Fünf Zimmer sind kein Zufluchtsort

Die Frauenhäuser der Gründergeneration feiern Jahrestage/ Immer noch gelten die gleichen Probleme: zu wenig Platz, zu wenig Geld  ■ Von Christine Weber-Herfort

Im Prozeß gegen einen 34jährigen Mann, der seine Freundin mißhandelt und gewürgt hat, ist es zu einem Urteil gekommen. Die 21.Große Strafkammer des Frankfurter Landgerichts verurteilt den Mann zu viereinhalb Jahren Haft wegen versuchten Totschlages. Das Gericht bleibt erheblich unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe von sieben Jahren. Der Vorsitzende Richter führt in der Urteilsbegründung aus: Der Angeklagte sei zum Zeitpunkt der Tat nur vermindert zurechnungsfähig gewesen. Die Scheidung der Eltern des Täters und die folgende Erfahrung in Heimen hätten im Angeklagten „eine ausgeprägte Sehnsucht nach Geborgenheit“ entstehen lassen. So zeige er starke Tendenzen, sich anzuklammern. Auch habe er, wie das bei schwachen Menschen häufig vorkommen, seine Konflikte verdrängt: Das Verhalten der Zeugin (des Opfers, die Verf.) sei demgegenüber nicht ganz verständlich. „Die Situation war von ihr fast vorprogrammiert, eine gewisse Provokation lag in ihrem Verhalten“, sagt der Gutachter, auf dem sich der Richter beruft. — So stand es im Lokalteil der 'Frankfurter Rundschau‘ in einer Ausgabe vom Sommer 1990. Von Protesten gegen diese Urteilsbegründung ist nichts bekannt.

Alltag in der Bundesrepublik: Die Zufluchtsorte für mißhandelte Frauen sind überfüllt. Die Frauenhäuser der ersten Gründerzeit vor gut zehn Jahren feiern schon Jahrestage. Wie das Frauenhaus in Norderstedt (am nördlichen Rand von Hamburg) zum Beispiel. Vor zehn Jahren war hier die Frauenpower unterwegs. Mit Kochgeschirr und Deckeln zog sie ums Rathaus, um ihre Autonomie- und Geldforderungen zu unterstreichen. Damals hatten die Betonköpfe in der Verwaltung einfach den Geldhahn zugedreht, weil sie die Kontrolle über das autonome Projekt nicht erlangten. Da auch viel Fantasie und spektakuläre Aktionen nichts einbrachten, zog sich die erste Frauenhaus-Generation zurück. Aber sie hatte eine Bresche geschlagen. Die Notwendigkeit eines Frauenhauses war bewiesen, und unter der Trägerschaft der evangelischen Kirche entstand dann ein neues Frauenhaus, das jetzt seit fünf Jahren arbeitet.

Es ist ein ganz durchschnittliches Haus viel zu klein, viel zu eng, total überfüllt. Fünf Zimmer (das kleinste 8 Quadratmeter, das größte 20 Quadratmeter) für 25 Frauen und Kinder. Ein großer Gemeinschaftsraum, in dem auch die Kinder betreut werden, sofern sie nicht zur Schule gehen. Obwohl die Mehrzahl der Frauen nach zwei bis drei Monaten fit wären für ein Leben unter eigener Regie, sitzen die meisten aufgrund der katastrophalen Lage auf dem Wohnungsmarkt hier schon länger als ein Jahr fest: ohne Privatsphäre, noch nicht mal ein Schrank, alles steht voller Plastiktüten. Der Frustpegel steigt, zumal in vielen Fällen die Männer dieser Frauen jetzt alleine in viel zu großen Wohnungen sitzen. Zudem müssen die Frauen ständig damit rechnen, umgruppiert zu werden, damit noch Platz für neue Bewohnerinnen geschaffen wird. Und doch gibt es manchmal nur noch die Möglichkeit, Frauen an andere Häuser zu verweisen. „Wir haben in den letzten fünf Jahren 1.200 Frauen untergebracht“, berichtet eine Mitarbeiterin, die schon fünf Jahre im Frauenhaus arbeitet. Nach ihrer Erfahrung ziehen weit mehr Frauen nach dem Frauenhausaufenthalt in eine neue eigene Wohnung als zurück zu dem gewalttätigen Mann.

