»Ein bundesdeutsches Scherbengericht«

■ Ein Gespräch mit Jörg Roesler, Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, über die Praktiken der »Evaluierung« an seinem Institut: Die Projekte interessierten kaum

Dem Institut für Wirtschaftsgeschichte an der Akademie der Wissenschaften, das Mitte der 60er Jahre von Jürgen Kuczynski gegründet worden war, drohte bereits einmal die Schließung, nachdem sich Institutsmitarbeiter gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschirft 'Sputnik‘ gewandt hatten. Jetzt winkt nach eintägiger Untersuchung der vergangenen und zukünftigen Projekte sowie Befragung eines Teils der 35 wissenschaftlichen Mitarbeiter wieder das Aus.

taz: Am 15. Oktober bekam Ihr Institut Besuch. Von wem?

Jörg Roesler: Mit dem Termin der Evaluierung hatte uns der Wissenschaftsrat in Köln auch einen ausgeklügelten Ablaufplan und die namentliche Zusammensetzung der Kommission mitgeteilt. Die Arbeitsgruppe sollte aus 17 durchaus ausgewiesenen Wissenschaftlern bestehen, davon waren allerdings nur zwei Wirtschaftshistoriker, also Fachkollegen — und alle aus der alten Bundesrepublik. Eigentlich sollten auch zwei DDR-Wissenschaftler dabeisein. Am 15. Oktober erschienen sie aber nicht. Es hieß, sie seien nicht angereist.

»Evaluieren«, wie geht das?

Das haben auch wir uns vorher gefragt. Von 14 bis 15 Uhr 30 stand auf dem Stundenplan: »Gespräch mit den leitenden Wissenschaftlern des Instituts«, zu denen ich als Leiter der Forschungsgruppe DDR-Geschichte gehörte. Bei Frage und Antwort herrschte eine höfliche Atmosphäre, aber es war von Anfang an ein Verfahren, keine Unterhaltung. Der allgemeine Eindruck war, daß die Projekte nicht so interessierten. Um 15 Uhr 30 wurden die wissenschaftlichen Mitarbeiter befragt, separat, danach folgte ein halbstündiges »abschließendes Gespräch mit den leitenden Wissenschaflern«. Während sich die Kommission zu einer »internen Beratung der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Stellungnahme« zurückzog, erkundigte ich mich bei meinen Mitarbeitern, wie es bei ihnen gelaufen war. Das hatte man uns erlaubt, denn die Evaluierung sei, so hatte der Arbeitsgruppenleiter gesagt, »nach innen offen«, »nach außen« aber geschlossen, vor allem für die Presse. Meine Mitarbeiter waren ziemlich niedergeschlagen. Eine der ersten Fragen war die nach ihrem Alter gewesen. Sie sind zwischen 28 und 40 Jahre alt. In diesem Alter, so hieß es, könne man ja leicht eine andere Arbeit finden. Bis dahin hatten sie sich und ihr Forschungsvorhaben nicht zuletzt aufgrund internationaler Kooperationsvereinbarungen für »wertvoll« im Sinne der Evaluierung gehalten. Offensichtlich stand aber das Urteil schon vorher fest, und die Mehrzahl der Fragen des Nachmittags diente nur dazu, die Begründung »wissenschaftlich« zu untermauern.

Das hieße, die Betroffenen liefern noch das geeignete Argumentationsmuster für ihr längst gefälltes Urteil?

Die Begründung der Entscheidung legt eine solche Interpretation nahe. Der Institutsdirektor, dem das Urteil vom Vorsitzenden der Arbeitsgruppe überbracht worden war, teilte uns das »vorläufige«, wie es hieß, Ergebnis nach Abfahrt der Evaluatoren mit — das endgültige würden wir Ende des Jahres erfahren, eine Revision der Auffassung sei aber sehr unwahrscheinlich: Man sei auf Offenheit und Kooperationsbereitschaft gestoßen und auf viele interessante und wissenschaftlich wertvolle Forschungsprojekte. Trotzdem hätte man sich nicht entschließen können, die weitere Existenz des Instituts zu empfehlen, denn es fehle »der rote Faden«, der die Projekte miteinander verbinde. Das heißt, jedes einzelne kann gut sein, insgesamt ist das aber nichts. Man legt einen Maßstab an, den es nirgendwo gibt, auch nicht im Max- Planck-Institut. Man sagt, wir verstehen völlig, diese Institute sind historisch gewachsen, jetzt geht's aber um etwas anderes. Man nimmt also etwas »historisch Gewachsenes«, stellt es in den Rahmen der Bundesrepublik und sagt: Es paßt nicht in die Wissenschaftslandschaft, und was nicht reinpaßt, ist frei definierbar.

Für die Akademie der Wissenschaften sind schon lange Kosten- Nutzen-Rechnungen gemacht worden — schon im Juni hieß es, jeder dritte Akademiemitarbeiter wird wahrscheinlich arbeitslos. Welche Rolle haben diese Bilanzen gespielt?

In diesen Gesprächen gar keine. Nun weiß man, daß gerade die Geisteswissenschaften enorm billig sind. Auch die Computer werden ja immer billiger. Die Frage: Wer braucht Wirtschaftsgeschichte des Sozialismus?, diese Frage kam nie. Aber es heißt: Geht doch zu den Universitäten. Die »Einsparung« von Akademieinstituten gegenüber den Universitäten kann zweierlei bedeuten: erst mal ein völliges Ignorieren dessen, was dort existiert; zweitens, daß man dort in großem Maßstab ausräumen will, so daß unsereins dann — geographisch entfernt, nach dem Prinzip der Soldatenrekrutierung — irgendwo unterkommt. Und somit gibt es keinerlei Gruppenzusammenhänge mehr. Der Prozeß der Desintegration beginnt schon heute — ich kann doch keinen mehr halten. Eine Strategie ist ja auch, jeden Fall, jedes Institut einzeln zu behandeln und im Ungewissen zu belassen. Als man die Akademie frontal angegriffen hat, im Juni, ist es noch gelungen, einen geschlossenen Protest zusammenzubringen. Dieses Evaluieren über einen längeren Zeitraum hinweg, hinter verschlossenen Türen, verhindert das.

Unter welchen Umständen hielten Sie eine Evaluierung für gerechtfertigt?

Erst mal ist kein einziger DDR- Experte in der Kommission gewesen — es ist also ein bundesdeutsches Scherbengericht gewesen. Ursprünglich hatten wir die Evaluierung als positiv empfunden gegenüber der zuerst angestrebten pauschalen Schließung der Akademie. Inzwischen halte ich die Evaluierung für eine Durchsetzung der alten Politik mit anderen Mitteln. Mein Eindruck ist, daß man hier eine Wissenschaftsentwicklung zerschlagen will, um jeden Preis. Es ist nicht ganz sicher, ob wir die Vereinigung bezahlen können. Wenn man ein Potential vernichtet, was diese Kosten senken könnte, das Zerschlagen eines Potentials an Wirtschaftswissenschaftlern also bewußt in Kauf nimmt, dann meint man es sehr ernst. Für mich ist das Kolonialismus, geistiger Imperialismus. Interview:

Dorothee Hackenberg