„Die Frage der Anerkennung der Frau hat an Bedeutung gewonnen“

■ Ein Gespräch mit Nora de Garcia, der Leiterin des Instituts für Forschung, Bildung und Entwicklung der Frau (IMU), über die Situation der Frauen und der Frauenorganisationen während des Bürgerkrieges in El Salvador

Mit dem Aufschwung der sozialen Bewegungen seit 1986 entwickelte sich in El Salvador auch die Frauenbewegung. Wenig von der Öffentlichkeit hierzulande beachtet, entstanden mehrere Frauenorganisationen und -institutionen. Sie wurden gegründet von Hausfrauen, Bäuerinnen, Studentinnen oder Frauen der Flüchtlingsfamilien. Wie alle anderen Basisorganisationen werden auch sie immer wieder Opfer von Anschlägen und Einschüchterungsversuchen von Militärs und Todesschwadronen. Was bedeutet Frauenpolitik in einer Gesellschaft, die seit Anfang der 80er Jahre durch den bewaffneten Konflikt zwischen der Armee und der Guerrillaorganisation, FMLN geprägt ist?

Das Institut für Forschung, Bildung und Entwicklung der Frau (IMU) wurde 1986 gegründet. Der Schwerpunkt seiner Aktivitäten liegt in der Bildungsarbeit mit Frauen aus verschiedenen sozialen Bereichen. Andere Arbeitsbereiche sind Frauenforschung, die Unterhaltung einer Frauenbibliothek, und Rechtsberatung für Frauen in ihren spezifischen Problemen mit ungeschützten Arbeitsverhältnissen, Mißhandlungen in der Ehe, sexueller Gewalt. 1987 organisierte das IMU das „Erste Treffen der Frauen für den Frieden“. Die Mitbegründerin und langjährige Leiterin des Instituts Norma Herrera wurde im November letzten Jahres von Militärs verschleppt und ermordet. Ihre Nachfolgerin, Nora de Garcia, hat im Juni die BRD und Westberlin besucht.

taz: Was waren eure Motive, als ihr 1986 das IMU gegründet habt?

Nora de Garcia: Der Krieg in unserem Land hat in all den Jahren sehr viel Tod, sehr viel Zerstörung gebracht, und auf den Frauen lastet das Gewicht dieses Krieges besonders stark. Wir sahen die Notwendigkeit, daß organisierte und unorganisierte Frauen ein Zentrum haben müssen, wo sie sich treffen und gemeinsam weiterbilden können, um dann eine aktivere Rolle in der salvadorianischen Gesellschaft spielen zu können.

Wie sehen die Konsequenzen des Krieges speziell für die Frauen aus?

In erster Linie hat der Krieg dazu geführt, daß sehr viele Frauen Haushaltsvorstände sind und die Familie alleine durchbringen müssen. Das betrifft heute schon ungefähr 40 Prozent der Frauen. Sie müssen ihre Kinder nicht nur großziehen, sondern auch selbst für ihren Unterhalt sorgen. Gleichzeitig haben sie sehr wenig Zugang zu Ausbildung. Viele finden deshalb nur im „informellen Sektor“ Arbeit, zum Beispiel als Kleinhändlerinnen, wo sie den ganzen Tag mit ihren Kindern auf der Straße sitzen. Dieser informelle Sektor hat in den Städten enorm zugenommen.

Gibt es in diesem Bereich Frauenorganisationen?

Das ist eines der großen Probleme. Es gibt Frauenorganisationen in den Stadtteilen, auf dem Land, in den Siedlungen der zurückgekehrten Flüchtlinge, aber nicht im informellen Sektor. Im letzten Jahr wurde in San Salvador eine Vereinigung von Straßenverkäuferinnen gegründet, aber die hat ihre Arbeit wieder eingestellt, nachdem mehrere Frauen verhaftet wurden.

Ihr arbeitet auch mit Frauen in Rückkehreransiedlungen, wohin Familien aus den Flüchtlingslagern im Ausland nach El Salvador zurückgekehrt sind.

