Im Hauptstadtstreit hat Magdeburg die Nase vorn

Das Rennen um den Regierungssitz scheint bereits entschieden/ Kaum noch Chancen für Halle  ■ Von Axel Kintzinger

Wer sich den Städten mit den so bedeutungsvollen historischen Namen Magdeburg und Halle nähert, muß, bevor er das jeweilige Zentrum erreicht, eine Beleidigung der Sinne ertragen. Denn was etwa im Norden Magdeburgs lieblich „Kannenstieg“ oder „Birkenweiler“ heißt, entpuppt sich als eine Ansammlung realsozialistischer Einheitsplattenbauweise. Halle an der Saale, das mit Magdeburg um den Sitz der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts konkurriert, steht dabei um nichts zurück: Sein Stadtteil Silberhöhe, in dem die Arbeiter aus den Chemiewerken Leuna und Buna um die Wette husten, nimmt es mit der Magdeburger Steinwüste leicht auf.

Doch damit — zu erwähnen ist allenfalls noch die frühere Funktion beider Städte als Handelsmetropole — hört das Gemeinsame auf und beginnt der Wettkampf um die Hauptstadtfrage. Halle beruft sich darauf, schon einmal Regierungssitz gewesen sein — in den sieben Jahren, in denen Sachsen-Anhalt in den jetztigen Grenzen existierte. Das war zwischen 1945 und 1952, und die Hallenser lassen sich ungern daran erinnern, daß die sowjetischen Besatzer ein Wörtchen mitgeredet hatten bei dieser Entscheidung. Dabei hatte die sowjetische Militäradministration sicherlich nicht nur dem Drängen von Walter Ulbricht nachgegeben, wie man in Magdeburg heute kolportiert. Die alliierten Bomben ließen kaum einen Stein auf dem anderen stehen, so daß die Hauptstadtfrage wohl auf Grundlage eher pragmatischer Gründe gefällt wurde.

Um den neuerlichen Hauptstadtanspruch Magdeburgs zu untermauern, greifen die Elbstädter tief in die Historie. So weist die im März dieses Jahres gegründete „Magdeburgische Gesellschaft von 1990 zur Förderung der Künste, Wissenschaften und Gewerbe“ stolz darauf hin: „Magdeburg war die bevorzugte Pfalz Kaiser Ottos des Großen.“ Und deswegen „verlagerte sich das Herrschaftszentrum des karolingischen Reiches aus dem ursprünglichen Siedlungsgebiet der germanischen Franken zwischen Somme (Nordfrankreich) und Maas-Niederrhein in das Territorium der unterworfenen Sachsen und der slawischen Grenzvölker zwischen Niederrhein und Havel-Oder“. Im Zuge dieser Entwicklung sei Magdeburg „Hauptort der sich nun entwickelnden Ostpolitik“ geworden. Das klingt aktuell, und so ist es wohl auch gemeint.

Dabei bekommen Wolfgang Hassel und Fritz Wächter vom Magdeburger Staatsarchiv, auf deren Veröffentlichungen sich die „Magdeburgische Gesellschaft“ beruft, Unterstützung aus dem Westen. Auch für den Wolfsburger Kunsthistoriker und Spezialisten der Geschichte Sachsen-Anhalts, Ekkehart Tillmann, wurde Magdeburg in dieser Zeit zum „Ausgangspunkt des Osthandels und der Ostkolonisation“, schlicht: „zum Tor des Ostens“. Und weil Tillmann auch zu den bedingungslosen Verfechtern einer Landeshauptstadt Magdeburg gehört, kann er sich in einem Plädoyer „Gerade deshalb Magdeburg!“ einen kleinen Seitenhieb auf die Konkurrenz von der Saale nicht verkneifen. Im Mittelalter war Magdeburg Initiator des weitverbreitetsten Stadtrechtes und wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Hochburg des Protestantismus — und damit großzügiger Zufluchtsort vieler Gegner der römischen Kirche. Der Erzbischof jedoch mußte seine Residenz verlegen. Nach Halle.

Und überhaupt, trumpfen die Lokalpatrioten auf, sei „die Elbestadt über mehrere Jahrhunderte hindurch Metropole des Erzstifts Magdeburg (968 bis 1680), des Herzogtums Magdeburg (1680 bis 1807) sowie der preußischen Provinz Sachsen (1816 bis 1944) und eine bedeutende Hansestadt“ gewesen. Halles CDU- Oberbürgermeister Peter Renger hält dagegen, seine Stadt sei lange genug von der Magdeburger Dominanz geplagt worden. Und auch er schlägt nach im Geschichtsbuch: Im Jahre 968 die Unterwerfung unter das Erzbistum, später die Proklamation der „Freien Reichsstadt Halle“. Und mit den letzten Jahren, in denen sich Halle dem Berliner Zentraldiktat beugen mußte, wirft Renger gleich mit in die Waagschale.

Um die Abgeordneten des am 14. Oktober zu wählenden Landtages, er entscheidet letzlich über den Regierungssitz, zu überzeugen, wird Magdeburg jedoch handfestere Trümpfe ziehen. Als einer der großen Vorzüge wird gerne die Art der Industrialisierung genannt.

Industrie auf Handel mit UdSSR ausgerichtet

Während die Gegend um Halle — Bitterfeld! — hochgradig vergiftet ist und den großen Chemiewerken in dieser Region ohnehin niemand eine ernsthafte Überlebenschance einräumt, verweist Magdeburg auf seine traditionelle Schwerindustrie: Auf die Walzwerke etwa oder den Schwermaschinenbau, die sich just an der Stelle aneinanderreihen, wo der Mittellandkanal über ein Schiffshebewerk und einen Abstiegskanal mit der Elbe verbunden ist. Auch in Magdeburg vermelden die zumeist westlichen Tageszeitungen beinahe täglich Massenentlassungen. Allerdings wird vielen Unternehmen der betroffenen Arbeiter von der Treuhand bescheinigt, überlebensfähig zu sein. Kein Wunder: Sie waren auf den Handel mit der UdSSR spezialisiert, und die alten Verträge behalten nach dem jüngst ratifizierten Abkommen zwischen Bonn und Moskau Gültigkeit.

Und: Magdeburg wird darauf hinweisen, von seiner Lage zu profitieren. An der Stadt führt mit der A2 eine der künftig wichtigsten Autobahnen vorbei, die das Ruhrgebiet mit Berlin verbindet, die Wasserstraßen Mittellandkanal und Elbe sowie die Zugverbindung in den westlichen Teil Deutschlands und in die Spreemetropole, die über Magdeburg führen, kommen noch hinzu.

Flink haben die Elbstädter schon vorweggenommen, was nach den Wahlen vom 14.Oktober erst noch entschieden werden muß: Schilder mit der Aufschrift „Magdeburg — Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt“ grüßen schon heute selbstbewußt an den in die Stadt führenden Straßen. Immerhin: Vertreter der Kommunen von Sachsen-Anhalt haben sich schon Mitte September festgelegt — für Magdeburg.