„Einfach Tschüß sagen—so geht's nicht“

Durch den Abzug amerikanischer, britischer und französischer Truppen aus der BRD stehen betroffene Regionen vor wirtschaftlichem Ruin Alternative Arbeitsplätze für die rund 90.000 deutschen Zivilbeschäftigten nicht in Sicht/ Angeblich „Chancen für Strukturwandel“  ■ Von Thomas Leif

Ein kalter Morgen, Ende November, sechs Uhr früh. Vor den Toren der US-Transporteinheit in Kaiserslautern halten Mitarbeiter der zivilen Unterstützungsgruppen (civilian support groups) die Autos ihrer Kollegen an und drücken ihnen Flugblätter mit ihren Forderungen in die Hand. Rund 100 Zivilangestellte haben beim ersten bundesweiten Warnstreik mitgemacht. Ein Drittel der 90.000 Zivilbeschäftigten — so die Befürchtungen der Gewerkschaft ÖTV — werden demnächst ihre Entlassungspapiere erhalten. Die anderen wissen, daß ihre „Freisetzung“ nur eine Frage der Zeit ist. Mit den dreistündigen Warnstreiks an zwei Tagen wollte die ÖTV die Arbeitgeber — vertreten durch den Bundesminister der Finanzen — wieder an den Verhandlungstisch zwingen.

Die Zivilangestellten, die hier für die Transporte von Munition und Medikamenten nach Saudi-Arabien eingeplant sind, sehen ihre Zukunft realistisch, nüchtern. „Die meisten haben sich mit der drohenden Entlassung schon abgefunden. Warum sollen sich die Amerikaner noch mehr Kosten aufhalsen? Von Saudi-Arabien kehren sie bestimmt nicht in die Pfalz zurück“, meint ein junger Fahrer. Sein Kumpel ärgert sich: „Das ist nicht die feine Art — einfach Tschüß sagen. Das war's nach all den Jahren, die wir hier geschafft haben. So geht's nicht — und dafür wird hier demonstriert.“

Die Betroffenen, je zur Hälfte Arbeiter und Angestellte, stehen hinter dem Elfpunkteprogramm der ÖTV. Sie fordern alternative Arbeitsplätze, Umschulung und Weiterbildung, geregelt in einem Tarifvertrag „soziale Absicherung“.

Kommt es zu den absehbaren Entlassungen, fordert die ÖTV Abfindungen, die etwa ein Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr ausmachen sollen — für die Streitkräfte unverständliche Maximalforderungen, für die Zivilangestellten eher ein bescheidener Ausgangspunkt für Tarifverhandlungen.

In den nächsten Jahren werden die Amerikaner ihre Truppenstärke von 250.000 auf 195.000 Soldaten verringern und 123 Stützpunkte räumen. Die Franzosen wollen ihre Einheiten in zwei Schritten vollständig abziehen. Die Briten werden nur noch jeden dritten Soldaten in der Bundesrepublik zurücklassen. Sie schrumpfen auf 25.000 Mann.

Die genauen Abzugspläne verraten die US-Militärs nicht einmal dem Bundesverteidigungsminister, noch weniger den Ministerpräsidenten der CDU-regierten Länder. Schon kurz nachdem sie mit führenden Vertretern im Pentagon verhandelt haben, wird ihnen das Wort im Munde alt. Im Bundesrat haben sie deshalb einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem sie ein stärkeres Mitspracherecht fordern.

Doch diese Wünsche stoßen bei den US-Militärplanern auf taube Ohren. Fest steht jedenfalls, daß in neun Monaten der US-Flugplatz in Zweibrücken geräumt werden soll. Die 26. Taktische Aufklärungseinheit mit 2.000 Soldaten wird jedoch nicht abgerüstet. Sie fällt organisatorischer Straffung und Kosteneinsparung zum Opfer. Ob und wie der kleinste der acht Nato-Flughäfen in Rheinland-Pfalz in Zukunft genutzt werden kann, ist noch völlig offen.

