Chilenische Militärs lassen Pinochet fallen

Finanzskandale aus 16 Jahren Diktatur werden jetzt in dem Andenstaat bekannt/ Korruption und illegale Geschäfte in den Reihen der Armee/ Die Offiziere und Generäle wollen den Ex-Diktator und Noch-Heereschef nun als Sündenbock „opfern“  ■ Aus Santiago Gaby Weber

General Pinochet, der ehemalige chilenische Diktator und noch immer Heereschef im südamerikanischen Staat, ist selbst im Militär inzwischen umstritten. Mitte Dezember soll die Heeresführung sogar bereit gewesen sein, der Ablösung von Pinochet zuzustimmen. Stabschef Enrique Correa erklärte zu Wochenanfang, General Jorge Ballerino, habe ihm zu Verstehen gegeben, daß das Heer nach ehrenhaften Lösungen derzeitiger Probleme suchen wolle. In diesem Zusammenhang sei auch die Position des ehemaligen Diktators nicht mehr tabu. In den vergangenen Monaten wurden mehrere Skandale bekannt, in die Mitglieder dieser Teilstreitmacht verwickelt sind. Wie keine andere hatte sich die chilenische Armee auf den neuen demokratischen Wind beizeiten vorbereitet: Dank der Verfassung von 1980 durfte das aus dem Amt scheidende Regime noch neun Senatoren ins Oberhaus entsenden, wo sie zusammen mit den Politikern der Rechten die Mehrheit besitzen und alle unangenehmen Gesetzesvorschläge blockieren können. Der frühere Diktator Augusto Pinochet kann bis 1998 Oberkommandierender der Armee bleiben, der Wehretat darf von der zivilen Regierung nicht eingeschränkt werden, und auch bei der Bestimmung ihrer Aufgaben lassen die Militärs sich nicht hineinreden. Trotzdem stehen die Uniformträger des Andenstaates seit Monaten unter öffentlichem Beschuß.

Am Vorabend von Silvester hatte es ein hohes Tier erwischt: General a.D. Gustavo Abarzua, intimer Vertrauter des Ex-Diktators, wurde wegen illegaler Finanzgeschäfte verhaftet, allerdings schon am Neujahrstag wieder auf freien Fuß gesetzt. Abarzua war Chef des Geheimdienstes der Armee, DINE, und bis zu seiner Auflösung im März 1990 des berüchtigten CNI. Sein Name hatte auf einer Liste gestanden, die Ermittlungsrichter Marcos Libedinsky, der „Eiserne Richter“, von Pinochet erhalten hatte: Darin werden 150 Offiziere namentlich genannt, die in den Finanzskandal „Cutufa“ verwickelt waren. Über die illegale Finanzierungsgesellschaft „Cutufa“ beschafften sich Beamte des Geheimdienstes CNI für ihre Aktionen Geldmittel. Zwischen 1982 und 1989 bewegten sie mehr als 50 Millionen Dollar und zahlten dank eines florierenden Waffen- und Kokainhandels an ihre Geldgeber bis zu acht Prozent Zinsen wöchentlich.

In Sachen „Cutufa“ wurden bereits vier Generäle und 16 Offiziere in den Ruhestand befördert. Die Ziviljustiz hat wegen Verletzung des Bankengesetzes vier Obristen, einen Oberstleutnant und zwei Hauptleute angeklagt. Und mit ihnen ist eine Lawine ins Rollen gekommen, die die Streitkräfte nicht mehr aufhalten können: Einer der wegen illegaler Transaktionen Verhafteten wurde jetzt als Mörder eines linken Journalisten identifiziert — die Anklage wurde entsprechend erweitert. Auch gegen Geheimdienstchef Hugo Salas Wenzel wird ermittelt. Der General hatte das wohl berüchtigste Folterzentrum des Geheimdienstes, die Villa Grimaldi, zu einem Spottpreis an Familienangehörige veräußert. Artikel 240 des chilenischen Strafgesetzbuches verbietet Beamten, Dienstgeschäfte mit Verwandten zu tätigen.

Pinochet-Familie mit im Sumpf

Auch die Familie des obersten Kriegsherrn sahnte nachweislich während der 16 Jahre Diktatur kräftig ab. Dem ältesten Sohn Pinochets wurden vom Heer Schecks in Höhe von drei Millionen Dollar für die Übernahme der bankrotten Waffenfirma PSP überreicht. Ein internes Gutachten der Armee hatte von dem Geschäft abgeraten und das Unternehmen als „unrentabel“ und dessen Kaufpreis als überhöht bezeichnet. Die Hintergründe der „Pino- Schecks“ sind Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchungskommission; ob Pinochet senior vor ihr erscheinen wird, ist eher unwahrscheinlich. Der Junior hatte erklärt, daß er nur als Strohmann für zivile Geschäftsleute aufgetreten sei und daß ihm nicht, wie Zeugen bestätigt hatten, 43 Prozent der PSP-Aktien gehörten. Eine Pinochet-Tochter Lucia hatte über ein privates Versicherungsunternehmen Millionenkommissionen von Staatsbetrieben eingestrichen.

„Aus einigen konkreten Fällen wird eine nationale Sache gemacht, um die Institution als Ganzes zu besudeln“, schimpfte Generalstabschef General Luis Henriquez Riffo über die Berichterstattung. Innerhalb der Streitkräfte, die in Sachen Menschenrechte die Reihen fest geschlossen halten, wird die Unruhe über die Finanzskandale immer größer; hatten sie sich selbst stets als „Retter des Vaterlandes vor dem Marxismus“ gefeiert, so stehen sie jetzt in der Öffentlichkeit als korrupte Strolche da.

Ausdruck der Schwäche war es wohl auch, als sich kurz vor Weihnachten auf Befehl Pinochets hunderttausend Armeeangehörige 16 Stunden lang in den Kasernen verschanzten. „Ein neuer Staatsstreich?“, fragten die überraschten Politiker. Doch dafür gibt es weder innere noch äußere Bedingungen. Es habe sich um eine „harmlose Truppenübung“ gehandelt, erklärten die Generäle hinterher.

Ohne Zweifel verlieren die Militärs an Einfluß; Macht kommt eben nicht nur aus den Gewehrläufen. Die zivilen Politiker scheinen am längeren Hebel zu sitzen. Pinochet hat zwar ein Vorschlagsrecht, welcher Offizier befördert wird, aber Präsident Aylwin kann seine Vorschläge auch ablehnen. Und wer beim Aufstieg übergangen wurde, muß nach militärischer Tradition seinen Hut nehmen. Ein Vorgesetzter, so die Logik, kann nicht Befehle von früheren Untergebenen befolgen. Die Regierung kann also die gesamte Generalität in die Wüste schicken, indem sie einfach einen Obristen zum General ernennt. Im Falle des Generals Parera befolgte Aylwin den Vorschlag zur Beförderung nicht, und schickte, um Kritik vom Rechnungshof zu vermeiden, statt dessen den Pinochet-Spezi als Militärattaché ins Ausland.

Das große öffentliche Aufräumen mit den Uniformierten wird für Ende dieses Monats bzw. Anfang Februar erwartet. Dann will die Kommission „Wahrheit und Versöhnung“ ihren Bericht über die Verletzung der Menschenrechte während der Diktatur veröffentlichen. In mehreren Bänden soll, so heißt es, ein „schonungsloses und detailliertes“ Zeugnis vom Terrorismus des Staates abgelegt werden. Ob Pinochet diese Diskussion im Amt des Heereschefs überlebt, ist fraglich. Viele Offiziere sind wohl eher bereit, ihn als Sündenbock — „einer für alle“ — zu opfern.