Ägypten wirbt um „Einheit im Niltal“

Im benachbarten Sudan schürt die Regierung Beshir Stimmungen gegen die US-freundliche Politik Mubaraks/ Sudans Regierung und Nationale Islamische Front Seite an Seite/ Ägyptischer Wirtschaftsminister auf Goodwill-Tour im Sudan  ■ Von K. El-Gawahary/I. Luebben

Kairo (taz) — „Bei einem Angriff auf den Assuan-Staudamm oder auf irgendeinen Quadratmeter ägyptischen Bodens nehmen wir uns das Recht heraus, innerhalb von 24 Stunden entsprechend zu antworten“, drohte der ägyptische Präsident Husni Mubarak letzten Mittoch auf einer Pressekonferenz. Diese Erklärung ist der vorläufige Höhepunkt der seit Monaten sich verschlechternden Beziehungen zwischen Sudan und Ägypten.

Dem vorausgegangen war wenige Tage zuvor eine Demonstration in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Unter den wohlwollenden Augen der sudanesischen Sicherheitskräfte wurden ägyptische Fahnen verbrannt und die Bombardierung des Assuan-Staudammes gefordert. Die Demonstranten warfen Ägypten vor, sich voreilig der amerikanischen Position im Krieg gegen das arabische und islamische Brudervolk Iraks unterworfen zu haben.

Die ägyptische Regierung antwortete mit einer Kette von Maßnahmen. Die Pforten der ägyptischen Botschaft sind seit einigen Tagen ebenso geschlossen wie die Tore einer Außenstelle der Kairoer Universität in Khartum. Eine angekündigte Buchmesse und ein Fußballspiel zwischen der ägyptischen und der sudanesischen Auswahl im nächsten Monat wurden kurzerhand abgesagt. Die ägyptische Fluggesellschaft Egypt Air unterbrach ihre Linienflüge in den Sudan und schloß ihr Büro in Khartum. Der gesamte von Sudan kommende Flugverkehr hat seitdem weiträumig den Assuan- Staudamm zu umfliegen.

Auch die in Ägypten lebenden Sudanesen sind von den Maßnahmen betroffen. Der ägyptische Innenminister verkündete vor fünf Tagen die Ausweisung von 500 Sudanesen im Rahmen der Golfkrise. Eine Gruppe von 172 aus der Golfregion in Sinai ankommenden Sudanesen wurde kurzerhand in Busse gepackt, nach Kairo abtransportiert und per Luftweg in den Sudan abgeschoben. Sudanesen werden seit einigen Tagen an den Grenzen zurückgeschickt.

Spannungen zwischen beiden Regierungen gab es schon lange vor der Golfkrise. Im Juni 1989 stürzte Brigadegeneral Beshir die gewählte Regierung Al-Mahdi im Sudan, verbot Parteien und Zeitungen und rief den Ausnahmezustand im Lande aus. In offiziellen ägyptischen Kreisen wurde mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß der Sudan nun endlich wieder „von den korrupten demokratischen Elementen gesäubert“ in die Stabilität zurückgeführt werde. Kuwaitische Zeitungen mutmaßten gar, die ägyptische Regierung selbst stünde hinter dem Putsch. Kurz zuvor hatte der Vorgänger Bashirs Verhandlungen mit der aufständischen sudanesischen Volksbefreiungsarmee SPLA im Süden Sudans geführt. Eine der Forderungen der SPLA, die Lockerung der Beziehungen zu Ägypten, um ein starkes islamisches Übergewicht in der sudanesischen Innen- wie Außenpolitik zu vermeiden, war nicht nach dem Geschmack der Regierung in Kairo.

Doch die Flitterwochen waren kurz. Die harte Reaktion der sudanesischen Regierung auf unmittelbar nach dem Putsch auftretende Demonstrationen und Streiks schürten in Kairo die Sorge um die Stabilität des Landes an den Quellen des Nils. Bei einem Besuch Beshirs in Kairo im Februar letzten Jahres rief Mubarak diesen auf, wieder zur Demokratie zurückzukehren. Eine Forderung, die Beshir als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Sudans zurückwies. Kurz nach diesem Besuch überreichte die sudanesische Opposition, die Demokratische Sammlung, dem ägyptischen Präsidenten ein Memorandum, in dem sie für gute Beziehungen zu Ägypten eintrat, allerdings unter der Bedingung des Sturzes Beshirs.

In Khartum suchte unterdessen Beshir aus Sorge um den völligen Verlust seiner Massenbasis neue Partner im Land. Ein Schulterschluß mit der Nationalen Islamischen Front unter Führung Hassan Turabis bot sich an. Ähnlich wie die sudanesische demokratische Opposition ihr Hauptquartier in der ägyptischen Hauptstadt Kairo aufschlug, wurde Khartum zur Basis der islamischen Opposition Ägyptens. 182 Gihad- Mitglieder, die bei der ägyptischen Polizei auf den Fahndungslisten standen, fanden Asyl im Sudan. Der Gihad wird unter anderem für die Ermordung Sadats verantwortlich gemacht. Deren Führer, Scheich Doktor Omar Abdel Rahman, rief kurz vor Ausbruch der Golfkrise im sudanesischen Fernsehen zur „islamischen Einheit“ zwischen Ägypten und Sudan auf. Am 18. Juli enthüllte der sudanesische Journalist Mohammad Naim, daß der Gihad in der Nähe Khartums militärische Trainingslager eröffnet habe und gemeinsam mit Hassan Turabis Islamischer Front Terroranschläge in Ägypten vorbereite.

Je schlechter die Beziehungen zu Ägypten wurden, umso besser gestalteten sie sich zum Irak. Der Bürgerkrieg war wieder aufgeflammt. Die Volksbefreiungsarmee SPLA, angeblich von israelischen Spezialisten beraten, kontrolliert inzwischen wieder die Grenzgebiete zu den afrikanischen Nachbarn im Süden. In dieser Situation bot der Irak Waffenlieferungen und Militärhilfe an. Gemeinsamer Feind: Israel, Konkurrent: Ägypten. Das rief die neuen „Freunde“ auf den Plan. Vor Ausbruch des Golfkrieges hatte sich die politische Achse Bagdad-Khartum herausgebildet. Mit der Golfkrise bekam diese Achse auch militärische Bedeutung. Im September kursierten bislang weder bestätigte noch dementierte Gerüchte, wonach der Irak im Sudan Raketen stationiert hätte. Falls sich Ägypten an einem Angriff auf den Irak beteiligt, könnten diese Raketen jederzeit gegen den Assuan- Staudamm eingesetzt werden. Ein Damoklesschwert, das über Ägyptens neuralgischem Punkt schwebt.

Trotzdem sind die Ägypter bemüht, nicht alle Brücken nach Khartum abzubrechen. Der ägyptische Botschafter im Sudan, der nach den antiägyptischen Demonstrationen letzter Woche zur Berichterstattung nach Kairo zitiert worden war, will so schnell wie möglich nach Khartum zurückkehren — in Begleitung des Wirtschaftsministers Jusri Mustapha und einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation. Die Ausweitung des Handels und der Joint-ventures im Landwirtschaftsbereich stehen auf dem Programm. Die „Einheit des Niltals“ war schon immer erste Priorität der ägyptischen Sicherheitspolitik.