Innerer Widerspruch-betr.: "Pogromgefahr und offene Türen" von Benny Peiser, taz vom 22.12.90

betr.: „Pogromgefahr und offene Türen“ von Benny Peiser,

taz vom 22.12.90

So sehr ich die Beweggründe von Benny Peiser für sein leidenschaftliches Plädoyer für die Aufnahme der sowjetischen Juden in Deutschen — das heißt die wachsende Sorge um die aus der UdSSR fliehenden und dort noch verbliebenen Juden — verstehen kann, so kann ich seine Position und seine Schlußfolgerungen nicht teilen. [...]

Ein Versuch, wie ihn Benny Peiser macht, mit derselben Sprache und denselben Argumenten sowohl Juden als auch Deutsche anzusprechen, als würden sie in dieser Frage der gleichen Logik unterstehen, ist eine Art Contradiction in adjecto, ein innerer Widerspruch und daher absolut realitätsfremd.

Der Gedanke, daß ausgerechnet das mit jüdischem Blut getränkte Deutschland, das einen Großteil unseres Volkes in Europa ausgelöscht hat, nummehr, zwei Generationen nach der Shoah, zum Zufluchtsland von jüdischen Flüchtlingen wird, ist so pervers, daß er einfach nicht in den Kopf will. Ich halte es für ziemlich beschämend und dem Andenken der Millionen von Deutschland ermordeten Juden unwürdig, wie sich jüdische Vertreter wie Bittsteller vor den deutschen Behörden hinstellen und bei ihnen um diese oder andere „Aufnahmequote“ betteln, damit die jüdische „Präsenz“ in diesem Land den „Bestand“ von vor 1933 — etwa 600.000 Menschen — wieder erreicht. Hat Tucholsky nicht schon mal von den Deutschen gesprochen, die die Juden hätten, die sie verdienten?

Sieht Benny Peiser und sehen die anderen unter den Juden in Deutschland, die eine ähnliche Haltung einnehmen, nicht, daß unsereins in diesem Land auch nach — oder gerade wegen — Auschwitz im Regelfall nicht gerne gesehen, allenfalls geduldet wird? Spüren sie nicht die kalte Schulter, die ihnen die deutsche Gesellschaft, die rechte wie die linke, zeigt? Sehen sie nicht, daß durch eine Neuansiedlung von Juden in Deutschland eine neue „Judenfrage“ in diesem Land entstehen wird? Sind sie so kurzsichtig geworden und auf den Augenblick fixiert, daß ihnen jegliche historische Dimension der „Judenproblematik“ in Deutschland verlorengegangen ist? Kann das Thema „jüdische Einwanderung nach Deutschland“ losgelöst von Auschwitz und Treblinka, einfach als eine Frage des Arbeits- und Wohnungsmarktes und des Deutschunterrichts gesehen werden? [...] Yossi Ben-Akiva, Tübingen