Eine erste Umweltuntersuchung brachte an sechzig Stellen erhebliche Verschmutzungen ans Tageslicht. Dies ist kein Einzelfall. Eine erstmals bekanntgewordene „Worst-sites“-Studie der US-Army listet allein 358 verseuchte Liegenschaften (die taz berichtete) auf. Dies ist erst die Spitze des Müll- und Giftberges, der, so US-Experten, Sanierungskosten in Höhe von mehreren Milliarden Dollar verursachen wird. Die US- Kommandeure werfen jetzt den deutschen Behörden zu laxe Kontrollen vor und begründen damit die indirekte Aufforderung an die Deutschen, die Sanierung der freiwerdenden Liegenschaften selbst zu übernehmen.

US-Army regional drittgrößter Arbeitgeber

Nicht nur die Sanierungskosten kommen wohl auf die Steuerzahler zu. An den Kommunen, die jahrelang die Lasten der Militärpräsenz getragen haben und ihre gesamte Infrastruktur auf ihre Stationierungsgäste auslegen mußten, geht die angepriesene „Friedensdividende“ vorbei. Für die früher militärisch genutzten Grundstücke müssen sie marktübliche Preise zahlen.

Besonders im Großraum Kaiserslautern — die US-Amerikaner nennen ihn schlicht K-town — machen die Folgen des Abzugs den Menschen zu schaffen. Seit Jahrzehnten ballen sich hier Munitionsdepots, Kasernen, Kommandozentralen und Wohnghettos. Ziehen die hier stationierten 70.000 US-Soldaten mit ihren Angehörigen ab, wird diese strukturschwache Region an den Rand des Ruins gedrängt. Jeder zehnte sucht hier einen Arbeitsplatz. Jahrelang wucherte das Militär in dieser Gegend ungehemmt, entwickelte sich zu einem Wirtschaftsfaktor, der heute kaum noch wegzudenken ist. Im Land der Reben, Rüben und Raketen sind die US-Streitkräfte nach der BASF und dem öffentlichen Dienst der drittgrößte Arbeitgeber. Der Jahresumsatz der hier stationierten GIs und ihrer Familien wird allein in dieser Region mit fünf Milliarden D-Mark angegeben.

Die regelmäßigen Aufträge der Amerikaner sind insbesondere für Baufirmen und Handwerker eine feste Größe gewesen. Aber auch Handel, Gastronomie und Taxiunternehmer sind Nutznießer der konsumfreudigen GIs. Bei einem Abzug von nur 20 Prozent der Amerikaner kalkulieren diese Brachen mit einem hohen Umsatzrückgang.

Und der Wohnungsmarkt gerät ins Wanken. Denn die US-Soldaten sind begehrte Mieter, weil sie selbst auf dem flachen Land und in versteckten Dörfern zwölf D-Mark pro Quadratmeter Kaltmiete hinlegen, ein Mietzins, den Einheimische nicht zahlen. Hausbesitzer wie Bruno Brehm bangen jetzt um ihre Existenz: „Ich würde das Haus nicht halten können. 2.000 D-Mark ohne Mieteinnahmen aufbringen im Monat, ist nicht drin. Wir müßten das Haus sehr wahrscheinlich verkaufen. Aber auch mögliche Käufer sind hier in der Westpfalz rar.“

Während die Region zwischen Kaiserslautern und Pirmasens nun auf wirtschaftspolitische Initiativen der Landesregierung wartet, kommt aus der Mainzer Staatskanzlei nur viel heiße Verlautbarungsluft. Durch den Truppenabbau sieht sie „Chancen für den Strukturwandel“. Die 18 Punkte des eilig aufgelegten Sofortprogramms lesen sich wie ein niedergeschriebener Traum von der sozialen Marktwirtschaft, deren Antriebskräfte schon alles richten werden.

Die in Aussicht gestellten EG- Fördermittel entpuppten sich rasch als haltlose Spekulation. Die Gemeinschaftsmittel „zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ oder Mittel ähnlich der „Zonenrandförderung“ müssen erst noch gegen die Interessen der neuen Bundesländer erstritten werden.

Mittlerweile hat auch die CDU- Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz begriffen, daß die angekündigten Maßnahmen im 18-Punkte-Programm zum Truppenabbau Makulatur sind. In einer internen Sitzung wurden die geplanten Aktivitäten insgesamt als „unrealistisch“ abgetan. Gut drei Monate vor der Landtagswahl eine verheerende Bilanz.