Reich gegen arm

■ Der Irak-Konflikt - eine historische Situation

ESSAY

Der Mantel der Geschichte wechselt dieser Tage häufiger den Besitzer. Zuerst trug ihn unerwarterweise Kohl, obwohl immer noch unklar ist, ob er der große Vereiniger der Nation ist oder nur ein angegrauter Top-Manager, der eigentlich viel zu viel für einen bankrotten Betrieb hinblätterte. Nun ist dieser Mantel bei Georg Bush gelandet. Konfrontiert mit einer ökonomischen Krise und der möglichen politischen Niederlage 1992, will er der Welt zeigen, wie stark „wir“ wirklich sind, wie unersetzlich, wenn es um die Verteidigung der Weltordnung geht. Man stelle sich nur einmal vor, zukünftige Generationen läsen diese Geschichte als eine, in der unter dem (Deck-) Mantel kein anderer Held steckte als der irakische Tyrann Saddam!

Die Tragik der Historie, so meinte Hegel, wäre nicht der Konflikt zwischen Recht und Unrecht, sondern der Widerspruch von Recht gegen Recht. Und in der Tat ist die internationale Ordnung, die momentan von Kommentatoren und Politikern beschworen wird, keine Abstraktion, sondern es handelt sich um Staaten und Völker, die in ihr leben wollen und müssen. Ihr Recht ist es, unbehelligt zu sein von willkürlicher und plötzlicher Übermacht, frei von Unterjochung durch Stärkere, verschont von globalem Darwinismus. Aber was ist dann mit all jenen beherrschenden Zwängen, die durch die Struktur des Weltmarkts erzeugt werden? Spiegeln sie doch weniger das Verdienst und die Arbeit derer wider, die momentan den Markt beherrschen, als vielmehr die langzeitige Wechselwirkung zwischen vergangener militärischer Stärke und ökonomischer Ausbeutung.

Die Weltgeschichte nach dem Kalten Krieg hat begonnen. Sowjetische Kriegsschiffe sind im Persischen Golf, um das Prinzip der Unveränderbarkeit der Grenzen zu verteidigen. Im Lichte des innersowjetischen Separatismus kann man verstehen, warum Moskau dies für so wichtig hält. Es geht auch um die ökonomischen Bindungen an den Westen. China (ein anderer Schuldner) hat in der UNO ebenso für Sanktionen gestimmt wie Frankreich, das neben der UdSSR die meisten Waffen an die Irakis verkaufte. Selbst Castro enthielt sich. Angesichts seiner momentanen Probleme hielt er Zurückhaltung offensichtlich für angebrachter als den anti -imperialistischen Heldenhabitus. Auch die Japaner, normalerweise sehr vorsichtig, unterstützen die Sanktionen... Honi soit qui mal y pense. Briten ebenso wie die anderen Europäer singen auch im Chor mit. Bei den Deutschen könnte vielleicht schon allein die Tatsache ausreichen, daß sie in ihrer Urlaubszeit mehr für Benzin zahlen müssen, um den alten Refrain neu zu skandieren: „Deutsche an die Front.“

Wo so viel internationale Einstimmigkeit zwischen Regierungen und Regimes besteht, darf man schon annehmen, daß die angegebenen Gründe wohl kaum die wahren sind. Wenn Grenzen unverletzlich sein sollen, wie steht es dann aber mit Israel in Palästina, China in Tibet, Indonesien in Timor und Indien in Kaschmir - oder gar den USA in Texas im letzten Jahrhundert? Noch ist die Ehrlichkeit nicht ganz von der Erde verschwunden. Viele der Protagonisten eines Angriffs gegen den Irak waren ziemlich freimütig: man dürfe es den Irakern einfach nicht erlauben, den Ölpreis zu bestimmen und so Einfluß auf die Verteilung des Lebensstandards in der Welt zu nehmen. Die, die viel haben, und einige wenige andere, die kaum etwas besitzen (wie Ägypten, das immer an seine Westkredite erinnert wird), wollen nun jene, die nichts haben, instruieren, wo die Grenzen sind.

