Privatisierungswut in Argentinien kennt keine Grenzen

■ Staatliche Fluglinie an ausländisches Konsortium verkauft / Energieversorgung, Rohstoffe und der militärisch-industrielle Komplex stehen zur Disposition

Aus Buenos Aires Gaby Weber

„Der argentinische Himmel ist groß“, verkündete Präsident Menem und unterzeichnete letzte Woche ein Dekret, wonach ausländischen Chartergesellschaften freier Zugang - ohne den Umweg über Ezeiza - zu allen argentinischen Flugplätzen gewährt wird. „Die Ideologismen sind vorbei“, so Menem, „was für Argentinien gut ist, ist auch für den Präsidenten gut.“

Nach dieser Logik ist es ebenfalls „gut“, den Zoll und den Grenzschutz in private Hände zu befördern. Letzten Meldungen zufolge soll schon bald der Im- und Export von einer privaten Firma kontrolliert werden. Der Staat verabschiedet sich.

Der Privatisierungswut der peronistischen Regierung sind keine Grenzen gesetzt: Im Juni diesen Jahres wurde die staatliche Telephongesellschaft ENTel an die US-Firma „Bell Atlantic“ und die spanische „Telefonica Espanola“ verkauft für 214 Millionen Dollar Bargeld und Wechseln der Auslandsschuld mit einem Nominalwert von vier Milliarden der US-Währung.

Mitte Juli war Aerolineas Argentinas unter den Hammer geraten. 85 Prozent der Fluglinie wurden dem Konsortium von IBERIA und der US/ schweizerischen Finanzgesellschaft First Boston/ Credit Suisse zugesprochen. Das von der spanischen Fluggesellschaft dominierte Konsortium legte dafür gerade 130 Millionen Dollar auf den Tisch des Hauses; noch einmal dieselbe Summe soll in zehn halbjährigen Raten überwiesen werden. Zum Kaufpreis gesellt sich die Übernahme von Schuldtiteln im Wert von 1,6 Milliarden Dollar. Diese Wechsel werden inzwischen auf dem Parallelmarkt zu einem Bruchteil ihres Nominalwertes gehandelt, im Falle Argentiniens zu 13 Prozent. Nach Berechnungen der konservativen Tageszeitung 'Clarin‘ hat mit dieser Zahlungsweise die staatliche Fluglinie für 561 Millionen Dollar den Besitzer gewechselt. Fünf Prozent bleiben in öffentlicher Hand, die restlichen zehn erhalten die Angestellten.

Ein peronistischer Abgeordneter hatte den Verkauf gerichtlich mit dem Argument anfechten wollen, daß laut Gesetz der Staat mindestens 51 Prozent des Aktienkapitals halten müsse. Doch der Oberste Gerichtshof befand, daß ein Aufschub „schwerwiegende Folgen“ nach sich ziehen würde und verwarf den Urteilsspruch der ersten Instanz. Es hat sich also ausgezahlt, daß die Menem-Regierung erst vor kurzem den Obersten Gerichtshof um vier Richter erweiterte, die ihr gewogen sind.

Beschlossene Sache ist der Verkauf des Stahlwerks Somisa und der erdölverarbeitenden Industrie'obwohl diese Betriebe schwarze Zahlen schreiben. Die Privatisierung scheint längst zu einem Glaubensgrundsatz geworden, der keiner Begründung mehr bedarf. Veräußert werden auch das Wasserwerk, staatliche Hotels, Werften, Häfen, die Gaswerke, die Eisenbahn und etwa 10.000 Landstraßen. Für eine Fahrt von Buenos Aires ins 400 Kilometer entfernte Mar del Plata muß in Zukunft eine Gebühr von über zehn DM entrichtet werden.

Auch die gesamte Energieversorgung, darunter die Wasser und Atomkraftwerke, soll in private Hände gelangen; im Falle des Elektrizitätswerks SEGBA will die Regierung sogar auf einen Kaufpreis verzichten, um dem Interessenten Investitionen schmackhaft zu machen.

Private Produktionszentren

statt staatlicher Knäste

Sogar die Gefängnisse sollen im neoliberalen Konzert mitspielen. „Die Haftanstalten sollen in wahre Produktionszentren verwandelt werden, statt nur Friedhöfe für Menschen zu sein“, erklärte Unterstaatssekretär für Justiz, Cesar Arias. Private Geschäftsleute seien interessiert, neue Haftanstalten zu bauen und mit qualifizertem Personal auszustatten. Dies sei billiger und würde das Problem der Überbelegung schnell und unbürokratisch lösen.

Der leckerste Happen werden die vierzig Ölfelder sein, die in Zukunft von ausländischen Multis ausgebeutet werden sollen. Noch muß die Menem-Regierung mit den Provinzen feilschen, die bisher vom Verkauf des Rohstoffs einen festen Anteil erhielten.

Mit Widerstand ist auch noch in Punkto Privatisierung des militärisch-industriellen Komplexes zu rechnen. 23 Waffenschmieden sollen verkauft werden, die angeblich Defizite erwirtschaften. Diesem Vorhaben wollen sich die Streitkräfte entgegensetzen. Sie argumentieren mit „nationaler Souveränität“ und fürchten, daß US-Waffenfirmen den argentinischen Militärkomplex allein aus Konkurrenzgründen schlucken wollen. Die Generalität will mindestens den Löwenanteil des Kaufpreises in den Verteidigungshaushalt fließen sehen, während der Wirtschaftsminister angekündigt hat, auch Wechsel der Auslandsschuld als Bezahlung zu akzeptieren.

Die Privatisierungswelle über den Mechanismus der Kapitalisierung der Auslandsschuld („debt to equity swap“) wird damit begründet, daß nur so die erdrückende Auslandsschuld abgebaut werden könne. Als Vorbild wird stets das Nachbarland Chile genannt, das in den vergangenen drei Jahren auf diese Weise insgesamt neun Milliarden Dollar Auslandsschuld tilgen konnte.

Doch der Ausverkauf der heimischen Wirtschaft gegen die Übernahme von ausländischen Forderungen konnte lediglich ein Ansteigen der chilenischen Verschuldung vermeiden. Trotz des Verkaufs von Staatsbetrieben und Bodenschätzen im Wert von neun Milliarden blieb durch die Um- und Neuverschuldung die Auslandsschuld Santiagos bei knapp 19 Milliarden Dollar stehen.