Umweltschützer haben den Kanal voll

■ Doch für die bayerische Landesregierung macht der Rhein-Main-Donau-Kanal mehr denn je Sinn / Jetzt müssen die erwarteten Ostgeschäfte zur Rechtfertigung des „dümmsten Projekts seit dem Turmbau zu Babel“ herhalten

Von Thomas Fricker

Nein, nach München, wie es sich brave Bayern schon vor 160 Jahren gewünscht haben, wird der Rhein-Main-Donau-Kanal nicht vorstoßen. Aber ein Gutteil des Freistaates wird inzwischen von dem „dümmsten Projekt seit dem Turmbau zu Babel“ (der ehemalige Bundesverkehrsminister Volker Hauff) durchzogen. Ganze 18 Kilometer trennen Binnenschiffahrtskapitäne noch von der Möglickeit, mit dem Frachtkahn zum Beispiel von Nürnberg nach Vilshofen zu tuckern - oder aber vom Rhein ans Schwarze Meer. Als Sinnspender für den sechs Milliarden Mark teuren Graben hat der Freistaat jetzt das zu erwartende Ostgeschäft in einem neuen geeinten Europa ausgemacht.

„Es ist eine Tatsache, daß Bayern in der Vergangenheit eine sehr enge Beziehung hatte zum Osten Europas“, sagt etwa Wolf -Dieter Remmele von der Pressestelle der Bayerischen Staatskanzlei. Diese Beziehung sei vom eisernen Vorhang unterbunden worden. Nun stelle der Rhein-Main-Donau-Kanal „wieder Kontakte her und verstärkt auch Kontakte“. Remmeles Chef, der angesichts des deutschen Einigungsprozesses stets um bayerische Eigenständigkeit und Identität besorgte Ministerpräsident Max Streibl, hat bereits Ende Juli in einem Interview mit der 'Süddeutschen Zeitung‘ bemerkt, der Kanal werde „unsere zentrale Lage im neuen Europa begünstigen“.

Bei einem Pressegespräch im Anschluß an eine kleine von der Rhein-Main-Donau AG veranstaltete Kanalfahrt erklärte Wirtschaftsminister August Lang, angesichts des durch die Öffnung der Grenzen zu erwartenden riesigen „Marktes von 400 Millionen Menschen“ müsse man alle bisherigen Transportprognosen nach oben korrigieren.

Genaue Hochrechnungen konnte oder wollte Lang freilich nicht nennen. Er nannte lediglich die Formel „Sieben Millionen Tonnen plus X.“ Auch seine These, wenn der Kanal 1992 endgültig in Betrieb gehe, könne die Wasserstraße die Verkehrslast über die Alpen mindern, blieb unerläutert. Offensichtlich ist man in der bayerischen Staatsregierung vorsichtig geworden: In der Vergangenheit waren bayerische Fracht-Prognosen regelmäßig von unabhängigeren - weil außerbayerischen - Fachleuten erheblich nach unten korrigiert worden.

Hubert Weiger, der Beauftragte des Bundes Naturschutz für Nordbayern, glaubt denn auch nicht, daß das sündhaft teure, ökologisch mehr als fragwürdige „Dinosaurierprojekt zu Lasten der bayerischen Heimat“ durch die neue Lage in Europa plötzlich doch noch wenigstens verkehrspolitischen Sinn erhalten konnte. „Die Zeiten für Massenverkehr auf einem relativ kleinen Kanal sind einfach vorbei“, sagte er auf Anfrage. Selbst wenn es durch die Öffnung der ehemaligen Ostblockländer für deutche Waren zu einem Anschwellen des Gütervolumens komme, ließe sich dies durchaus über die Schiene bewältigen.

Dies bestätigte auch ein Vertreter der Bundesbahndirektion Nürnberg. Sollte sich das Güteraufkommen in den nächsten Jahren spürbar ausweiten, bleibe der Bahn ohnehin nichts übrig, als ihre Kapazitäten entsprechend auszuweiten, meinte Tobias Richter von der Pressestelle Nürnberg. Auf der Schiene gebe es schließlich eine Beförderungspflicht. „Wenn der Kanal zugefroren ist, dann schreien sie plötzlich wieder alle nach der Bahn.“ Im übrigen glaubt Richter, daß es dem Rhein-Main-Donau-Kanal wohl ähnlich ergehen wird wie dem Elbe-Seitenkanal: die Bahn senkte - bis über die eigene Schmerzgrenze hinaus - die Frachttarife, „und der Kanal hat bestenfalls noch Freizeitwert“.

An dem bayerischen Prestigeojekt wird seit 33 Jahren gebaut. Auf einer Länge von insgesamt fast 700 Kilometern wurden bestehende Flußläufe bereits ausgebaut und vertieft, zum Teil stehen diese Maßnahmen, wie etwa am unteren Donaulauf, noch bevor. Umweltschützer sehen gerade in letzterem Vorhaben „eine der größten Naturzerstörungen in Deutschland“. Dem eigentlichen 168 Kilometer langen Kanal zwischen dem fränkischen Bamberg und Kelheim fielen nach Angaben des BUND unzählige Altwässer, Auenwälder und Feuchgebiete zum Opfer. Ganze Landschaften wie das Altmühltal wandelten ihr Gesicht, nach den Worten Weigers ein „entscheidender ökologischer Kulturverlust.“

Das sieht freilich die Rhein-Main-Donau AG etwas anders. Sie verweist darauf, daß in manchen Abschnitten bis zu einem Viertel der Kosten für naturschützerische Begleitmaßnahmen aufgewendet würden, und daß sie für jeden Hektar verbrauchte Fläche 1,3 Hektar bereitstellen müsse, neu angelegte Wasserärme nicht angerechnet. Ob die alte Landschaft oder die aus der Retorte im Einzelfall wertvoller sei, darüber, glaubt Pressesprecher Dr. Florian Stumfall, lasse sich streiten.