Musikmesse ohne Musiker

 ■ In Köln fand die Pop Komm 90 statt - eine Messe für

populäre Musik

Von Birgit Herdlitschke

Über 2.000 Besucher und 34 Stände fanden sich dieses Jahr auf der Pop Komm ein: Hatten letztes Jahr noch die kleineren Räume des Düsseldorfer Kulturzentrums ZAKK für alle Stände und Seminarräume ausgereicht, mußte man dieses Jahr schon die ehrwürdigen großen Hallen des Kölner Gürzenich belegen.

Vor einem Jahr waren die Veranstalter zum ersten Mal mit der Idee angetreten, ein Forum zu schaffen für alle, die sich sowohl in kultureller wie in wirtschaftlicher Hinsicht mit Pop-Musik in Deutschland beschäftigen. Im Gegensatz zu den Berlin Independents Days (BID), der einzigen anderen jährlichen Pop-Musikmesse in Deutschland, beleuchtet die Pop Komm ausschließlich die deutsche Musikszene, beschränkt sich dabei aber nicht auf Independent-Musik. Ähnlichkeiten zur BID bestehen vor allem in der Form der Messe: Hier wie dort finden sich Stände von Plattenfirmen, Labels, Musikverlagen, Musikzeitschriften und -sendern. Und hier wie dort gibt es ein Seminar- und Workshop-Programm zu verschiedensten Themen des Musikgeschäfts. Abends/nachts gibt es messebegleitende Showcases auf den Clubbühnen der jeweiligen Stadt zu sehen auf der Pop Komm in erster Linie deutsche Nachwuchsbands.

Ebenfalls ähnlich ist die Finanzierung der beiden Messen: Sowohl BID wie auch Pop Komm werden erst möglich durch staatliche Gelder. Ist die BID von unabhängigen Veranstaltern organisiert, die jedes Jahr aufs Neue um die nötigen Senatsgelder kämpfen müssen, wird die Pop Komm vom Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Rockbüro NRW und dem Kulturamt der Stadt Köln veranstaltet - mit Unterstützung des WDR und der NRW-Stiftung. Diesmal gab es 150.000 DM aus öffentlicher Hand.

In erster Linie ist die Pop Komm ein Treffpunkt für die Branche. Hier treffen sich Leute, die den Rest des Jahres nur miteinander telefonieren. Alles läuft locker und zwanglos ab - scheinbar. Denn vormachen sollte man sich nichts: Business rules - auch im Musikgeschäft. Kleinstlabelpromoter suchen hier den Kontakt zu den Major -Companies, Musikverleger dealen um ihre acts, Medienmacher informieren sich über kommende Veröffentlichungen und lauschen der Konkurrenz die neusten Ideen ab. Ganz deutlich wurde dieses Jahr, daß alle wichtigen Informationen außerhalb der offiziellen Diskussion und Workshops ausgetauscht wurden. Leider wurde auf den angesetzten Panels von den Teilnehmern oft nur eigennützige Promotion gemacht gutes Beispiel hierfür war der Workshop: „Wer macht hier die Meinung? Musikzeitschriften in Deutschland“. Vertreter der deutschen Musikzeitschriften vom 'Fachblatt Musikmagazin‘ über 'Spex‘ und das Heavy-Metal-Blatt 'Rock Hard‘ bis hin zur neuen DDR-Zeitung 'NMI‘ redeten hier nicht über Zielgruppen und Meinungsmache durch Musikzeitungen, sondern versuchten zwei Stunden lang, ihr Blatt als integer und objektiv zu verkaufen. Dabei war jedem klar, daß es mit Unabhängigkeit und Objektivität zumindest bei den Branchenriesen wie 'ME/Sounds‘ oder 'Fachblatt Musikmagazin‘ nicht weit her ist. Es ist schließlich ein offenes Geheimnis, daß Anzeigenschaltungen durch große Plattenfirmen oft mit der Auflage verbunden sind, bestimmte Bands dieser Firmen im Heft zu featuren oder sogar auf den Titel zu bringen. Da kann Gregor Peitz von der MVG (Medienverlags GmbH, Herausgeber von 'ME/Sounds‘, 'Metal Hammer‘, 'Mädchen‘, 'PopRocky‘ und 'PopCorn‘) noch so sehr betonen, daß letztlich die Redaktion über Themen im Heft entscheidet

-ohne Anzeigen lebt keine seiner Zeitschriften.

