Talking 'bout my Ge-Ge-Generation

■ Uli Becker schreibt „Alles kurz und klein“

Die Gedichte des Asphalterotikers Uli Becker halten den Augenblick der Wahrheit und des schwarzen, zynischen Lachens fest. Diese Gedichte inszenieren die Wirklichkeit, sie sind genau kalkuliert, blitzend von Pointen, die Effekte sitzen: jeder Schuß ein Treffer. Diese Sicherheit und sein trockener, böser Witz machen Uli Becker zu einem Fremdkörper in der deutschen Literatur — kein sentimentaler und diffuser Innerlichkeitslyriker, kein verspäteter Expressionist oder Dada-Epigone — eher ein hochentwickelter Graffitikritzler.

Wie die routinierte Professionalität die Poesie ersticken kann, war in seinen letzten Gedichtbänden immer häufiger zu beobachten (am traurigsten inDas blaue Wunder, ein Buch, das es redlich verdient hat, in Rowohlts Teenie-Reihe „Panther“ zu erscheinen) — die Kunst verkam zum Kunsthandwerk, der scharfe, zynische Witz zur Pointengier — Gedichte wie erschöpfte Party-Entertainer, die noch einmal mit abgestandenen Witzchen Aufmerksamkeit erregen wollen und doch nur ein trauriges Lächeln auslösen. Seit Beckers letztem Gedichtband (Das Wetter von morgen, Haffmans Verlag 1988) lassen sich seine Bücher wieder ohne dieses müde Lächeln lesen: Die Gedichte haben es nicht mehr nötig, penetrant den Gags hinterherzujagen.

In seinem neuen Buch, einem langen Prosagedicht, hält Uli Becker auf 132 Seiten Erinnerungen fest: Zwischen der ersten („Ich erinnere mich, daß ich ursprünglich beim Sitzen nicht bis an den Boden gereicht habe mit den Füßen“) und der letzten („Der letzte, erinnere ich mich, macht's Licht aus. Und dann beißen ihn die Hunde“) findet sich das trockene Lachen zwischen Hohn und Verzweiflung und die innere Biographie einer Generation. Vorgebracht wird das im Gestus von Günter Eichs Inventur: Dies ist meine Spielzeugeisenbahn, dies ist mein Haarausfall, hier meine Liebslingsfernsehserien („Ich erinnere mich an Gentlemen, die zur Kasse baten. Wiederholt.“).

Indem Uli Becker das seelische Inventar seiner Generation „kurz und klein“ schlägt, gelingt ihm eine Sentimental Journey ohne Sentimentalitäten und ein Bildungsroman in Pillenform. Sein fast nüchterner Tonfall zielt nicht mehr auf permanente Lacher. Noch die komischen Zeilen haben einen gleichzeitig trockenen und leicht melancholischen Ton: „Ich erinnere mich an Travis Bickle, der nach jeder Nachtschicht den Rücksitz abwischen mußte, und manchmal war es auch Blut. / Ich erinnere mich an die erste fremde Zunge in meinem Mund / (...) /Ich erinnere mich an die autofreien Sonntage. / (...) / Ich erinnere mich an die Zukunft, die Kalkar hieß.“ Die Polaroids der Erinnerung ergeben das Bild einer Erziehung des Herzens, zwischen der Kindheit im gemütlichen Kleinbürgertum („Ich erinnere mich an Ruhe im Karton“) und Subkultur, zwischen Rock'n'Roll und dem Mief der Gymnasien: „Ich erinnere mich an Se Lords mit ihrem ,maser änt faser änt san, sistern änt onkeln ah fan‘ und wie ich vom Englischlehrer dazu verdonnert wurde, nachmittags einem Klassenkameraden das Tie-äitsch vorzumachen.“

In diesen Erinnerungen wimmelt es von alten Bekannten, von den Kultfiguren, die nicht nur seine Entwicklung begleitet haben: Die Collected Letters of Raymond Chandler und Popeye, „die Boa constrictor mit dem Elefanten im Bauch im Kleinen Prinzen und immer wieder Scorseses Taxidriver Travis Bickle bevölkern die Seiten. Uli Becker spielt, ohne sie zu denunzieren, mit Klischees, und er spielt mit dem Augenblick des Wieder-Erkennens dessen, was man für die persönlichste, eigenste Leidenschaft gehalten hat.

Am schönsten aber sind die Sätze einer traurigen Sehnsucht, die zwischen den lakonischen Notizen, zwischen den leicht angewiderten Blicken auf die Umgebung immer wieder durchbricht, ohne Netz und doppelten Boden: „Ich erinnere mich an sterbensöde Sonntagnachmittage. Zielloses Herumstreunen in der Stadt, ganz für mich allein und das Kabel am Fahnenmast vorm Rathaus weit und breit das einzige, was sich bewegte (klack... klack... klack), wie der Sekundenzeiger meines jungen, verrinnenden Lebens.“

Man liest dieses Buch nicht ohne seltsame Rührung und Peinlichkeit, ähnlich der Lektüre alter Tagebücher und Liebesbriefe. Es kommt einem umwerfend vertraut vor wie ein Mickey-Mouse-Heft und ist gefühlsecht wie die Tränen im Kino. Peter Laudenbach

Uli Becker: „Alles kurz und klein. Erinnerungen“, 132 Seiten, 24 DM, Haffmans Verlag