Lafontaine erklärt die Bundesrats-Blockade

SPD-Kanzlerkandidat steigt in Halle in die heiße Phase des Landtagswahlkampfes — und denkt auch an gesamtdeutsche Wahlen  ■ Aus Halle Axel Kintzinger

Das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Kultur scheint in der DDR ähnlich verkorkst zu sein wie in Westdeutschland. Die SPD- Wahlkampfstrategen in Sachsen- Anhalt lassen den Schunkelschlager „Hier kommt der Eiermann“ abspielen, als am späten Dienstag nachmittag in Halle ihr Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 14. Oktober, Reinhard Höppner, gemeinsam mit Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine die Bühne vor dem dortigen Rathaus betritt. Immerhin kommt niemand der wenigen tausend Versammelten auf die Idee, im Takt mitzuklatschen.

In Sachsen-Anhalt treten, anders als etwa im benachbarten Sachsen, zwei DDR-Politiker um den Posten des Ministerpräsidenten an. CDU- Kandidat Gerd Dies und SPD- Hoffnung Reinhard Höppner sind dem Wahlvolk relativ unbekannt. Auch Höppner kann nicht darauf vertrauen, durch seine Arbeit als Vizepräsident der Volkskammer sonderlich populär zu sein: daher die Hilfe von Oskar Lafontaine, der mit diesem Auftritt die heiße Phase des Landtagswahlkampfes für seine Partei eröffnet. Offenbar auf Arbeitsteilung einig, stellt Höppner in seiner Rede die landespolitischen Probleme in den Vordergrund, ist Lafontaine für die große Politik zuständig. Letzterer verzichtet auf grobe Keile. Als ob Lafontaine sich dem Schicksal der schon verlorenen gesamtdeutschen Wahl gebeugt hätte, polarisiert er nicht, erwähnt seinen Kontrahenten Kohl nur an einer Stelle und konzentriert sich ansonsten darauf, in der freidemokratischen Hochburg Sachsen-Anhalt die FDP anzugreifen.

Besonders auf Bundeswirtschaftsminister Haussmann hat es der Saarländer abgesehen, der bei der Investitionsförderung für DDR- Betriebe „gepennt“ habe. Politische „Laienspieler“ trieben eben nicht nur in der Ostberliner Regierung ihr Unwesen. Lafontaine appelliert an solidarisches Verhalten, nennt die zu Unterstützenden nämlich „die ihr ganzes Leben lang Betrogenen, die Rentner“ sowie die Verfolgten des Stalinismus. Seinen westdeutschen Konkurrenten hält er vor, bei Entschädigung zuerst an Besitztümer zu denken. Dieses Feld ist die ideale Angriffsfläche gegen die FDP. Deren Aushängeschild Hans-Dietrich Genscher biete zwar „hervorragende Außenpolitik“, die Liberalen seien jedoch eine Partei der „schlechten Sozialpolitik“.

Und dann flunkert Lafontaine, der ansonsten auf „Wahrhaftigkeit“ und „Ehlichkeit“ auch zu Wahlkampfzeiten pocht, den Hallensern etwas vor. In sozialen und wirtschaftlichen Krisenzeiten, so berichtet er aus der anderen Republik, hätte das bundesdeutsche Wahlvolk immer der SPD getraut — und sie im Saarland, in Nordrhein-Westfalen oder in Schleswig-Holstein an die Regierung gewählt. Als Begründung für die Ablösung Helmut Schmidts durch Helmut Kohl dürfte das kaum herhalten. Aber um den jetzigen Bonner Regierungschef, der sich auf großflächigen Wahlplakaten in der DDR schon jetzt als „Kanzler für Deutschland“ feiern läßt, sollte es an diesem Tag in Halle nicht gehen.

Lafontaine erklärt den Hallensern, wie das mit der Bundesrats- Blockade funktioniert. Er hebt die Punkte des Einigungsvertrages hervor, die die SPD mit ihrer Mehrheit in der Länderkammer durchgesetzt hatte — das geteilte Rechtsgebiet in Sachen Paragraph 218 etwa oder die Regelung „Entschädigung vor Rückübertragung“ beim Umgang mit Grund und Boden, auf den Westdeutsche Anspruch erheben könnten. Der Saarländer weiß, daß die neu erworbene Bundesratsmehrheit bei einem erneuten Durchmarsch der Konservativen in den fünf DDR-Ländern verloren ist und warnt seine Anhänger vor den Konsequenzen. Deshalb engagiert er sich — seine früheren, hohen Popularitätsraten in der DDR noch im Hinterkopf — intensiv im Wahlkampf des anderen deutschen Staates. Vor allem die Eigengewächse der DDR-SPD können viel von Lafontaine lernen. Höppner etwa, der die Zuschauer permanent in der zweiten Person plural anspricht und nicht in der, das „Wir-Gefühl“ produzierenden, ersten. Wenn Lafontaine zum Schlußapplaus die Hand Höppners sucht, um sich mit dem regionalen Spitzenkandidaten medienwirksam gemeinsam am Bühnenrand zu verbeugen, muß Höppner dies erkennen. Da darf er nicht so verschämt vor den Leuten stehen, was ihm sicher noch beigebracht wird. Die lokalen Veranstalter wird noch jemand aus dem westdeutschen Berater-Trust darauf hinweisen, daß Lindenbergs „Ich lieb' dich überhaupt nicht mehr“ während einer Wahlkampfveranstaltung falsch verstanden werden könnte.

Halles Sozialdemokraten warben mit Plakaten für den Besuch des prominenten Saarländers, in Magdeburg nahm man es nicht so genau — nur rund 1.000 Schaulustige konnte Lafontaine auf dem dortigen Domplatz um sich scharen.