»Heiliger Bimbam, Kaspar ist tot«

■ Eintracht im Cabaret Gerard Philippe/ Zwietracht im Puppentheater

Eigentlich hatte Peter Waschinsky, Puppenspieler, Regisseur und künstlerischer Leiter des Treptower Cabarets Gerard Philippe, am Freitagmorgen kurzfristig die Presse zusammengetrommelt, um gegen seine Kündigung vorzugehen, doch dann kam alles ganz anders.

Was als Begräbnis in Protest münden sollte, wurde zur Jubelfeier und was im Jubel enden sollte, ging weiter: Im zweiten Teil der Pressekonferenz und in seiner Eigenschaft als Sprecher des Büros der Freien Gruppen, drängte Waschinsky darauf, das Ensemble des Puppentheaters Berlin zu kündigen, auf das freie Gruppen den frei werden sollenden Raum nutzen könnten.

Seit 1988 entfaltet Peter Waschinsky »Aktivitäten vor allem genreübergreifender Natur«: Tanz, Kleinkunst, Cabaret, Parodien, Kurzfilme und vieles mehr machten den Club Gerard Philippe unter seiner Regie zu einem der interessanteren Veranstaltungsorte im »Ostteil der Stadt«. Doch seine Stellung im Club war unsicher; es war ein »Bratkartoffelverhältnis«, wie er sagt. Er hatte nie einen festen Vertrag. Das änderte sich erst Anfang des Jahres als er zum künstlerischen Leiter des Clubs avancierte. Doch fühlt er sich seitdem von der Clubleitung boykottiert: die Öffentlichkeitsarbeit hätte nicht geklappt, der Club hätte keinerlei Werbung für die anfallenden Veranstaltungen gemacht, der Einlaß sei »FDJ-artig« gewesen, an der Theke hätte es lange Schlangen gegeben, die technischen Abläufe seien nur schleppend vorangegangen, Podeste wären gestohlen worden, Mitarbeiter hätten die Arbeit verweigert, nichtkommerzielle Fördermittel wären kommerziell verwertet worden usw. Waschinsky schrieb all die Bösartigkeiten auf und schickte das gesammelte Material an das Bezirksamt Treptow. Er verlangte eine »Untersuchung« seiner Vorwürfe und »Schlußfolgerungen«, »um das Haus arbeits- und konkurrenzfähig zu halten«. Verbal sei man zwar beim Bezirksamt seiner Meinung gewesen, doch unternommen hätte man nichts.

So machte Waschinsky auf einer Pressekonferenz am 13.9. seine Vorwürfe öffentlich. Daraufhin kündigte ihm die amtierende Amtsleiterin des Kulturamts Treptow die Zusammmenarbeit auf. »In unfairer Weise«, so schrieb sie, hätte Waschinsky »den Klubleiter Herrn Walter Odemark und die anderen Mitarbeiter kaputtspielen wollen«. Waschinsky konterte. Wie vereinbart hätte er doch das »Bezirksamt aus dem Spiel gelassen«, die Kündigung stütze sich auf Berichte Dritter, und man wolle wohl einen angepaßteren Kandidaten zum Leiter machen. Auf der Einladung zur Pressekonferenz am Freitag, die er gab, um noch irgendwas zu retten, schlug er noch härtere Töne an und fragte, ob das Handeln der »Bezirks-Beamtin« eventuell darauf zurükzuführen sei, daß sie vom Clubleiter Odemark »wegen ihrer SED-Vergangenheit unter Druck gesetzt« würde.

Siegesfeier mit Knabbergebäck

Inzwischen scheint sich jedoch alles in Wohlgefallen aufgelöst zu haben: Ab 1991 hat Waschinsky einen verbindlichen Vertrag für das »Projekt Cabaret Philippe« und wird sich bemühen, in Treptow »Pofil für ganz Berlin«, die »Weltstadt«, zu zeigen«. Vollständig sind die Querelen jedoch noch nicht ausgeräumt: Clubleiter Odemark, den Waschinsky nicht mehr grüßt, ist weiterhin im Amt. Geheimnisvoll war noch die Rede von drei Bürgern die sich als Bürgerbewegung aufspielen würden und dem Neuen Forum naheständen, die das Prädikat »bürgernah« gegen »Off«-Theater aussspielen würden. Dann kam man zur Siegesfeier, in der, so empfahl man den Pressevertretern, die Berichterstattung münden solle. Die Siegesfeier also bestand aus Kaffee, Knabbergebäck und wunderschönen Teilen eines »neuen, tollen, zeitgemäßen Programms«. Sie bildete jedoch nicht das Ende dieser Pressekonferenz, denn man wollte, wiederum in Abwesenheit der Angeklagten, in Sachen Puppentheater Auskunft über seine Position geben.

Eigentlich will jeder die größte deutsche Puppentheaterbühne in der Greifswalder Straße erhalten. Doch jeder der selbsternannten Erhaltwilligen wirft dem anderen vor, es in seiner Existenz zu gefährden:

Seit mehr als zehn Jahren ist die Bühne in Prenzlauer Berg Zentrum des DDR-Puppentheaters. Seit zehn Jahren, so Frau Dr. Scharlau von der Abteilung Kultur des Magisenats, wurde das Theater »systematisch heruntergewirtschaftet«. Sie muß es wissen, ist sie doch selber seit drei Jahren in der Kulturpolitik mitverantwortlich für das Haus. Interessante Impulse für zeitgenössisches Puppenspiel wären, so Waschinsky, nie von Berlin, sondern bestenfalls von Neubrandenburg (das Theater hatte er selbst eine Zeitlang geleitet), Wismar oder von freien Puppenspielgruppen, wie Zinnober gekommen. Unter denen, die auf sich hielten, so erzählt er, wäre nie jemand an die Berliner Bühne gegangen. Statt dessen wäre es eine Art »Vorruhestand« gewesen.

