Proteste gegen Bespitzelung halten an

Hunderttausende demonstrieren in Südkorea/ Opposition und Dissidenten fordern ein Ende der Bespitzelung durch das Militär/ Präsident soll Verantwortung übernehmen/ Kim Dae Jung immer noch im Hungerstreik  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

Gut 100.000 Menschen versammelten sich an diesem Wochenende in Seoul zu einer Massendemonstration gegen die Bespitzelung von Oppositionellen durch den militärischen Sicherheitsdienst (Defense Security Command) DSC. Seitdem kam es zu weiteren, auch gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Stadt.

Die illegale Überwachungsaktion hatte sich zu einem Skandal ausgeweitet, nachdem der Student und ehemalige DSC-Agent Yun Sok Yang über die Bespitzelung plauderte.

Der 24jährige wurde im Mai diesen Jahres von DSC-Agenten geschnappt, kurzerhand ins Militär eingezogen und durch Repressalien gezwungen, für den Sicherheitsdienst zu arbeiten.

Doch Yun geriet in Gewissensnöte, weil er Kommilitonen anschwärzte und Informationen über „verdächtige“ Personen an den DSC weitergab. Er desertierte und ließ 30 Disketten und Akten der Militärschnüffler mit sich gehen. Weitere 60 Disketten sollen sich nach Aussagen Yuns noch in DSC-Händen befinden. Der mit Haftbefehl gesuchte Yun, den der neu ins Amt berufene Verteidigungsminister als einen „Vertreter der gesamten Nation“ bezeichnet haben soll, hält sich seit den für die Regierung so peinlichen Veröffentlichungen versteckt.

Daß staatliche Sicherheitsorgane auch heute noch, fast drei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur Chun Doo Hwans, Zivilisten überwachen, wundert Oppositionelle kaum. Doch der Umfang der Bespitzelungsaktion und der große politische Einfluß des Militärs, sei das eigentlich Explosive an den Offenbahrungen gewesen, glauben sie. Der ehemalige Verteidigungsminister Lee Sang Hoon, den Südkoreas Staatschef Roh Tae Woo wenige Tage später feuerte, um die Öffentlichkeit zu besänftigen, rechtfertigte die Bespitzelung mit dem Schutz vor „Feinden“ in Notstands- und Kriegszeiten.

Ein Blick auf die Dossiers verrät jedoch anderes. Moon Dong Hwan, Bruder des inhaftierten Dissidentenpastors Moon Ik Hwan und führendes Mitglied der oppositionellen „Partei für Frieden und Demokratie“ (PPD), ist Code-Ziffer 294: „Die Person trägt Brille, sportlich- angegrautes Haar, in Ansprachen holprig wie ein US-Koreaner, die Mauern um sein Haus sind 1,5 Meter hoch, sein wahrscheinliches Versteck: die Wohung Kim Dae Jungs.“ Kim, der PPD-Vorsitzende mit der DSC-Nummer 283, wird als „gefährliche Figur“ eingestuft. Er befindet sich seit 8 Tagen im Hungerstreik.

Presseberichte brachten dann weitere merkwürdige Aktionen des DSC ans Licht. In der Nähe der Seoul National University unterhielt der DSC das von Studenten häufig frequentierte Cafe „Moby Dick“. Seit November vergangenen Jahres hat er außerdem die Vierteljahreszeitschrift 'Focus heute‘ herausgebracht. Cafe und Verlag machten dann aber plötzlich dicht, als die Bespitzelungsaffäre bekannt wurde.

Der Skandal hat die Regierung vor eine innenpolitsche Bewährungsprobe gestellt. „Die Überwachung von Zivilisten durch eine Militärbehörde läuft allen demokratischen Reformen zuwider“, kommentierte die eher konservative 'Korea Times‘. Mit der Entlassung des Verteidigungsministers und des BSC-Kommandeurs sei es noch längst nicht getan, auch Roh müsse Verantwortung übernehmen, fordert die Opposition.

Ähnlich wie der deutsche MAD ist die eigentliche Arbeit des DSC nach südkoreanischen Gesetzen auf militärische Abschirmung und Gegenspionage beschränkt. Die 1977 gegründete Organisation entwickelte jedoch Eigenleben und war Rückrat des Ex-Diktators Chung Doo Hwan bei dessen Machtergreifung in den Jahren 1979/80. Seitdem regierte das DSC tief in die Politik hinein und wetteiferte mit Polizeibehörden und Geheimdienst um die Staatssicherheit.

Kommandeure der Einheit waren nicht nur Chun, sondern auch der jetzige Staatschef Roh Tae Woo. Und offensichtlich untersteht das DSC bis heute noch direkt dem Präsidenten, in Zukunft, so der vermutlich ungewollt indirekte Hinweis des ausscheidenden Verteidigungsministers, sollte nämlich das Sicherheitskommando dem Minister rechenschaftspflichtig sein.

Die Demonstranten im Poramä- Park fordern aber nicht nur Auflösung des DSC und eine Bestrafung der Verantwortlichen. Sie wollen jetzt alles über Bespitzelungen von Staatsorganen wissen, einschließlich des Geheimdienstes.