Es gibt natürlich auch die spezifischen Probleme des Mittleren Ostens in der momentanen Situation. Bevölkerungsreiche Länder wollen den Öloutput jetzt erhöhen, die kleineren hingegen wollen ihre Ressource für die Zukunft sparen. Der Konflikt spielt sich ab in einer nach dem Niedergang des Osmanischen Reiches in Kolonien und Staaten gespaltenen arabischen Nation - die Kartographen saßen in Paris und London. Kuwait ist keine Nation, sondern eine von einem Stamm betriebene, riesige Ölgesellschaft. Und die Menschen, die in Kuwait leben, sind meist Fremdarbeiter (viele von ihnen Palästinenser). Die Konflikte der Region sind dennoch real genug. Sollten die Iraker gewinnen, die Iraner wären auf ihrer Seite (trotz vergangener Feindschaft), um dann Saudi Arabien zwischen sich aufzuteilen. Sähe es aus, als ob Irak verlöre, würde Iran zweifelsohne sich selbst als Verteidiger der Ordnung präsentieren. Mit Unterstützung des Ex-Feindes USA wäre ihnen der Einmarsch in Irak einen Versuch wert. Die Ägypter befürchten ein Wiederaufleben der alten arabischen „Ablehnungsfront“ ebenso wie die eigenen Fundamentalisten. In der Islamischen Welt sind Glasnost und Perestroika ziemlich unbekannt. Wo beides versucht wurde, wie in Algerien, stärkte es nur die Fundamentalisten. Letztlich ist die Kontrolle des Öls ein Ausdruck des langen Kampfes für arabische und islamische Selbststimmung.

Fast übersehen wird in der momentanen Aufregung der Fall Israel und die Palästinenser - ein Konflikt, der selbst durch die natürlich sehr hypothetische Rückkehr des Emirs nach Kuwait natürlich nicht gelöst sein wird. Letzte Nacht waren US-amerikanische Fernsehzuschauer schockiert, als Columbia Broadcasting Araber in Jordanien interviewte. Keiner von ihnen war für eine amerikanische Intervention. Stattdessen hörte man im eigenen Wohnzimmer arabische Zusammenhalteparolen - zugunsten Iraks. Hussein ist nicht Nasser, aber wenn wir an den wandernden Mantel der Geschichte zurückdenken: Nassers Modellanfertigung wird nun offensichtlich in Bagdad getragen.

Die Konfliktlinie, die momentan entsteht, ist wieder einmal - berücksichtigt man nationale und regionale Besonderheiten

-die der Reichen gegen die Armen. Die Führungsrolle fällt dabei ganz klar der USA zu, die derzeit mit den Konsequenzen ökonomischen und außenpolitischen Niedergangs zu kämpfen hat. Bush sieht schon länger einer ökonomischen Rezession ins Auge, das politische Profil der Republikanischen Partei bröckelt. Mit Antikommunismus ist kein Staat mehr zu machen, die Abtreibungsfrage spaltet die Republikaner selbst und Bushs Umschwenken, die Steuern zu erhöhen, schockierte die ums Überleben kämpfende untere Mittelklasse wie auch sein gesamtes Wählerklientel. Mit der irakischen Okkupation Kuwaits drohte aus der Rezession eine Depression zu werden. Bush persönlich drohte zudem die Bloßstellung als inkompetenter und unvorbereiteter Präsident. Was hätte er da besseres tun können, als Truppen zu entsenden, die zudem da wir eine Berufsarmee haben - auch noch teilweise aus der Unterklasse rekrutiert werden und kaum andere Beschäftigungschancen haben?

Die amerikanische Öffentlichkeit ist zur Zeit nicht einmal besonders wütend auf Hussein, sondern empört über die Benzinpreiserhöhungen, trotz ausreichender Vorräte. Wie diese Menschen sich bei einer Zuspitzung der Krise verhalten werden, ist vorerst unklar. Da kann man verstehen, daß die Saudi-Elite ihre Fluchthelikopter und die Züricher Kontoauszüge parat hält...

Die Gruppe der G 7 hatte in den 70er Jahren versucht, eine Indexierung der Rohstoffpreise, ihre direkte Verbindung zu Industriegüterpreisen durchzusetzen. Kein geringerer Ökonom als Helmut Schmidt nannte das damals „globale Konfiszierung“. Weil es aber immer noch keine grundsätzliche ökonomische Vereinbarung zwischen reichen und armen Nationen gibt, werden wir zukünftig noch mehr Panzer Grenzen überschreiten sehen. Parallel zum Houston-Wirtschaftsgipfel hat es denn auch einen Gegen-Gipfel der armen Länder gegeben. Die Präsidentschaftskandidaten Brasiliens und Mexikos (deren gemeinsame Bevölkerungszahl bald die der USA überschritten haben wird) sagten dort, daß anhaltende Armut für ihre Länder inakzeptabel sei. Bald schon könnten US Truppen im Süden eingesetzt werden.

Man kann unterdessen nur rätseln, wie die eigentlich älteren und klügeren Europäer sich aus diesem ökonomischen und politischen Desaster erster Ordnung herauswinden werden. Ein Desaster, das im günstigsten Falle anhaltendes Patt bedeutet; im schlimmsten Fall jedoch Niederlage hieße, herbeigeführt von einem regionalen Tyrannen, den Araber und andere arme Nationen der Welt in heroische Höhen erheben würden - ein Status, den er allein durch seine Taten nie erreicht hätte.

Norman Birnbaum

Der Autor ist internationaler Publizist und Professor für Staatsrecht an der Georgetown-Universität in Washington.