Hessen 91 — Schicksalswahl für die Grünen

Nach dem Desaster der Grünen bei den Bundestagswahlen ist die Hessenwahl am 20.Januar 1991 der nächste Prüfstein: Ab in die Bedeutungslosigkeit oder Aufbruch zu neuen Ufern/SPD geht auf vorsichtige Distanz zu den Grünen  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) — „Wir erwarten, daß die Bundespartei begreift, daß am 20.Januar in Hessen für die Partei unglaublich viel auf dem Spiel steht.“ Mit diesem grundsätzlichen Appell an die Gesamtpartei leitete der Fraktionsvorsitzende der Grünen im hessischen Landtag, Joschka Fischer (42), nur wenige Stunden nach der verlorenen Bundestagswahl zur politischen Tagesordnung über. In Hessen entscheide sich das Schicksal der Gesamtpartei. Und deshalb müsse die Partei trotz ihrer bislang praktizierten „unendlichen Großmut und Güte“ gegenüber den Kräften, die die Grünen in die große Krise hineingetrieben haben, in den nächsten Wochen an einem Strang ziehen. Im Gespräch mit der taz forderte Fischer die Linken in der Partei auf, den in Hessen mehrheitlich beschlossenen Weg der Landespartei hin zur „ökologischen Reformpartei“ — „mit der klaren Option auf die Bildung einer rot-grünen Landesregierung“ — nicht zu behindern, sondern tatkräftig zu unterstützen. Fischer: „Mir geht es nicht um personelle Abrechnungen. Ich klage lediglich die politische Einsichtsfähigkeit aller Kräfte in der Partei ein — und da muß die Linke das Scheitern ihrer Strategie konstatieren.“

Die Wahl in Hessen werde auf lange Zeit die letzte Chance für die Grünen sein, den WählerInnen eine glaubwürdige rot-grüne Alternative zum bundesweiten Durchmarsch von CDU/FDP anzubieten. Falls die Grünen nach dem 20.1. im Landtag drittstärkste Kraft bleiben sollten, sei dies eine Überlebensgarantie auch für die Gesamtpartei und ein Signal von bundespolitischer Bedeutung. Fischer: „Wer den absoluten CDU/FDP-Staat verhindern will, der muß in Hessen die Grünen wählen, denn wer SPD wählt, läuft Gefahr, am Ende Rot-Gelb gewählt zu haben.“

Mit diesem eindringlichen Appell an die WahlbürgerInnen reagierte der spiritus rector der hessischen Grünen auf die Einlassungen des SPD-Landesvorsitzenden Hans Eichel (48), der noch in der Nacht nach dem Bundestagswahldebakel der Grünen auf vorsichtige Distanz zur „ökologischen Reformpartei“ ging. Das Christkind aus Kassel — Eichel hat am 24.12. Geburtstag — sprach von einer rechnerischen Mehrheit auch für eine SPD/FDP-Koalition. Der FDP-Landesvorsitzende Wolfgang Gerhard, ein Silvesterkind (geb. am 31.12.43), gab Eichel zwar noch in der Wahlnacht einen Korb, doch der smarte Bundesvorständler und hessische Wissenschaftsminister versäumte es nicht, darauf hinzuweisen, daß die Parteien grundsätzlich untereinander koalitionsfähig zu sein hätten. Daß die FDP den „Schlüssel für die Mehrheitsbildung“ auch in Hessen fest in der Hand hält, glaubt auch der CDU- Landesvorsitzende und amtierende Ministerpräsident Walter Wallmann. Die bei der Bundestagswahl bei exakt 41,3 Prozent stagnierende CDU braucht um an der Macht bleiben zu können eine starke FDP. Um vom „Genscher-Effekt“ und dem Sog der Kanzlerwahl profitieren zu können, haben die Koalitionäre Wallmann und Gerhard den Hessenwahltermin deshalb vom April in den Januar vorverlegt. Und die FDP rechnet sich, nach der Einführung des Zweitstimmensystems auch bei den Landtagswahlen, gute Chancen aus, die Grünen wieder überrunden zu können. Schließlich hat die Partei im Vergleich mit den Bundestagswahlen 1987 noch 1,8 Prozentpunkte zulegen können und kam auf 10,9 Prozent der Zweitstimmen, während die Grünen von 9,4 Prozent auf schlappe 5,6 Prozent abrutschten.

Doch hatten die Grünen bei der Bundestagswahl mehr Erst- als wahlentscheidende Zweitstimmen bekommen. Und deshalb wird das Motto des Landtagswahlkampfs der Grünen in Hessen das gleiche sein, wie bei den Wahlen 1987: „Wer Rot- Grün will, muß Grün wählen — Zweitstimme für die Grünen.“

Ansonsten setzen die Grünen auf einen sachbezogenen Wahlkampf. Dabei soll der von Fischer schon 1985/86 konzipierte Ausstieg Hessens aus der Atomenergie ebenso Thema werden wie die konservativ gewendete Schulpolitik oder die von CDU/FDP vernachlässigte Förderung des Personennahverkehrs und des sozialen Wohnungsbaus. Die Koalition wird dagegen erneut das drohende „rot-grüne Chaos“ an die Wand malen und dabei auf die gescheiterten rot-grünen Modelle Hessen und Berlin verweisen: „Keine Chance für die Kurpfuscher von gestern“ ( CDU-Generalsekretär Jung). Und Walter Wallmann wird im Wahlkampf stereotyp darauf verweisen, daß Hessen unter der CDU/FDP-Landesregierung in Sachen Wirtschaftswachstum wieder den Spitzenplatz unter den Bundesländern zurückerobert habe, den die Rot-Grünen in den Jahren 1985/86 „leichtfertig verspielt“ hätten.

Daß Hans Eichel angekündigt hat, die Affäre Milde, die inzwischen eine Affäre Staatskanzlei geworden ist, zum Schwerpunkt des SPD- Wahlkampfes zu machen, ist bei den Regierungsparteien auf höhnisches Gelächter gestoßen. Die Grünen gingen im Landtag zwar mit der Regierung wegen der Affäre hart ins Gericht, machen jedoch keinen Wahlkampfschlager daraus.

Doch letztendlich entschieden wird die Hessenwahl von der Stimmungslage der WählerInnen am 20.Januar. Falls es den Oppositionsparteien gelingt, die Hessenwahl im Bewußtsein der WählerInnen als Gegenwahl zu dem republikweiten Durchmarsch von Kohl einzuprägen, könnte es tatsächlich zu einer Wiederbelebung der rot-grünen Landesregierung der Jahre 1985/86 kommen — und die Grünen würden Zeit gewinnen, sich als ernstzunehmende Alternative bundesweit neu zu strukturien. Der SPD-Spitzenkandidat Hans Eichel läutet übrigens heute die heiße Phase des Wahlkampfes ein. Der Kasseler will in Wiesbaden im Kurhaus — direkt neben der Spielbank — sein Schattenkabinett vorstellen: Faites votre jeu!