Besetzer im Wedding: Die „Wilde 15“

■ Die Bewohner eines ehemaligen Obdachlosenasyls richten sich als Besetzer ein / Streitpunkt: Darf der gewerbliche Flachbau auch als Wohnraum genutzt werden? / Die Nachbarkinder freuen sich

Wedding. Im großen, hellen Erdgeschoßzimmer der Wildenowerstraße 15 sitzt „Killi-Willi“, einer der 15 Besetzer des Hauses. „Keine Zeit für Interviews“, wehrt er Anfragen ab, er sei „zuständig fürs Kreative“: Kindertheater und -zeitung, Flugblätter und „Streichelzoo“, „meine Kraft ist für die Kinder aus der Nachbarschaft da“. Die Mühe scheint nicht umsonst: An den Wänden ungezählte Tuschbilder, auf einer langen Tafel Wassergläser, Pinsel und Farben liegen bereit für die täglichen Gäste.

Die Böden ziert Parkett, die Küche ist gekachelt, und zwei Bäder sind gefliest. Im oberen Stockwerk sitzt Antonio in einem 15 Quadratmeter großen Zimmer, das er sich mit einem anderen teilt, die Tür zum Balkon steht offen. Beim Blick vom Balkon in den Hof ist ein Tümpel mit „Mini -Haustiergehege“ zu sehen, Spielparadies für die Kids von nebenan. Unglaublich harmlos, die Kiezidylle, genannt „Wilde 15“. „Wir sind friedlich, wir sind 'n Team“, sagt Hans Joachim. „Wir bleiben hier drin. Um uns rauszukriegen, muß man uns raustragen“, versichert er. Das Räumungsverfahren gegen die Bewohner - seit Mai zahlen sie keine Miete mehr ist bereits abgeschlossen.

In einem anderen Zimmer sitzen Axel und Rolf. Beide sind Mitte 20, und beide kennen dieses doppelstöckige Flachgebäude noch aus einer Zeit, als sie mit etwa 30 anderen Obdachlosen hier untergebracht waren. Matratze an Matratze im Dachgeschoß sind noch heute Relikte der ehemaligen Obdachlosenunterkunft. Bis zum Februar dieses Jahres waren hier Menschen zusammengepfercht, für die das Sozialamt pro Kopf und Nacht 15 Mark zahlte. „Läusepensionen“, wie diese eine war, kennen Axel und Rolf zur Genüge. Und derlei Obdach droht ihnen, so fürchten sie, wenn sie hier geräumt werden. „Das Bezirksamt weist ihnen doch eine Unterkunft zu“, sagt Herbert Brüggenkamp, Geschäftsführer von „Proterra“, der das Haus gehört. Die Abrißgenehmigung liegt vor, auf dem Grundstück soll ein größeres Wohnhaus mit zwölf oder 13 Wohnungen gebaut werden. Loslegen könne man nach Brüggenkamps Angaben sofort. Gäbe es da nicht den einen Bewohner, der nicht auf der Liste des Gerichtsvollziehers stand. Und letzterer rückte, im Geleit von etlichen Polizeiwannen, am 2. August zur Räumung an. Auf die Frage, was an dem Haus nicht in Ordnung sei und einen Abriß rechtfertige, hat Geschäftsführer Brüggenkamp keine Antwort parat. Das müsse die Bauaufsicht wissen, die habe schließlich den Abriß genehmigt, und die WBK habe bereits die Mittel für einen Neubau bewilligt.

Der stellvertretende Bürgermeister vom Wedding, Horst Hawlicek, erklärte den Vorgang mit „Schutz des Eigentums“. Schließlich sei hier ein „vernünftiges Mietshaus anstelle des Flachbaus, der nicht ins Bild paßt, geplant“. Und ein Mitarbeiter vom Stadtplanungsamt Wedding erklärt klipp und klar: Dieses Haus „ist kein Wohnhaus, es war mal ein gewerblich genutztes Gebäude der Berliner Stadtreinigung“. Ein Gebäude mit Parkettböden, Zentralheizung, funktionierenden sanitären Einrichtungen - als Wohnung nicht geeignet.

Mitarbeiter der Obdachlosenberatungsstelle in der Levetzowstraße sind sauer: „Ausgerechnet unser Klientel trifft mal wieder der Abriß von Wohnraum.“ Sie fordern, daß diese „aktive und stabile Wohngemeinschaft“ hier weiter wohnen kann oder ihr zumindest ein adäquater Ort zugewiesen wird. „In Ost-Berlin gibt es soviel sanierungsbedürftige Häuser, wieso kann 'Proterra‘ nicht da investieren?“ fragt Sabine Kneip, Mitarbeiterin der Beratungsstelle. Brüggenkamp, der sein Wohnhaus bauen will für „Leute, die dringenden Bedarf haben“, gibt sich kulant: „Ich bin zu jedem Gespräch bereit.“ „Bisher“, so Brüggenkamp, „ist bloß noch keiner an mich herangetreten.“

MiGe