KOMMENTARE
: Rollstuhlfahrender Minister

■ Wird es die Behinderten weiterbringen, daß Wolfgang Schäuble im Rollstuhl sitzt?

Wolfgang Schäuble war ein stinknormaler CDU—Politiker und Innenminister. Nun ist er wahrscheinlich querschnittsgelähmt — und bleibt Innenminister. Das sollte selbstverständlich sein und ist es natürlich nicht. Aber ist dies ein Grund für einen solchen Medienrummel?

Es ist beachtlich, wie Wolfgang Schäuble nach nur sieben Wochen seinen Rollstuhl bewegt, wie er über seine Behinderung reflektiert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er wird, auch wenn er Paraplegiker bleibt, fast wie ein „Normaler" leben und arbeiten können, wie Hunderte andere auch. Unter den Bedingungen, die er als Innenminister hat — dickes Gehalt, Haus, Sekretärinnen, rollstuhlgerechter Hubschrauber, Bodyguards, die ihm über jede Treppe hinweghelfen — ist das keine Frage.

Den meisten anderen Querschnittsgelähmten geht's schlechter. Allein in der Hamburger Unfallklinik liegen fast ein Dutzend nur deshalb, weil sie keine Wohnung finden. Ihre Abschiebung in Heime droht. Überall fehlen HelferInnen für die hilfeabhängigen Behinderten. Ihr Anspruch auf ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben bleibt unerfüllt, ihre Zukunft sieht düster aus.

Wolfgang Schäuble wird auch im Rollstuhl ein normaler CDU-Politiker bleiben. Er wird bei den nächsten Tarifverhandlungen mit der ÖTV weiterhin verhindern , daß die Gehälter und Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen spürbar verbessert werden. Er wird für die Einführung eines allgemeinen sozialen Pflichtjahres plädieren und selbst eben nicht auf schlecht motivierte, zwangsverpflichtete Pflegekräfte angewiesen sein.

Was also bringt uns Behinderten ein rollstuhlfahrender Minister? Wolfgang Schäuble wird mit seinem schönen violetten Rollstuhl die graue Ästhetik der Bonner Fußgängerriege aufmischen. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, daß in den letzten Jahren in den Medien überwiegend Bilder von leidenden, nach Zyankali bettelnden Querschnittsgelähmten gezeigt wurden. Das ist nicht wenig, wenn man weiter bedenkt, daß das Leben Schwerbehinderter noch vor wenigen Wochen im 'Spiegel‘ als (physisches) „Existenzminimum" verunglimpft wurde. Und, natürlich, Ilja Seifert, dem rollstuhlfahrenden PDS-Abgeordneten, wird der rollstuhlfahrende Minister schon jetzt nützen: Die CDU-Kollegen werden in Zukunft mit ihren hämischen, behindertenfeindlichen Sprüchen vorsichtiger sein. Daher: Wenn schon ein CDU-Innenminister, dann Wolfgang Schäuble im Rollstuhl. Gerlef Gleiss

Der Autor ist 35 Jahre alt, seit 18 Jahren querschnittsgelähmt und Mitarbeiter der Beratungsstelle für Behinderte des Vereins „Autonomes Leben" in Hamburg.