Nach dem Sturm

■ Der Präsident der israelischen Arbeiterpartei über die Zukunft des Nahen Ostens DOKUMENTATION 2

Shimon Peres: Kein Zweifel, das ist ein harter Krieg, und er wird noch eine Menge Opfer fordern. Aber schlußendlich besteht kein Zweifel über den Sieger.

Wie beurteilen Sie das Verhalten der israelischen Regierung seit Beginn des Konflikts?

Die Regierung tut das, was die Situation erfordert. Dennoch möchte ich daran erinnern, daß die irakischen Raketen auf Tel Aviv und Haifa gegen das ganze israelische Volk gerichtet waren, nicht gegen einen Teil und auch nicht gegen eine bestimmte Partei. Das Volk wird einig sein: Der Feind soll wissen, daß die rückwärtigen Linien genauso stark und geschlossen sein werden wie unsere Front.

Dennoch unterscheidet sich dieser Krieg von allen anderen, die Israel bisher geführt hat.

Ja, der Krieg ist völlig anders. Vor allem sind nicht wir es, die ihn gegen arabische Heere führen, wie das in der Vergangenheit war. Diesmal kämpft eine breite Koalition, die von den Vereinigten Staaten angeführt wird und an der auch einige arabische Länder teilnehmen. Zweitens handelt es sich nicht einfach um einen Krieg zwischen Staaten. Wir stehen einem Konflikt gegenüber, in dem die eine Seite sich auf Maßnahmen der UNO berufen kann.

Und welche Rolle hat darin Israel?

Wir identifizieren uns voll und ganz mit der Koalition, die sich dem Irak entgegenstellt, auch wenn wir nicht in dieser Koalition sind. Unsere Identifizierung rührt aus der Tatsache, daß es sich um einen Konflikt handelt, in dem die Vereinigten Staaten wie im Zweiten Weltkrieg für die Prinzipien der Freiheit kämpfen.

Reicht es, wenn Israel sich identifiziert, oder muß es mehr tun?

Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Aber es muß genau bedenken, was es tut. Auch wenn es unsere Pflicht ist, unsere Bürger zu schützen, so dürfen wir doch der Koalition keinen Schaden zufügen.

Und wie wünschen Sie sich den Mittleren Orient nach Beendigung des Krieges?

Zunächst einmal glaube ich, daß der irakische Diktator wirklich gründlich besiegt werden muß. Danach muß unbedingt ein neuer politischer Ordnungsrahmen entwickelt werden.

Was für ein Rahmen?

Das liegt auf der Hand. Dieser Krieg hat bewiesen, daß man es nicht dabei belassen kann, den Mittleren Orient in Termini von einzelnen Staaten, Territorien oder politischen Grenzen zu denken. Es bedarf einer starken regionalen Integration. Ich denke an eine Art gemeinsamen Markt, vielleicht sogar mit einem gemeinschaftlichen Verteidigungssystem.

Und welche Rolle fällt Israel in diesem Rahmen zu?

Die Israeli müssen lernen, als Ingenieure und Ärzte im gesamten Mittleren Orient tätig zu sein; und nicht nur als Polizisten im Gaza- Streifen oder in Cisjordanien. Unsere beste Verteidigung wird effektiv aus der regionalen Integration erwachsen — und nicht aus der Vergrößerung unseres Territoriums.

Interview: Wlodek Goldkorn

Aus 'L'Espresso‘ vom 3.2.91