Die haben doch genug Esel hier

■ Begegnungen deutscher Touristen mit Einheimisschen in Marokko

Begegnungen deutscher Touristen mit Einheimischen in Marokko — kontrastiert mit Empfehlungen des marokkanischen Tourismus-Ministeriums für Bergtouristen

VONPATRICKBRAUNS

Auch beim Tourismus machen die Entwicklungsländer die gleichen Fehler wie die Industrieländer ein paar Jahrzehnte vorher. Dieses (oft allerdings bestätigte) Vorurteil widerlegt Marokko zumindest im Berg- Tourismus. Im Tourismus-Ministerium ist man sich offensichtlich darüber im klaren, welche verheerenden Folgen das Trekking etwa in den Hochtälern des Himalya hat. Dort wurde schließlich auch 1982 von der Generalversammlung der Internationalen Union der Alpinistischen Vereine die „Charta von Kathmandu“ zum Schutz der Natur und Kultur in den Bergen beschlossen. Durch diese Charta angeregt, werden den Trekkern in einer Broschüre mit dem Titel Das Königreich, wo das Gebirge die Königin ist Ratschläge gegeben, wie sie sich gegenüber der einheimischen Bevölkerung im Atlasgebirge verhalten sollten. Dieses „letzte Arkadien auf dieser Erde, auf der sich alles verändert“, soll dem Tourismus — und dem Fortschritt überhaupt — erschlossen werden, ohne daß die Natur und die dort noch intakte Kultur der Berber zerstört wird. Wie wichtig solche Bemühungen sind, kann man immer wieder beobachten. Begleiten wir einmal einen deutschen Touristen (reiseerfahren und im besten Globetrotteralter), der die Ratschläge für Trekker offensichtlich noch nicht gelesen hat, auf einem Ausflug in den Hohen Atlas.

„Mißbrauchen Sie nicht die Neigung, die sich bei der Mehrheit von Ihnen breitgemacht hat, die Leute ohne ihre Zustimmung zu fotografieren!“

Eine kleine Gruppe von Berberfrauen, die an einem schönen Frühlingstag in ihren farbenprächtigen Gewändern an einem Bergfluß ihre Wäsche waschen, verlockt natürlich dazu, diese Verhaltensregel zu übertreten. Dieses einzigartige Motiv würde man sonst vielleicht nie wieder vor das Objektiv bekommen. Der Grund ist trivial, aber es gibt auch intelligentere Begründungen für europäische Teleobjektiv-Schützen, auf die Jagd nach Einheimischen zu gehen. „In Marokko hängen ja in allen öffentlichen Gebäuden, Cafés, Geschäften und sonstwo Porträts von Hassan II., dem allgegenwärtigen Herrscher des Landes. Dann muß der Islam also Bilder von Personen erlauben. Die Frauen hier kennen wohl die neueste Koran-Interpretation noch nicht.“ Wenn sie den Koran für sich traditioneller auslegen — ist das ihr Problem. Da können sie noch so protestieren, mit Worten („No foto!“) und Gesten, es kommt schließlich darauf an, daß wir wissen, wie heutzutage der Koran zu interpretieren ist. Und von der anderen Seite des Flusses aus können sie uns sowieso nichts anhaben. Aber warum drehen sie sich jetzt auf einmal um und zeigen uns den Rücken?

„Lassen Sie sich nicht gehen, weder in Ihrer Kleidung noch in Ihrem Verhalten! Schockieren Sie nicht die Bewohner durch nachlässiges oder unanständiges Benehmen!“

Man muß sich ja nicht gerade in der Öffentlichkeit halbnackt in die Sonne legen. Das kann man genug lang am Hotel-Swimmingpool, wo einen nur die einheimischen Kellner und Bademeister sehen. Aber bei einem Ausflug aufs Land ist bei den Temperaturen im Juni und Juli ja wohl eine Kleidung angebracht, wie man sie auch zu Hause trägt, wenn im Hochsommer heiße Winde aus Nordafrika über uns hereinbrechen: Minirock oder kurze Hose, luftiges T-Shirt und Sonnenhut.

„Seien Sie neugierig, aber stellen Sie keine indiskreten Fragen! Mischen Sie sich nicht in das Privatleben der Bewohner ein, wenn sie Sie nicht selbst dazu einladen!“

Wenn an einem prachtvollen Landhaus nicht steht, daß es kein Museum ist (aber auch nicht, daß es eines ist), kann man ja ruhig mal reinschauen. Mehr als rausfliegen kann man nicht, aber das ist bei der sprichwörtlichen Gastfreundschaft der Orientalen sowieso unwahrscheinlich.

„Alles hat seinen gerechten Preis in diesem so rauhen, hohen Land, in dem das Leben so prekär ist. Sie sollten den Empfang und das Geschenk zu schätzen wissen, ob Sie es verlangt haben oder ob es Ihnen spontan angeboten wurde.“

Na, also geschenkt kriegt man hier nicht viel. Im Gegenteil, für jeden Dorfparkplatz muß man bezahlen. Wie die bloß auf die Idee kommen, für alles Mögliche Geld zu verlangen? Und dann kommt auch noch so ein Bauer daher und will zur nächsten Kleinstadt an der Hauptstraße mitgenommen werden. Womöglich noch umsonst. (Und wir haben nachher den Gestank im Auto.) „Wieso überhaupt? Die haben doch genug Esel hier!“ — Die Händler an der Straße, die den vorbeifahrenden Fremden Bergkristalle und Silberschmuck anbieten, wollen die Touristen ja nur übers Ohr hauen. Also bieten wir ihnen zehn Prozent von dem Preis, den sie verlangen. Am Ende werden sie schon drauf eingehen. Na ja, wir sind ja nicht so, ein bißchen mehr können wir ihnen schon geben. Irgendwie haben sie es schon verdient. Wie die sich anstrengen, uns etwas zu verkaufen, sogar mit ein paar Brocken Deutsch und Englisch. „Die bemühen sich ja, unsere Sprache zu sprechen!“ Und wir hatten schon befürchtet, wir müßten unser Schulfranzösisch wieder ausgraben oder gar deren unaussprechliches Kauderwelsch lernen. Der Name der einheimischen Währung reicht uns gerade: „Dirham — Dirram, Dirram...“ Aber von ihren Sprachkenntnissen her können wir ja ruhig noch mal hier Urlaub machen.

Ja, fahren Sie wieder hin! Möglichst bevor die Einheimischen auf die Idee kommen, sich mit Steinwürfen gegen Ihre Teleobjektive zu wehren. Das Beispiel der „wachsamen Goaner“ in Indien könnte Schule machen. Auch wenn die nur mit Kuhmist und Fischköpfen geworfen haben.

Zitate aus: „Le Maroc, le royaume où la montagne est reine“.