Kalte-Kriegs-Parole soll weg

■ Bürgerschaftspräsident rät dem Senatspräsidenten: Brüder-Gedenken abmontieren

„Gedenke der Brüder, die das Schicksal unserer Trennung tragen“ - so steht es in 50 cm hohen weißen Lettern am „Deutschen Haus“. Wer den Roland ins Visier seines Fotoapparates nimmt, hat unweigerlich den Spruch im Hintergrund. „So begründet der Ausspruch zur Zeit von Mauer und Stacheldraht war“, schrieb nun Bürgerschaftspräsident Dieter Klink an den Bürgermeister, „ist er heute überholt.“ Um dem Mißverständnis vorzubeugen, der Spruch beziehe sich nach der Revolution in der DDR nun auf „Brüder“, die in Polen, der CSFR oder Rumänien leben, empfiehlt Klink das Abmontieren des Spruches.

Aus der „Zeit von Mauer und Stacheldraht“, wie Klink meint, stammt die Kalte-Kriegs-Parole allerdings nicht. Sie wurde bereits sechs Jahre vor dem Mauerbau, genau am 18. Juli 1955, anmontiert. An einem Tag, an dem in Bremen das Leben für zwei Minuten stillstand: „Im Hafen und in den Industriebetrieben heulten die Sirenen. Die Polizeibeamten auf den Kreuzungen hoben den rechten Arm, Arbeitsruhe, Verkehrsruhe. Rammböcke und Niethämmer schwiegen, Verkäuferinnen legten die Waren aus der Hand, Kraftfahrer stoppten, Radfahrer stiegen ab. Zwei Minuten lang erstarrte, als die Turmuhren zwölf schlugen, der Wettlauf mit der Zeit.“

Der Grund für die am Tag darauf im „Weserkurier“ so eindringlich beschriebenen Schwei geminuten war der Beginn der „Genfer Konferenz“. Das „Kuratorium Unteilbares Deutschland“ hatte zum schweigenden Blick nach Genf aufgerufen. Dort saßen zum ersten und für 25 Jahre auch letzten Mal nach Kriegsende die Ministerpräsidenten der vier Mächte an einem Tisch und berieten die Zukunft Deutschlands und Europas.

Drei Tage zuvor hatte der Senat unter Bürgermeister Wilhelm Kaisen beschlossen, den Spruch am „Deutschen Haus“ anbringen zu lassen. Seit Juni 1955 war dort der Sitz der „Deutschen Bruderschaft“, seit 1957 auch der „Deutschen Bruderhilfe“ zwei Organisationen, die ost-westliche Verwandtenbesuche unterstützten hier bitte das Spruchfoto

und „gesamtdeutsche Kultur“ fördern sollten. Eigentlich war nur geplant, den Spruch ein Jahr lang an der Fassade hängen zu lassen. Bis dann, so die damaligen Hoffnungen, hätte sich das Problem der deutschen Teilung wohl erledigt. Kurz vor der Genfer Konferenz hatten sich die Vier Mächte schließlich beim Österreichischen Staatsvertrag auch konstruktiv gezeigt.

Doch schon mit dem Ungarnaufstand im Jahr darauf zerschlugen sich die Hoffnungen auf ein schnelles Ende des Kalten Krieges. Im Oktober 1957 befaßte sich der Senat erneut - bis heute zum letzten Mal - mit der „Gedenkschrift“ und beschloß, daß sie bleiben soll. Was ihn dazu Foto: Sabine Heddinga

bewogen haben mag, ist nicht zu erfahren, die Senatsprotokolle sind noch immer geheim.

Der Gedenkspruch war auch gestern kein Thema im Senat. Daran hatte weder Klinks Brief noch eine Presseerklärung des Grünen Martin Thomas etwas geändert. „Es ist ein Trauerspiel, daß diese anachronistische Worthülse aus der Zeit des Kalten Krieges immer noch als Blickfang in Bremens guter Stube dient“, hatte der posaunt und darauf hingewiesen, daß „die Bürger der DDR keinen Wert auf abgedroschene Phrasen legen, sondern Solidarität brauchen, die sich auch in Mark und Pfennig ausdrückt“.

Ase