Der gute Sohn

■ Nick Cave auf Tournee und ein Porträt-Film, „The Road to God Knows Where“

Caves neue Platte „The Good Son“ mit den bewährten „Bad Seeds“, eingespielt in Sao Paulo (Brasilien), ist mehr als jedes Album davor Musik gewordene Melancholie. Eine jener seltenen Platten, die einem das Herz groß und schwer werden lassen. The Good Son hinterläßt den Hörer mit dem seltsamen Gefühl, unverstanden und einzigartig zu sein. Nick Cave erzielt heute damit eine ähnliche Wirkung, wie sie Ende der 60er Jahre von Leonard Cohens schwermütig-verworrenen Balladen ausging.

Mit Cohen verbindet Cave auch die Vorliebe für mystische, religiöse Texte. Die Bibel ist für Nick Cave unerschöpflicher Quell der Inspiration - seit seinem 85er Album The Firstborn Is Dead greift er immer wieder biblische Mythen und Gleichnisse auf. Nicht nur in seinen Songtexten, auch in seinem kürzlich erschienenen ersten Roman And The Ass Saw The Angel (der im Herbst auch auf Deutsch erhältlich sein wird) läßt Cave sich in weiten Teilen von der Wortgewalt alter Bibeltexte leiten.

Von Heiterkeit und leichter Muse auch beim Schriftsteller Nick Cave keine Spur. Ein ernsthafter Mensch, getrieben vom ständigen Drang nach Veränderung. Seßhaft werden scheint für Cave ein beklemmender Gedanke zu sein. So hielt es ihn schon Anfang der Achtziger nicht mehr in seiner ursprünglichen Heimat Australien: Mitsamt seiner „Birthday Party“ ging er nach Europa, wo er dann schließlich in Berlin Freunde und vorübergehend Zuflucht fand. Die „Einstürzenden Neubauten“ und insbesondere deren Sänger/Texter Blixa Bargeld wurden zu geistesverwandten Weggefährten. Blixa ist auch Mitglied der „Bad Seeds“ und singt auf der neuen Platte den wohl ergreifendsten Titel Weeping Song mit Nick im Duett.

Der Lärm verschwindet aus der Musik, nicht nur bei Nick Cave, sogar schon bei Gruppen wie „Neubauten“. Und doch erscheint es nicht befremdend, daß der ehemals so exzessive Frontman der „Birthday Party“, der sich auf der Bühne schon mal den Brustkorb aufschlitzte , jetzt im Anzug mit Weste auf die Bühne tritt und ergreifend filigrane, melancholische Balladen intoniert. Denn geblieben ist die Intensität, mit der Nick Cave - damals wie heute - seinen „urbanen Blues“ verkörpert. Er hat sich nie einem bestimmten Image unterworfen - das ist es wohl auch, was ihn vom Gros der meisten Musiker unterscheidet und ihn in eine Reihe stellt mit Legenden der Sechziger wie Lee Hazlewood, dem frühen Bob Dylan oder dem schon erwähnten Leonard Cohen.

Ein sensibles, fast wortloses Porträt des „Guten Sohnes“ ist der am 24.5. in Berlin anlaufende Film The Road To God Knows Where. Uli M. Schüppel, Berliner Regisseur (Nihil oder Alle Zeit der Welt, 1987), begleitete seine langjährigen Freunde Nick Cave & The Bad Seeds mit einer alten 16mm-Kamera auf ihrer US-Tour Anfang 89. Dabei entstand ein ruhiger, trister Schwarz-Weiß-Film, das genaue Gegenteil der bunten, schnell geschnittenen Konzertfilme a la Talking Heads. Der Regisseur fängt mit seiner Kamera Banalitäten des Touralltags ein: Ausladen aus dem Tourbus, Soundcheck, Gesprächsfetzen in der Garderobe, Verhandlungen mit dem örtlichen Veranstalter über den zu kleinen Verstärker.

Aber auch poetische Momente werden festgehalten: Unterwegs im Bus singt Nick Cave mit Blick auf den Highway, nur begleitet von Mick Harveys Gitarre The Road To God Knows Where; bei einem Rundfunkauftritt entsteht plötzlich eine schlichte Akustikversion von Mercy Seat; in einem leeren Saal tanzt Nick Cave während des Soundchecks selbstvergessen zu einem Madonna-Song.

Dieser stille, melancholische Film zeigt in seinen scheinbar banalen Bildern mehr über die Persönlichkeit Nick Caves und über die „Bad Seeds“ als manch langes Interview. Nick Cave ist der Bestimmende; der Pol, an dem alles zusammenläuft. Seine „Bad Seeds“ halten ihm den Rücken frei

-das ruhige, gewachsene Vertrauensverhältnis vertieft die Intensität der Musik.

Birgit Herdlitschke

The Good Son, MUTE, Intercord

Tour-Daten: 21.5. Offenbach, Stadthalle; 22.5. Oberhausen, Music Circus; 5.6. Bonn, Biskuithalle; 8.6. München, Circus Krone.

Film: Ab 24.5. in Berlin im Xenon, ab 12.6. in Hamburg, im Juli in Köln.