kann. Gehen wir doch einmal davon aus, daß die Wiedervereinigung in zwei Jahren stattfindet. Wenn jetzt ein Fall durch alle Instanzen ginge, dürfte das rund drei Jahre mit aufschiebender Wirkung dauern, während derer viel passieren könnte. Wir haben heute auch gar nicht die Kraft, gesetzlich etwas zu verändern. Da müßte das Bundeskartellamt oder das Wirtschaftsministerium initiativ werden. Die sind wesentlich sachkundiger als wir. Aber der Instanzenweg für eine solche Novellierung würde auch länger dauern als bis zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung. Man kann es also drehen und wenden wie man will, es bringt nichts.

Warum haben Sie denn aber aber Ihren jetzigen Gesetzesentwurf nicht entsprechend gestaltet, daß er auch Marktbeherrschungen im künftigen Gesamtwirtschaftsraum berücksichtigt?

Ich glaube nicht, daß wir hier ein Recht hätten schaffen können, was auch in der BRD greift. Sicher hätten wir dem DDR-Kooperationspartner hier sagen können, tut uns Leid, wir erlauben's nicht. Das haben wir nicht gemacht, richtig.

Betrachten Sie Ihre Aufgabe eigentlich als die Verhinderung künftiger Monopolbildung oder als eine Demonopolisierung?

Es handelt sich darum, daß wir vorhandene marktbeherrschende Stellungen nicht verstärken wollen. Es ist ja wohl gesetzlich nicht möglich, eine marktbeherrschende Stellung aufzuknacken, ohne daß irgendein Fusionsvorhaben vorliegt. Wenn jemand aus eigener Kraft ohne Zusammenschlüsse in eine marktbeherrschende Stellung gelangt, können wir überhaupt nichts machen.

Aber wie können Sie denn den Verdacht entkräften, daß bei Ihnen der Bock zum Gärtner gemacht wird, daß in Ihrem Amt jetzt diejenigen zur Verhinderung marktbeherrschender Strukturen eingesetzt werden, die einst an den Monopolstrukturen der Kombinate mitgebastelt haben?

Nicht jeder, der in Kombinaten leitend tätig war, ist verantwortlich für die Monopolisierungstendenzen in der DDR -Wirtschaft. Wir achten aber in unserem Amt darauf, daß niemand eingestellt wird, der als Stratege in der Wirtschaft oder Verwaltung bei der Entwicklung marktbeherrschender Strukturen die Fäden gezogen hat.

Ist denn Ihre Ausgangslage in der doch stark monopolisierten DDR-Wirtschaft nicht depremierend, beispielsweise im Einzelhandel?

Richtig, die Wirtschaft ist sehr stark monopolisiert. Aber auch das hat uns veranlaßt, den Ermessensspielraum einzuräumen. Diese Situation gilt doch nur für den jetzigen Binnenmarkt DDR. Mit der Währungsunion hat dann jeder Bürger eine Währung in der Hand, mit der er auf den internationalen Markt gehen kann. Die Monopolstellung fällt doch mehr oder weniger in sich zusammen, wenn die D-Mark-Nachfrage in der DDR da ist.

„D-Mark-Nachfrage schafft Wettbewerb“

Vorerst gibt es im Westen doch aber erst mal zahlungskräftige Nachfrage für den Aufkauf von DDR -Großbetrieben zur Sicherung künftiger Monopolstellungen.

Für solche Pläne gibt es Anzeichen, konkrete Verträge habe ich noch nicht gesehen. Wenn in den Kooperationsverträgen Klauseln stehen, die die Sicherung einer Monopolstellung anstreben, müssen wir uns die genau ansehen. Aber auch hier müssen wir den Monopolbegriff doch genau überprüfen. Die Größe des Tankstellennetzes beispielsweise ist gegenüber der Bundesrepublik sehr unterentwickelt. Wenn im Zuge der Niederlassungsfreiheit Dritte aus dem Westen hereinkommen, fördert das doch den Wettbewerb. Wenn wir Absprachen über Gebietsaufteilungen feststellen, werden wir das untersagen.

Beim Grossovertrieb von Zeitungen und Zeitschriften haben sich schon vier westliche Großverlage im Zuge von Gebietsabsprachen den Markt aufgeteilt.

Wir haben auch dies im Auge, aber bevor hier ein Vertrag abgeschlossen ist, können wir noch nichts machen. Bislang gibt es nur eine Absichtserklärung, und daraus ergibt sich nur eine Minderheitsbeteiligung der westlichen Verlage am Grossobetrieb. In der nächsten Woche wollen wir uns allerdings zusammensetzen und darüber sprechen, ob tatsächlich die Großverlage hier die kleinen aus ihrem Grossovertrieb herausgenommen haben, wie das in der Zeitung steht.

Aber auch dies ist politisch eine hochbrisante Sache. Wie soll ich den Bürgern der DDR klarmachen, daß ich aus wettbewerblichen Gründen den Westverlagen das Geschäft verbiete, wenn alle die Zeitungen kaufen wollen? Wettbewerblich ist es klar, was besser wäre, aber die Leute wollen die Zeitungen nicht mehr missen. Im übrigen müssen die DDR-Zeitungen auch noch etwas mehr tun, als nur nach wettbewerblichem Schutz rufen, um am Markt bestehen zu können - an Aktualität, an Qualität usw. Nur der Ruf nach Wettbewerbsschutz, der ist mir zu dünne. Wenn die DDR-Presse schreibt, daß die Regierung jetzt aufgewacht sei, endlich Anstalten mache, ein Wettbewerbsrecht zu beschließen, und dabei überhaupt nicht merkt, daß westdeutsche Zeitungen seit acht Wochen über den Entwurf dieses Gesetzes schreiben, dann schläft sie. Dann verdient sie den Schutz nicht. Dann wird sie nicht vom Pressegrosso aus dem Markt gedrängt, sondern aus Gründen der eigenen journalistischen Fähigkeiten und Erfolge. Ich sehe das Amt für Wettbewerbsschutz nicht als Institution, die auf lange Sicht niedriges Niveau, niedrige Effizienz oder niedrige Qualität schützen soll.

Wie beurteilen Sie eigentlich aus Ihrer Sicht die Wettbewerbslage der Bundesrepublik. Nicht nur die Presse, auch Ihre Kollegen vom Bundeskartellamt sind ja bisweilen erzürnt über Ministererlaubnisse, die wie im Falle Daimler -MBB ihre Untersagung aufheben und der Monopolisierung freien Lauf lassen.

Es fällt mir wirklich schwer, mich dazu zu äußern. Die Begründung für die Ministererlaubnis im Fall Daimler-MBB erschien mir einleuchtend. Daß es für eine solche Behörde nicht leicht ist, zu akzeptieren, daß andere Gründe für wichtiger gehalten werden, als die eigenen Ablehnungskriterien, ist auch klar. Wenn ich Bilanz ziehe, wo die Wirtschaft der BRD heute steht, und davon ausgehe, daß der Grund dafür der Wettbewerb war, so war der Wettbewerb offenbar geschützt, auch international. Da ist doch genau das herausgekommen, was die Planwirtschaft eben nicht geschafft hat.

Interview: Ulli Kulke