Völkerrechtlicher Hohlkörper DDR

■ Souveränitätsverlust der DDR / Koalitionsparteien stehen geschlossen hinter dem Vertragsentwurf

Berlin (afp/taz) - Die Parteien der DDR-Regierungskoalition haben sich bei der Sondersitzung der Volkskammer zum deutsch -deutschen Staatsvertrag gestern geschlossen hinter das am Freitag unterzeichnete Vertragswerk gestellt. In der Debatte wiesen Redner der konservativen Allianzparteien, der SPD und der Liberalen insbesondere den Vorwurf zurück, die DDR gebe mit dem Staatsvertrag ihre Souveränität auf. Die Oppositionsfraktionen von PDS und Bündnis 90/Grünen kritisierten die Unterwerfung der DDR unter Bundesbank und Bundesregierung und die mangelhafte Fixierung von Mitwirkungsrechten der DDR. DDR-Finanzminister Walter Romberg (SPD) wies zu Beginn der Sitzung auf die Bedeutung der Unabhängigkeit der Bundesbank für die Stabilität der D -Mark hin, die unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft und soziale Sicherheit in der DDR sei.

Das Haushaltsdefizit für das zweite Halbjahr dieses Jahres bezifferte er auf 33 Milliarden D-Mark, für 1991 auf 53 Milliarden. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Günther Krause erläuterte die vorgesehenen Maßnahmen zu Strukturwandel, Schaffung von Arbeitsplätzen, Entflechtung des Wirtschaftsgefüges, Schaffung von zahlreichen kleinen und mittleren Betrieben und freien Berufen und Umweltschutz. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Richard Schröder, bezeichnete den Verlust an Souveränitätsrechten durch den Vertrag als „nicht so schlimm“. Entscheidend sei nur, was man dafür bekomme. „Absolute Souveränität haben nur Tyrannen und Einsiedler.“ Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne kritisierte Jens Reich insbesondere, daß bei der Übertragung von Hoheitsrechten an die Bundesbank keine Mitwirkungsrechte der DDR vertraglich fixiert würden, und bezeichnete die Formulierungen zur Mitbestimmung der DDR als „Pfingstpredigt“. Die DDR werde durch den Staatsvertrag zum „völkerrechtlichen Hohlkörper“, warnte Reich. Der Vertrag demontiere die Souveränität der DDR, ohne daß der Weg zur Einheit völkerrechtlich abgesichert wäre.

Ohne Gegenstimmen überwies das Parlament den Staatsvertrag in die Ausschüsse. Das Vertragswerk geht auf der nächsten Volkskammertagung am 31. Mai in die zweite Lesung.