»Ein bißchen Strafrecht schadet nicht«

■ Justizsenatorin Limbach diskutiert mit Schwulen über die Streichung des Homoparagraphen 175 Einigkeit herrscht über Streichung: Aber was ist mit dem Schutzalter?/ Pädos fürchten Isolation

Kreuzberg. Peter, 23, und Paul, 17, sind scharf aufeinander. Erster Blickkontakt: S-Bahnstation Gesundbrunnen. Während der Bahnfahrt kommt man sich näher: auf der Linie 2, zwischen Frohnau und Lichtenrade. Doch da gibt es ein Problem — abgesehen von verwirrten Fahrgästen und konsternierten Kontrolleuren. Der Paragraph 175 StGB stellt immer noch »homosexuelle Handlungen« zwischen einem Volljährigen und einem Mann unter 18 unter Strafe. Es drohen bis zu fünf Jahren Gefängnis. Doch Peter und Paul können trotzdem auf Nummer Sicher gehen. Nämlich auf dem Streckenteil zwischen dem Nordbanhof und dem Potsdamer Platz. Dieser Abschnitt liegt nämlich auf dem Gebiet der Ex- DDR, wo die SED den Paragraphen 151, die Ostversion des 175er, schon vor zwei Jahren gestrichen hat. Und für den 175er gilt seit der deutschen Einheit — ähnlich wie beim Paragraphen 218 — das hanebüchene sogenannte Tatortprinzip.

Der Paragraph 175 war auch Thema der schwulen Talkshow »Talk-Schwuz« im Schwulenzenztrum am Freitag in der Hasenheide. Vor 200 Schwulen diskutierten: Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD), Friedrich Kröhnke, Verfasser »heiterer, päderastischer Kriminalromane« und Charlotte von Mahlsdorf alias Lothar Bersfelde, Jahrgang 1928 und Faktotum der ostdeutschen Schwulenbewegung. Ebenfalls geladen von Talkmaster Matthias Frings: der marxistische Sexualwissenschaftler Günter Amendt, Autor der legendären Aufklärungsfibel »Sexfront«.

Erwartungsgemäß befürworteten alle Anwesenden eine möglichst baldige Streichung des 175ers — und folgerichtig entbrannte die Diskussion vor allem in Hinblick auf die neue Schutzaltergrenze, die für beide Geschlechter einheitlich und von der sexuellen Orientierung unabhängig sein soll. Friedrich Kröhnke befürchtet allerdings bei einem Schutzalter von 16 Jahren eine »Isolation der Päderasten« und Schlechterstellung lesbischer Beziehungen, für die es bisher in der BRD überhaupt keine Strafgesetze gab. Günter Amendt warnte davor, die Abschaffung des §175 mit einem bestimmten Schutzalter zu koppeln. Sexualwissenschaftlich könne er persönlich zwar durchaus auch ein niedrigeres Schutzalter vertreten, die Streichung des Schwulenparagraphen sei aber eine rein politische Frage. Deshalb halte er es für sinnvoller, die politische Forderung nach einer Abschaffung des 175ers nicht durch sexualwissenschaftliche Diskussionen zu unterminieren.

Jutta Limbach wollte sich zu dem Schutzalter nur als »Privatgeschöpf« äußern und gestand ihre »konservative Schwachstelle«: »Ein klein bißchen symbolisches Strafrecht kann nicht schaden, um die unter 16jährigen zu schützen«, meinte sie. Als Juristin wolle sie eben auch die »pathologischen Extremfälle« geregelt wissen. Günter Amendt stimmte der Senatorin zu, daß vor allem junge Mädchen durch sexuelle Gewalttaten gefährdet seien, und Schwule, Lesben und Päderasten dies bei der Forderung nach einem möglichst niedrigen Schutzalter berücksichtigen müßten. Es gehe in der Diskussion um den §218 im Grunde um die »Kinderschändung«.

Nach dem vorzeitigen Abgang der Justizsenatorin (wegen PDS-Razzia und Devisenskandal) erzählte Charlotte von Mahlsdorf zur allgemeinen Belustigung, wie sie als »Transvestit bei Kriegsende durch den Endkampf geschwuchtelt« sei. So verdeutlichte sie auch die historische Dimension eines Paragraphen, auf dessen Grundlage die Nazis Tausende von Schwulen in den Konzentrationslagern ermordeten.

Die Aussichten, daß der §175 gestrichen wird, sind mit der neuen CDU-Mehrheit im Bundesrat inzwischen längst nicht mehr so rosig. Selbst unter den SPD-geführten Ländern verhält sich NRW unter Johannes Rau eher abwartend, nachdem die dortigen Grünen bei der letzten Landtagswahl nach einer unpopulären Schutzalter-Diskussion nicht einmal die Fünfprozenthürde schafften.

Im SchwuZ war die Mehrheitsmeinung schließlich eindeutig: Um das »Etappenziel«, eine Streichung des 175ers, überhaupt zu erreichen, muß die »Kröte des Schutzalters« zunächst einmal geschluckt werden. Marc Fest