Ein Entkommen gibt es nicht

■ Tag für Tag: Im taz-Großraumbüro bläst ein rauher und stinkender Nikotin-Wind / Ein Betroffener schreit sich die Lunge raus

Gestern vormittag, als ich in den 4. Stock, die Berlin -Redaktion, kam, hätte ich schon wieder nach Hause gehen dürfen. Die Raucher hatten - wie übrigens jeden Tag - unsere Redaktionsuhr auf 18 Uhr vorgestellt: Ab 18 Uhr, so besagt es ein vor Monaten von Nichtrauchern und Rauchern gemeinsam gefällter Beschluß, darf geraucht werden - vorher nicht. Auf meine Drohung Es ist 18 Uhr, ich gehe gleich nach Haus beendete mancher Kollege das gerade entzündete Leben seiner Zigarette im Aschenbecher. Doch damit geht jeden Tag der Kampf ums Atmen erst los.

Bei unserem Umweltredakteur habe ich es aufgegeben. Wenn er irgendwann mit dem Rauchen aufhören sollte, gibt es in der Tabakindustrie Arbeitslose und werden es noch die Luftgüte -Meßgeräte im fernen Spandau registrieren. Vor austauscharmen Wetterlagen bräuchten wir Berliner nicht mehr soviel Angst haben. Aber soll er doch rauchen. Nur ist es natürlich so, daß seine Duftmarke alle anderen reflexartig an ihre Abhängigkeit erinnern zu scheint. Mechanisch kommt der Griff zum Beutel oder zur Packung, das Streichholz zischt. Hinter dem Bildschirm des Computerterminals sieht man unsere Alterspräsidentin aku dann nur noch Blaues ausatmen, vor Hektik fällt die Asche ihrer Zigarette(n) anstelle in den Aschenbecher in die Computer-Tastatur. Der graue Dunst unter unserer vier Meter hohen Großraumbüro-Decke senkt sich unaufhaltbar hinab. Ein Entkommen gibt es nicht.

Vielleicht ist mir nicht ganz zufällig das Ressort Polizei zugefallen. Jedenfalls habe ich mir angewöhnt, wie ein Bulle das Rauchverbot zu kontrollieren und Raucher rücksichtslos zu denunzieren. Tatsächlich hielten sich die Raucher auch lange Zeit zurück, doch scheint Kontrolle und Denunziation einen gewissen Abnutzungseffekt zu haben vielleicht geradeso wie mit dem Nikotin: Raucher brauchen immer mehr davon. Glücklicherweise wollen wenigstens wir Nichtraucher uns nicht an den Qualm gewöhnen, der in der 4. Etage ununterbrochen über die Schreibtische hinwegfegt, und versuchen akustisch dagegen anzustänkern.

O.K. Ich gebe es zu. Morgens, wenn ich mich beschwere, habe ich manchmal schlechte Laune. Aber schlechte Laune und schlechte Luft ertragen zu müssen, ist fast unmöglich. „Come together“, der Spruch, mit dem die Lungenvernichtungsindustrie für Akzeptanz wirbt, funktioniert nur mit Nichtrauchern, die gute Laune haben.

In letzter Zeit sind wir Nichtraucher durch eine neu hinzugekommene Kollegin in der Minderheit. Und tatsächlich versagt die soziale Kontrolle dadurch immer häufiger. Raucher sind Opportunisten, sind sie in der Übermacht, lachen sie uns nur noch aus. Vielleicht sollten wir unseren Betrieb deshalb nicht nur geschlechtsspezifisch quotieren, sondern bei Einstellungsgesprächen auch darauf achten, ob es qualmt. Denn andersherum funktioniert der Opportunismus auch: Sitzen Raucher nur noch vereinzelt zwischen Nichtrauchern, dann scheinen sie viel seltener häufig gar nicht - das Bedürfnis zu verspüren, ihre Adern zu verengen. Und am Ende eines Arbeitstages kommt von ihnen ein ehrlich-gemeintes Lob: „Ich finde es auch toll, nicht (soviel) geraucht zu haben.“

Dirk Wildt