Exporthit Sowjetschach

■ Schach-Großmeister in Ost-Berlin: Schlicht Interschach heißt das einstige Ernst-Thälmann-Gedenkturnier heute

Ost-Berlin (taz) - Ein Vortragssaal mit etwa 100 Sitzplätzen, auf der Bühne fünf Tische mit Schachbrettern, an der Wand hinter den Tischen Demonstrations-Schachbretter

-der Spielsaal des Großmeisterturniers im Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur entspricht dem Klischee.

Nach und nach treffen einige Männer ein, begrüßen sich und beginnen, sich zwischen den Schachtischen zu unterhalten. Einer von ihnen wirft einen Blick auf die Uhr und bittet daraufhin die anderen, Platz zu nehmen. Die Herren Großmeister setzen sich, der Schiedsrichter geht herum und setzt die Schachuhren in Gang, noch ein Shakehands, und dann folgen die ersten Züge. Im Saal wird es ruhig.

Ein Tisch ist noch unbesetzt, da knarren Schritte durch den Saal. Zwei weitere Spieler sind eingetroffen, werfen ohne langes Zögern Züge aufs Brett, unterbrochen nur durch ein Kaffeeholen im angrenzenden Ruhe- und Analyseraum. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei: Die Bundesdeutschen Ralf Lau und Stefan Mohr, beide abgeschlagen am Tabellenende, haben eine hundertmal gesehene Remisvariante reproduziert und gehen lieber ein Bierchen trinken.

Die meisten Zuschauer trudeln erst später ein. Interessanter als die Theoriezüge zu Beginn der Partien ist die Viertelstunde, wenn die zwei Stunden Bedenkzeit pro Spieler für die ersten 40 Züge zur Neige gehen. Daß die wenigen Fans in den letzen Runden überhaupt noch Partien erleben dürfen, die die kritische Phase erreichen, verdanken sie den ehrgeizigen russischen Teilnehmern. Viele Jahre harte Arbeit wären in der UdSSR für das Preisgeld der beiden Turniersieger Juri Balaschow und Oleg Romanischin nötig. Wer das in zehn Tagen schafft, ist im Reich Gorbis hoch angesehen.

1988 und 1989 nannte sich die Veranstaltung mit damals je fünf Teilnehmern aus der DDR und der UdSSR noch „Ernst -Thälmann-Gedenkturnier“. Da Kommunistenchefs inzwischen aus der Mode sind, einigten sich die beiden deutschen Schachverbände bei ihrem ersten gemeinsam veranstalteten Großmeisterturnier auf den Namen „Interschach“. Den Namen des Sponsors zu verwenden, erschien dem mitveranstaltenden Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur als zu harter Bruch.

Neben vier sowjetischen Großmeistern waren erstmals drei bundesdeutsche Schachmajestros dabei. Im Mittelfeld plazierten sich die drei DDR-Teilnehmer. Lothar Vogt aus Leipzig, der bis zur vorletzten Runde alle Partien remisiert hatte, bekam am Schlußtag ein 1.200-D-Mark-Geschenk: Kampflos gewann er gegen Ralf Lau, dessen Weckauftrag vor der für zehn Uhr - einer für Schachspieler nachtschlafenen Zeit - angesetzten Partie im Hotel verschlampt wurde. Als die Stunde Karenz zur Neige ging, rutschten die sowjetischen Meister unruhig auf ihren Stühlen herum, denn ein Teil ihres Preisgelds war in Gefahr. Die „vielbeschäftigte“ Turnierleitung hatte jedoch keine Zeit, zum wenige Minuten entfernten Hotel vorbeizugehen oder anzurufen, denn die Geleckten waren ja nur die „Freunde“.

Stefan Löffler