Auf den DDR-Straßen kein Ende des Gemetzels auf Rädern

■ DDR-Polizeichef nennt neue Zahlen zum dramatischen Anstieg der Verkehrsunfälle / Raserei bleibt die häufigste Unfallursache / 200.000 Zulassungen allein im Monat Juli

Berlin (taz) - Auf den Straßen der DDR wird immer rücksichtsloser und schneller gefahren - und immer häufiger gestorben. Eine dramatische Zwischenbilanz zur Explosion der Verkehrsunfälle legte gestern in Ost-Berlin der Chef der DDR -Verkehrspolizei Rolf Lorenz vor. Schon bis zum 31. Juli sind danach bei Verkehrsunfällen 79 Menschen mehr getötet worden als im gesamten, bisher schwärzesten Verkehrsjahr der DDR: 1977. Von 1. Januar bis 31. Juli 1990 nahm die DDR -Polizei 39.605 Unfälle auf mit 32.292 Verletzten und 1.379 Toten. Gegenüber 1989 sind das 52 Prozent mehr Unfälle, 69 Prozent (!) mehr Tote und 44 Prozent mehr Verletzte. An erster Stelle der Unfallursachen steht mit 22,1 Prozent überhöhte Geschwindigkeit. Bei jedem zehnten Unfall war der Fahrer alkoholisiert bis besoffen. Dem „erschreckenden Anstieg der Verkehrsunfälle“ (Lorenz) steht eine weitgehende Konzeptionslosigkeit und ein Autoritätsverlust der DDR -Verkehrspolizei gegenüber. Auf einer Pressekonferenz der Polizei in Potsdam hieß es, vor allem Bundesbürger ignorierten die strafmandate, Zahlungen würden einfach verweigert.

Als Maßnahmenpaket gegen das Gemetzel auf Rädern nannte Lorenz allen Ernstes „stationäre Jugendverkehrsschulen“, „Verkehrssicherheitstouren“ und eine „Aktion junger Fahrer“. Lorenz ließ aber zugleich durchblicken, daß der Polizei die Hände gebunden und politische Entscheidungen gefordert sind. Mit einer „ganz persönlichen“ Meinung wandte sich der Polizeichef entschieden gegen die in der DDR geplante Aufhebung der Tempolimits. Dafür gebe es angesichts der Unfallawinen keinen Anlaß. Schon der Zustand der DDR-Straßen verbiete dies.

Den bundesdeutschen Fahrern las Lorenz mit eigenen Zahlenkolonnen die Leviten. Sie sind bei 14 Prozent aller Unfälle in der DDR beteiligt, und in 31,4 Prozent aller Fälle fahren sie dabei zu schnell. Trunkenheit wurde bei 14,7 Prozent der West-Unfälle ermittelt. Lorenz schloß mit dem hilflosen Appell, daß alle Verkehrsteilnehmer „nachdrücklich zu verkehrsgerechtem Verhalten“ aufgefordert sind.

Wie sehr gerade das Auto zum neuen Objekt der Begierde und Symbol des Umbruchs geworden ist, zeigen auch die Zulassungszahlen. Der Chef der 195 Zulassungsstellen der DDR, Direktor Roland Rothe, berichtete gestern von 200.000 Auto-Neuzulassungen in der DDR allein im Monat Juli. Die Wartezeiten bei den Zulassungsstellen hätten teilweise „bis zu 24 Stunden“ betragen.

Manfred Kriener