Verantwortlich für das herrschende »Mittelmaß«, so sehen es nicht nur die Mitglieder des Ensembles, seien jedoch die falschen Leiter gewesen. So wurde im November letzten Jahres der Intendant Lorenz, der einzige Professor für Puppenspiel, vom Theater geschaßt und man mühte sich im Kollektiv, neue Impulse zu entwickeln.

Wo Geld kommt, muß Leistung sein

Das Experiment sei mißlungen und die Zeit des Ausprobierens sei jetzt zu Ende, meinen Waschinsky und Frau Scharlau vom Magisenat. Denn lange genug hätte man bezahlt für etwas, »wo keine Leistung kommt«, und »wo Geld kommt, muß Leistung sein«. So beschloß man am 3.9., das Ensemble zu entlassen, den Verwaltungs- und technischen Apparat jedoch beizuhalten. Man beschloß in etwa das, wogegen Peter Waschinsky in Sachen Cabaret Gerard Philippe noch polemisiert hatte: die festangestellten Künstler zu streichen und den Rest beizubehalten. »Selbstverständlich«, so Waschinsky, »braucht das Haus eine Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit usw. sowie eine Technikermannschaft. Aber die zur Verfügung stehenden Mittel sollten zugunsten der Künstlerhonorare zurückgenommen werden.«

Die Spielstätte, so Waschinsky und Frau Scharlau, solle ab Januar 1991 freien Gruppen zur Verfügung stehen. Daß damit das Theater zerschlagen werden solle sei eine böse Unterstellung, im Gegenteil: ein »Programmbeirat«, der ähnlich demokratisch funktionieren soll, wie der westliche Beirat, solle darüber entscheiden, welcher freien Gruppe das Haus jeweils zur Verfügung gestellt werden wird. Künstlerische Gesichtspunkte ständen so im Vordergrund und es würden Leute miteinander arbeiten können, ohne »übergebührlich lange aneinander gefesselt« zu sein, meint der Sprecher des sich gerade auflösenden Büros der Freien Gruppen und befürwortet eine Spielstätten- und Projektförderung nach westlichem Vorbild. Frau Scharlau ergänzt, daß einem solchen Projekt mehr und nicht weniger Mittel zur Verfügung gestellt werden würden.

Das Ensemble protestierte und ging in die Öffentlichkeit. Man wolle das Puppentheater zerschlagen, den Kindern ihre Bühne fortnehmen, so sagten sie und drückten, so Waschinsky und Scharlau, »ordentlich auf die Tränendrüse«.

Kein Herz für Kinder

Den 16 Puppenspielern am Theater, von denen, so Scharlau, nur wenige überhaupt spielen würden, ginge es in erster Linie um Wahrung ihrer Privilegien. Die Leute vom Puppentheater, die »leider« nicht gekommen waren (Waschinsky), de facto aber gar nicht eingeladen waren, sehen das naturgemäß anders: Christine Boyde, Dramaturgin des Theaters, räumt zwar ein, daß die Kollektivarbeit, von der man noch im November geträumt hatte, Illusion gewesen wäre, daß vieles nicht so geklappt hatte, wie es hätte klappen sollen, verweist jedoch darauf, daß man die ganze Zeit ohne Intendanten hätte spielen müssen, daß man sich bemüht hätte, einen zu bekommen und Frau Kühne, zuständig beim damaligen Magistrat für Puppenspiel sowie Frau Scharlau, die eingereichten Bewerbungsunterlagen verbummelt hätten, beklagt, daß sie nach der Währungsunion zwei Monate praktisch ohne Geld dagestanden wären. Sie betont aber, daß die Vorstellungen immer gut besucht worden seien und besteht auf dem Wert einiger Produktionen, die wie »Hänsel und Gretel« fast als »eine Koproduktion mit Ost-Berlins wohl wichtigster Gruppe Zinnober« entstanden waren.

»Für uns steckt mehr dahinter«, meint sie und vermutet, daß man von Politikerseite das Ensemble raushaben wolle, weil das Stammhaus Westbesitz sei, befürchtet ein Sammelsurium und daß mit Kündigung des Ensembles kein Puppentheater mehr für Kinder möglich sei — »Kinder haben keine Lobby«. Die freien Gruppen würden kaum Kinderstücke spielen. Man könne statt dessen doch das Ensemble auf zehn Spieler reduzieren und dann nicht nur Eigenes, sondern auch Koproduktionen spielen und anderen Gruppen den Raum geben, den sie benötigen.

Den verantwortlichen Politikern sind in dieser Geschichte jedoch ein wenig die Hände gebunden: Zwar ging die Personalhoheit der ehemals nachgeordneten Kultureinrichtung im September an den Magisenat, doch muß seiner Entscheidung der Personalrat des Puppentheaters zustimmen. Bis zum 31.10. kann man zwar bei Nichtbedarf oder bei »in der Person liegenden Gründen« (eine Formel, die man extra für die eheamlige DDR gefunden hat) die unbefristeten Verträge noch in befristete verwandeln — sonst würden sie zumindest bis 92 weitergelten — doch in jedem Fall müßten alle Mitarbeiter noch bis zum 31.7.91 weiterbezahlt werden und die, die schon über 15 Jahre beim Theater sind, müßte man gar bis zur Rente bezahlen. Detlef Kuhlbrodt