Was hat sich verändert in den fünf Jahren? „Wir haben angefangen mit der Vorstellung, daß die Frauen die besseren Menschen sind, daß die Gewaltbeziehung allein Sache der Männer ist. Das sehen wir heute diffenrenzierter: Auch Frauen halten Gewaltstrukturen aufrecht, die meisten haben ja schon als Kind selbst in Gewaltbeziehungen gelebt“, erklärt eine Mitarbeiterin.

Neue Aufgabenfelder

Von großer Bedeutung ist auch im Frauenhaus in Norderstedt die Nachbetreuung der betroffenen Frauen. Es gibt regelmäßige Treffen der ehemaligen Bewohnerinnen und einen Müttertreff. Generell gilt, daß sich die ehemaligen Frauenhausbewohnerinnen in der ersten Zeit nach dem Verlassen des Frauenhauses in einer kritischen Übergangsphase befinden und sehr vielen erst dann die umfassenden Auswirkungen der Trennung bewußt werden.

Die Diskussionen und Kontroversen, die im Feld „nachgehende Betreuung“ aktuell sind, konzentrieren sich auf drei Themenbereiche:

— die Frage nach dem adäquaten Ort für die nachgehende Betreuung (im Frauenhaus oder ausgelagert),

— die Frage nach der Erreichbarkeit der Frauen (Wie nachgehend soll die Beratung sein? Sollen Hausbesuche eher die Regel oder die Ausnahme sein?)

— die Frage nach der inhaltlichen Ausrichtung der Angebote.

Eine Untersuchung des gegenwärtigen Standes der nachgehenden Betreuung legte jetzt das Berliner Institut für Sozialforschung und sozialwissenschaftliche Praxis e.V. (im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit) vor, an der sich gut drei Viertel aller angeschriebenen 156 Frauen beteiligten.

Bei der Frage, ob die „nachgehende Beratung“ im Frauenhaus integriert oder ausgelagert werden soll, kommt der Forschungsbericht zu dem Ergebnis, daß keinem der beiden Modelle prinzipiell der Vorzug zu geben ist. Optimal wäre es, wenn beide Möglichkeiten, den Bedürfnissen der ehemaligen Bewohnerinnen entsprechend, gewählt werden könnten. Grundsätzlich werden auch in der „nachgehenden Beratung“, so die Studie, die unterschiedlichen Akzente im beruflichen Selbstverständnis deutlich: Das ist einmal die auf ganz praktische Lebenshilfe ausgerichtete Beratung, zum anderen gibt es den Ansatz, die Frauen in einem neuen Selbstbild zu bestärken und Veränderungen bei ihnen auszulösen.

Die Studie befaßt sich auch mit der präventiven Beratung, die von Frauen mit massiven Trennungskonflikten und dem Wunsch nach Aussprache und Information in Anspruch genommen wird. Vielfach nimmt die präventive Beratung in den Frauenhausberatungsstellen einen größeren Anteil der Arbeitskapazität in Anspruch als die nachgehende Beratung, für die oftmals die Stellen geschaffen wurden. Beide Bereiche — präventive Beratung und nachgehende Betreuung — sind inzwischen dringend notwendige Zusatzleistungen der Frauenhäuser und bedürfen einer eigenständigen Finanzierung.

Die Studie „Wege aus Mißhandlungsbeziehungen — Unterstützung für Frauen und ihre Kinder vor und nach dem Aufenthalt im Frauenhaus“ von Heidrun Brandau, Carol Hagemann White, Margret Haep und Annette del Mestre, im Auftrag des Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit durchgeführt ist im centaurus verlag, Pfaffenweiler erschienen.