Die Anhänglichkeit des Spions

■ Eine Lesung mit Stefan Heym im Romanischen Café der Freien Volksbühne

Das Romanische Café war überfüllt. In drei langen Reihen standen die Tische und Stühle der Wartenden, die Stefan Heym, den 1979 aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossenen Altmeister, sehen wollten. »Wir glauben«, so begrüßte der freie Volksbühnenchef Hermann Treusch das Publikum, »daß die deutsche Frage noch lange nicht beantwortet ist.« Man wolle diese Frage nicht in der Art bekannter Feuilletons beantworten. Statt dessen sollten Autoren »der DDR« von »Bürgern der ehemaligen Bundesrepublik« ausgefragt werden. Fragen will man in der Freien Volksbühne, was von den Texten bleibt, die der sogenannten sozialistischen Gesellschaft eingeschrieben gewesen seien. »Wie gehen Schriftsteller mit ihrer Vergangenheit um, wie ist ihr Blick auf die Zukunft?« Den Anfang machte am Mittwoch abend Stefan Heym, eine Woche später soll Rainer Kirsch zu Wort kommen.

Dem unbefangenen Leser der Protokolle des DDR-Schriftstellertreffens von 79, bei dem mit überwältigender Mehrheit neun Schriftsteller, unter ihnen Stefan Heym, Klaus Schlesinger und andere, ausgeschlossen wurden, stellen sich mindestens drei Positionen dar, vertreten durch folgende Gruppen: Da ist eine Handvoll Gegner des Ausschlusses, da sind peinlich staatstreu ergebene Opportunisten wie der Puhdys-Texter Wolfgang Tilgner, und da sind die unter klassenkämpferischen Gesichtspunkten zumindest diskutablen Argumente eines Hermann Kant. In den Kampagnen bundesdeutscher Feuilletons und ihres Flaggschiffes 'FAZ‘ schießt man seit geraumer Zeit allerdings nicht so sehr auf die damaligen Altstalinisten, Beamten und Ausschlußbefürworter, sondern auf die, die damals ausgeschlossen worden waren.

Stefan Heym liest mit schleppender Stimme aus seinem neuen Erzählband Auf Sand gebaut. Entdämonisierungen der Stasi und Vertauschungen der Macht, die nur ihr Fähnchen gewechselt habe, deren Repräsentanten vielleicht andere seien, deren Auswirkungen aber die gleichen blieben, sind einige Hauptthemen der kurzen Erzählungen, die er nach dem November 89 geschrieben hat. In einer Geschichte begrüßt ein schutzbedürftiger Junggeselle mit oppositionellen Gedanken im Herzen fast die Anhänglichkeit seines Beobachters als liebevolle Aufmerksamkeit. Er könne ihn stützen, wenn er fiele, könne ihn beschützen, wenn er überfallen würde. Fast als Freunde überlegen sich Verfolger und Verfolgte gemeinsam, was sie an Informationen weitergeben, und lassen nach der Wende — der Spion arbeitet nun für einen westdeutschen Geheimdienst — ihr Arrangement wiederaufleben.

Mit einem sympathisierend bewundernden leichten Lächeln, in dem doch so etwas wie Befremden mitschwingt über die Heymschen Antagonismen und Vereinfachungen, beobachtet der SFB-Moderator Jürgen Tomm den altersgrau gebeugten Schriftsteller. Die Namen seiner ProtagonistInnen klingen wirklich etwas bemüht: Sie heißen Pottwedel, Schwiebus, Bodelschwing oder — in jedem zweiten Satz einer Erzählung — »meine Elisabeth«. Der Plot einer Geschichte ist schon in der Mitte klar — reiche Westler, die kommen, um sich ihr Heim zurückzuholen, haben das Haus 1936 selber von Juden gestohlen. Das System wechselt, doch die Machtstruktur bleibt die gleiche, steht häufig als Moral am Ende, und in den Verästelungen der Macht kann man nicht mehr so genau sehen, wer gut und wer böse ist; ob der Beschattete, der mit dem auf ihn angesetzten Spion sich verständigt, mit der Stasi kollaboriert, ob der Stasi-Mann subversiv ist, wenn er sich mit dem vermeintlichen Staatsfeind aus Bequemlichkeit verbündet, ob das ein unauflösbares Geflecht ist. Doch »da oben« gibt es immer noch die »Obrigkeit«, und »da unten« sind wir, und das sei keine Satire, sondern »Donnerwetter noch mal, so ist es!« und »Klarheit und Wahrheit«, will Heym.

Auf den Vorwurf der Vereinfachung angesprochen, antwortet er, daß andere stolz darauf seien, daß sie niemand verstehe und daß die damit auch mehr Geld verdienten, und »operative Literatur« sei im Moment wieder wichtig. In der Freien Volksbühne fühlte sich Heym nicht nur an 1932 erinnert, »als Sie noch nicht einmal ein Zwinkern im Auge ihres Vaters« waren, sondern auch an frühere DDR-Lesungen; als in Kirchen Hunderte erwartungsvoll des Schriftstellerwortes harrten. Die Stimmung, so hofft er, würde durch die »verbrecherische« Inkaufnahme eines riesigen Arbeitslosenheers wieder so ähnlich werden wie sie im Herbst 89 war. Und wenn er noch einmal, wie am 4.11.89, vor so vielen Menschen reden würden, würde er sich dafür bedanken, »daß sie mir dieses Erlebnis geschenkt haben«.

Viele verspürten »Schmerz und Unbehagen« über den Umgang mit der DDR, sagt der Moderator stellvertretend für die guten Menschen im Romanischen Café. Der 'FAZ‘ und ihr nahestehenden Organe würde es darum gehen, »alle, die sprechen können für die, die mißhandelt werden, mundtot zu machen«, ergänzt Heym. Sicher hat er recht, auch damit, daß die meisten der ehemaligen DDR-Schriftsteller Opportunisten waren, daß anderen, wie Christa Wolf, die kämpferische Pose nicht liegt, daß wieder andere nicht die Möglichkeit haben, in den bürgerlichen Feuilletons Stellung zu beziehen.

Und dennoch ärgert man sich, nicht über Heym und vielleicht auch ungerecht über das selbstmitleidige Opferschweigen von drüben, und ist manchmal fast erschreckt über Teile der sogenannten Intelligenz, die, wie ein Kunsthistoriker im Publikum, mit belegter Stimme verlangen, daß doch die Schriftsteller für sie und gegen die westlichen Gemeinheiten sprechen sollten. Zittrig-entschlossen und als Schlußwort zitierte eine alte Frau Heinrich Heine; für Heym und andere aufrechte DDR-Schriftsteller: »Schlage die Trommel und fürchte dich nicht!« Detlef Kuhlbrodt