Andrang bei der Schuldnerberatung

■ Noch keine direkten Schuldenprobleme / Die meisten wollen von Kaufverträgen zurücktreten

Ost-Berlin (taz) - Der Mann ist jung, und er ist ein Autonarr. Kürzlich hat er sich bei einer Westberliner Firma einen gebrauchten Honda CRX, ein Sportcoupe, gekauft. Mit hängenden Schultern sitzt Michael Schmitt (Name von der Redaktion geändert) auf einem der abgenutzten, roten Stuhlpolster im Ostberliner Verbraucherzentrum und sucht dort Rat. Er möchte von dem Kaufvertrag zurücktreten. Er fühle sich von dem Autohändler betrogen.

Er ist ein „ganz typischer Fall“. Jedenfalls für den Mitbegründer der Beratungsstelle, Gerald Günther. Das Verbraucherzentrum existiert seit Anfang des Jahres. Die Gehälter werden bis Ende September von dem Amt für Standardisierung, Meß- und Warenwesen gezahlt, dem das Beratungszentrum noch unterstellt ist. Um es auch darüber hinaus am Leben erhalten zu können, hoffen die MitarbeiterInnen auf Anerkennung der Institution als gemeinnützigem Verein. In Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale in West-Berlin begannen Günther und seine KollegInnen schon im Vorgriff auf den 1. Juli eine breit angelegte SchuldnerInnenberatung.

Wer sich vor der Unterzeichnung eines Ratenkreditvertrages sicherheitshalber noch einmal sachkundig machen wollte, der wird erstmal mit Zahlen aus der BRD geschockt: 1970 waren die bundesdeutschen Haushalte mit insgesamt 120 Milliarden D -Mark verschuldet. Das machte etwa 2.000 D-Mark pro Haushalt. 1989 betrug dieser Posten bereits 15.000 D-Mark. Gegen 500.000 Bürger der BRD liefen im Mai 1990 gerichtliche Mahnverfahren, weil sie ihren Tilgungsleistungen nicht mehr nachgekommen waren, und drei weitere Millionen Menschen sind von Kündigung und damit vom gleichen Schicksal bedroht.

Wer in der DDR seine Wohnungseinrichtung oder das Auto nach dieser statistischen Kopfwäsche immer noch fremdfinanzieren lassen will, dem zeigt Günther geschwind den von der Westberliner Verbraucherzentrale erstellten Kreditkostenvergleich ortsansässiger Geldinstitute. Danach kann der Kunde bei einem Kredit von 15.000 D-Mark mit 60monatiger Laufzeit bis zu 3.270 D-Mark sparen. Der Bürger staunt, und Günther lehnt sich zufrieden in seinem Sessel zurück: „Direkte Schuldnerprobleme kennen wir bislang nicht!“

Trotzdem sind die Flure mit gut einem Dutzend Ratsuchenden gefüllt, die zwei Beratungszimmer durch einfache Stellwände nochmals unterteilt, wodurch sich die Zahl der Abwicklungen während der Sprechzeiten verdoppelt. Sämtliche Türen stehen offen, so daß man der jeweiligen Unterhaltung beliebig lauschen kann. Datenschutz wird noch kleingeschrieben. Aber die VerbraucherInnen plagt ohnehin dieselbe Sorge: Sie möchten von bereits abgeschlossenen Kaufverträgen zurücktreten und wissen nicht, ob sie das Recht dazu haben.

So auch Michael Schmitt. Mit dem Händler hat er für den fünf Jahre alten Wagen einen Kaufpreis von 18.990 D-Mark vereinbart. Mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages verzichtete er auf jedwede Gewährleistungsansprüche für das als Unfallwagen deklarierte Coupe. „Nüscht zu machen. Dit is‘ die Härte der Marktwirtschaft“, konstatiert Günther und ärgert sich, daß der junge Mann nicht vor Vertragsabschluß kam. Zu retten wäre Schmitts Gespartes höchstens über die Kulanz des Verkäufers. Doch dessen Reaktion auf des Kunden Bitte ist eindeutig: Es sei ja wohl ein „Witz“, wenn Schmitt den Rücktritt jetzt mit finanziellen Problemen „bemänteln“ wolle. „Geld oder Gericht“, lautet die Alternative am Ende des Schreibens.

Er wäre besser dran gewesen, hätte er einen Vertrag unterzeichnet, den ein anderer Pkw-Erwerber vorbeigebracht hat: „Kaufe ein Auto für circa 5.000 D-Mark aus unseren Beständen.“ Hier fehlt die gesetzlich vorgeschriebene, genaue Bestimmung des Kaufobjekts. Das freut Günther, denn dadurch kann der engagierte Warenkundler solche Verträge als sittenwidrig und damit nichtig vom Tisch schmettern. Schmitt aber, so Günther, wird wohl zahlen müssen.

Claudia Wuttke