Ähnlich verschleiert wurden die Fakten auf der Diskussion „Verabschiedet sich das Deutsche Fernsehen von der aktuellen Rock- und Pop-Musik?“: Musikredakteure der verschiedensten Sender (hr, Tele 5, MTV, RTL, Elf 99) waren sich zwar einig, daß die Pop-Musik im Fernsehen vom Aussterben bedroht ist, boten jedoch kaum zukunftsträchtige Konzepte an, um dem entgegenzuwirken. Musik im Fernsehen hat - ob öffentlich -rechtlich oder privat - mit dem leidigen und alles betimmenden Faktor Einschaltquoten zu kämpfen. Christof Post (Tele 5) fast es so zusammen: „Musik im Fernsehen zu finanzieren, ist extrem schwierig. Die Einschaltquoten sind sehr niedrig, mit jedem beschissenen Film erreichst du mehr Leute. Da Tele 5 als Privatsender sich ausschließlich durch Werbung finanziert, sind Musiksendungen ein Problem. Im Grunde können wir nicht mehr tun, als um die Werbeclips der Sponsoren herum ein akzeptables Programm zu basteln.“ Die Konsequenz für Tele 5: Musiksendungen fallen raus zugunsten billiger Spielfilme und Serien. Nischenprogramme wie z.B. die wöchentliche Independent-Sendung Off Beat haben ab Januar 1991 keinen Platz mehr auf den kommerziellen Wellen des Senders.

Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist die Situation mittlerweile fast genauso. Auch hier hängt alles von den Quoten ab: Sendungen, die wenig Zuschauer haben, werden abgeschafft. Selbst so kommerziell orientierte Programme wie die Formel1 fallen der Programmreform zum Opfer. Der Kulturauftrag der Öffentlich-Rechtlichen gerät zunehmend ins Hintertreffen, weil er nicht finanzierbar ist. Ulf Switalski vom Nürnberger Radiosender N1 bringt das Problem auf den Punkt: „Die Öffentlich-Rechtlichen werden immer privater und die Privaten immer öffentlich-rechtlicher. Es gibt bald nur noch Dudelfunk-Sender. Dadurch ist eine bestimmte Zielgruppe gegeben, die auch für unsere Werbekunden klar definiert werden kann.“ Auf genau dieser Basis der Zielgruppenspezifik arbeitet seit Jahren der einzige kommerziell erfolgreiche Fernseh-Musiksender Europas, MTV Europe: Sponsoren und Zuschauerkunden wissen um die Zuschauerschaft, die diesen Kanal einschaltet, genau Bescheid und können deshalb zielgerichtet werben. „Musik im Fernsehen wird in Zukunft nur noch kommerziell ausgerichtet sein - das ist Fakt!“ beschwor dann Lothar Meinerzhagen von der EMI/Electrola die düstere Zukunft herauf. Harte Zeiten für Newcomer und Künstler abseits der kommerziellen Hitschiene, denn „was will die EMI 1993 verkaufen, wenn es heute keinen Sendeplatz für neue Talente und Ideen gibt?“ fragt Gudrun Kromrey von der unabhängigen TV-Produktionsfirma Transvision.