Ja, diese Rückkehransiedlungen estehen fast nur aus Frauen, Kindern und einigen Alten. Die Männer sind tot, oder sie sind in der Guerrilla, oder sie sind ausgewandert, zum Beispiel in die USA, um dort Geld zu verdienen. Die Frauen versuchen unter sehr schwierigen Bedingungen, das Überleben ihrer Familien zu sichern. Sie arbeiten auf dem Land und vesuchen, mit kleinen produktiven Projekten wie Schweine oder Hühnerzucht über die Runden zu kommen.

Wenn heute so viele Frauen Haushaltsvorstände sind, ändert sich da nicht auch die gesellschaftliche Anerkennung der Frauen?

Ja, ich glaube, daß die Frage der Anerkennung der Frauen stark an Bedeutung gewonnen hat. Heute sind es nicht mehr nur die Frauenorganisationen, die die Probleme der Frauen zur Sprache bringen. Es gibt jetzt sogar schon Regierungsinstitutionen, die frauenpolitische Aktivitäten entwickeln. Das hat etwas mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen zu tun, ist aber auch ein Erfolg der Arbeit der Frauenorganisationen in den letzten Jahren.

Angenommen der Krieg ist zu Ende, und die Ehemänner, die jahrelang in der Guerrilla gekämpft haben, kommen nach Hause zurück: Werden da nicht in vielen Familien Machtkämpfe anfangen?

(lacht) Ja, bestimmt wird es Probleme geben. Die Männer stecken immer noch in ihrer alten Rolle und sind sich dieser Veränderungen nicht bewußt. Wenn sie zurückkommen, müssen beide, Frauen und Männer, unter diesen veränderten Bedingungen neu anfangen - sie mit ihrem neuen Selbstbewußtsein als Frau, und er muß das lernen.

Oft wird der bewaffnete Kampf auch überhöht und als einziger Weg zur sozialen Befreiung dargestelt. Wie seht ihr das?

Ich sehe das so, daß der Krieg nicht nur mit den Waffen geführt wird, sondern auch mit der politischen Arbeit an der Basis. Die Bewußtseinsarbeit ist für mich eine gleichwertige Sache. Es ist eine persönliche Entscheidung jedes einzelnen, wo er sich engagiert.

Spielen die Frauenorganisationen auch eine Rolle im Prozeß der Friedensverhandlungen?

Es gibt in El Salvador die „Nationale Debatte“, an der sich 70 Organisationen beteiligen und Vorschläge ausarbeiten, wie der Krieg beendet werden kann. Das sind Organisationen der Kirche, der Gewerkschaften, von kleinen und mittleren Unternehmern, Studenten und auch die Frauenorganisationen. Wir haben dabei aber keine eigenen, frauenspezifischen Vorschläge. Wie alle anderen wollen wir die Achtung der Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden.

Deine Vorgängerin ist von den Militärs ermordet worden. Wie erklärt sich diese Repression gegen Frauengruppen, die in erster Linie Bildungs- und Forschungsarbeit machen?

Der Sinn unserer Arbeit ist ja, daß die Frauen die Ursachen ihrer Probleme klar sehen. Die Regierung hat erkannt, daß die Frauen ein sehr großes Potential darstellen. Sie hat Angst davor, daß Frauen zu einem wichtigen Faktor der gesellschaftlichen Veränderung werden könnten. Deshalb versucht sie, solche Gruppen auszuschalten.

Wie siehst du nach deiner Reise die Möglichkeiten der Solidaritätsarbeit hier?

Ich hatte bei vielen Solidaritätskomitees das Gefühl, daß sie nach all den Veränderungen in der Welt sehr deprimiert sind. Sie glauben, daß ihre Arbeit überhaupt keinen Sinn mehr hat. Meine wichtigste Bitte ist deshalb, daß sie uns nicht vergessen. Hier in Europa verändert sich alles. Aber bei uns gibt es immer noch dieselbe Ungerechtigkeit, dieselbe Repression, dasselbe Elend.

Interview: Gabriela Simon