DIE ALLTÄGLICHE VERBOGENHEIT

■ Michael H. bekennt: „Ich war irgendwie froh, daß sie mich verließen“

(...) Ich habe mir eigentlich immer relativ komplizierte Frauen ausgesucht. Ich erlebe diese Frauen als stark, weil sie in ihrer Sicht von Welt viel mehr Aspekte durchdringen und natürlich auch für mich eine viel größere Herausforderung darstellen. Mich hat es immer sehr gereizt, die Welt so gebrochen zu sehen, und zwar durch eine relativ komplizierte Frau, die eine Menge von Leben vor mir ausbreitet. (...)

Da Frauen immer diejenigen waren, die mir sagen konnten, wo es langgeht, sollte ich doch einmal versuchen zu schildern, wie die Beziehungen mit ihnen ablaufen. (...) Es waren aber immer die Frauen, die mich verlassen haben. Erklärtermaßen weil sie sich an mir kaputtgeackert haben. Ich tat nichts, um sie zurückzuhalten. Ich war irgendwie froh, wenn sie mich verließen.

Das Entscheidende ist eigentlich, daß ich in Beziehungen kein Risiko eingegangen bin. Sobald es für mich riskant wird, bin ich weg. Ich hüte mich, mich so weit einzulassen, daß es mir an den Kragen gehen könnte oder daß ich gar verletzt werden könnte. (...)

Ich habe mich übrigens noch nie in eine Frau verliebt, die sich nicht zunächst in mich verliebt hat. Das Risiko wäre mir zu groß. Da müßte ich ja den ersten Schritt tun, oder auch weiter gehen als sie. Ich liefe Gefahr, mich in eine Frau zu verlieben, die mich vielleicht nicht liebt. Um Gottes willen! (...)

Noch heute fühle ich zwei Reaktionsweisen, die sich durch mein ganzes Leben ziehen. Und vielleicht sind sie relativ typisch gerade für Männer. Einerseits habe ich ein ganz starkes „Du mußt“ in mir: Du mußt gut sein, du mußt stark sein, du mußt in deinem Beruf erfolgreich sein, du mußt zärtlich sein. Daneben aber ist das trotzige Kind, das sagt: „Du kriegst mich nicht! Du kannst mich noch so fordern, du kriegst mich nicht!“

So habe ich dann auch meine Beziehungen gestaltet, indem ich sie einerseits als „Du mußt!“ definierte. Danach habe ich mir auch die Frauen ausgesucht, nämlich solche, die sehr leicht zugriffen. Die richtig auf mich zukamen, mich festhielten und Druck auf mich ausübten. Und schon hatte ich meine Fäuste geballt und mir gesagt: Du kriegst mich nicht, du nicht!“ Äußerlich habe ich anders getan: „Es ist alles okay. Ich bin zärtlich zu dir und habe immer einen steilen Penis.“ Aber letztlich bekommen hat mich keine.

Michael H.

Aus: „Angst vor Kontakt“ des Kommunikationswissenschaftlers Michael H. In: „Männer - Zehn exemplarische Geschichten“, herausgegeben von Helga Dierichs und Margarete Mitscherlich, Frankfurt 1980.