Wenn in den Medien kein Platz mehr ist für neue acts, bleiben Live-Auftritte die einzige Chance, die Ohren des Publikums und der Plattenfirmen-Headhunter zu erreichen. Verträge mit neuen Bands werden mittlerweile ja auch bei großen Firmen nicht mehr von weltfremden Sesselpupern gemacht, sondern vielfach von echten Rock'n'Roll-Fans, die ein Feeling für Musik und einen guten Überblick über die aktuelle Musikszene haben - egal, ob das nun Tim Renner von der Polydor ist, der Bands wie Element Of Crime oder Shiny Gnomes unter Vertrag hat; Markus Linde von der CBS, der gerade mit Deep Jones abgeschlossen hat oder Guido Schultze von BMG Ariola, der Bands wie Plan B oder King Kong aufbauen will. Um neue Klänge aufzutreiben, durchstreifen diese Headhunter die kleinen Clubs. So waren auch die begleitenden Showcases zur Pop Komm als Forum für unbekannte Bands gedacht, die auf sich aufmerksam machen wollten. Besonders tagsüber im Gürzenich spielten parallel zu den Diskussionen und Workshops überwiegend Bands ohne Vertrag - von Der Seuche über Dear Wolf bis hin zu Norbert & Den Feiglingen lieferten durchweg unbekannte oder höchstens regional etablierte Namen spannende Halb-Stunden-Konzerte. Abends in den Clubs spielten dann Newcomer gemeinsam mit größeren acts, so z.B. Destionation Zero aus Berlin zusammen mit der Punk-Legende Abwärts und den frisch bei CBS gelandeten Deep Jones. Der Kölner Rose Club erwies sich aber aufgrund fehlender Klimaanlage und schlechter Akustik als ungeeigneter Konzertort: Bei 34 Grad Außentemperatur herrschten derart saunaartige Zustände, daß viele Hörer lieber draußen ihr Bier genossen und Smalltalk mit Geschäftskollegen führten. Hier liegt dann auch das Problem der Live-Gigs auf einer Messe wie der Pop Komm: Erstens gab es pro Abend in sieben bis neun Clubs Konzerte mit zwei bis vier verschiedenen Bands. Natürlich gab es pro Abend ein bis zwei Highlight-Konzerte, so daß die restlichen Veranstaltungen eher mäßig besucht waren. Zweitens war das Interesse an der Musik unter den Besuchern gering, da eigentlich die Gigs nur als Treffpunkt genutzt wurden.

Den Musikern, um die sich eine Musikmesse in Deutschland ja eigentlich drehen sollte, kam das wenig zugute: Zu sehr blieben Verleger, Labelmanager und Medienleute unter sich, um über die Köpfe der Bands hinweg Geschäfte zu machen. So traf man auch kaum Musiker auf der Pop Komm (abgesehen von den Bands, die spielten) - ein Manko, das die Verantwortlichen im Rockbüro NRW bei ihrer Planung der nächsten Pop Komm überdenken sollten. Denn nur als Treffpunkt für Musikgeschäftspartner zu fungieren und den beteiligten Firmen ein billiges Forum für ihre Geschäftsabschlüsse zu bieten, sollte nicht Sinn einer vom Kultusministerium geförderten Messe sein. Die Diskrepanz ist symptomatisch: Pop-Musik ist eben nicht mehr Kultur, sondern zu vermarktende Unterhaltung.

Schwer taten sich mit diesem Aspekt der Vermarktung dann auch lediglich die Vertreter der Musikkultur der (Noch-) DDR, die allesamt gegen einen Ausverkauf der DDR-Musik Stellung bezogen. Klar wurde jedoch auch, daß eigenständige DDR-Musikkultur bald der Vergangenheit angehören wird: Das Jugendradio dt 64 wird bei Übernahme der staatlichen Sendeanstalten der DDR durch die BRD sicherlich nicht mehr weiterbestehen, auch nicht das TV-Jugendmagazin Elf 99. Letztes Jahr noch überraschender Gewinner des Fernseh -Bambis, wird es der Programmreform zum Opfer fallen, kommerziell erfolgversprechende DDR-Bands werden vom Westen aufgekauft (Sandow, Keimzeit, Rockhaus), und ob sich die neue DDR-Rockzeitung 'NMI‘ behaupten wird, bleibt abzuwarten. Schlechte Karten also für die hehren Kulturvertreter aus der zweiten Republik: Bei Wegfall staatlicher Förderung sieht es mit unabhängiger Musik made in GDR nicht gut aus - die westlichen Firmen werden auch den Musikbereich unter sich aufteilen.