Ein Café gegen Aids-Angst und Vereinsamung

■ Seit seiner »Imagewende« vom Ostberliner Besetzer- zum Café-Galerie-Ambiente boomt das »Café PositHIV«/ Design contra Depression

Schöneberg. Dirk hat Aids: »Soll ich deshalb hier nur etwa sitzen und rumheulen?« Der gutaussehende Mittzwanziger schaut sich demonstrativ um. Im Schöneberger »Café PositHIV«, einem Selbsthilfeprojekt von HIV-Infizierten und Aidskranken, treffen mann und frau sich nicht zum Trübsalblasen. Designerstühle und schwarze Bistrotische, expressionistische Porträtbilder an den hellen Wänden, gedimmte Halogenstrahler, dezente Musik, eine Bar — auf den ersten Blick keine Spur von Aids, Trauer oder Tod. Das »PositHIV«: aufgemacht wie ein In-Café mit Galerie-Ambiente.

Mit dem Besetzercharme ist es nun vorbei

Anders noch im vergangenen Jahr: Damals verbreitete das »PositiHIV« eher den Charme eines Ostberliner Besetzer-Cafés: Plüschsofas statt Designermöbel, schummrige Oma- Gemütlichkeit statt Vernisage-Atmosphäre und ein muffiger Geruch aus alten Zeiten, als noch ein Metzger auf den 70 Quadratmetern seine Würstchen verkaufte. Doch das Improvisatorisch-Betuliche war gewollt. Das PositHiv solle den Opfern des HIV-Virus vor allem als unauffälliges Refugium dienen. Der Tresen lag deshalb versteckt im Hinterzimmer. Im Vorderraum mit den großen Fenstern, wo heute die Bar steht, veranstalteten die 15 ehrenamtlichen Mitarbeiter hinter zugezogenen Gardinen ihre Gruppenseminare. Um dabei nicht zu stören, sollten mann und frau das Café am besten durch einen Seiteneingang betreten.

Gäste kamen — und gingen oft gleich wieder. Obwohl als »niedrigschwellig« konzipiert, trauten sich an manchen Abenden von den schätzungsweise 25.000 Berliner HIV-Infizierten nicht einmal zehn über die Türschwelle ins PositHiv. »Da gab es eine richtige Mauer«, erinnert sich Dirk. Das Unternehmen krankte zudem an organisatorischen Schwierigkeiten. Zeitweise kuriserten bis zu 20 Eingangsschlüssel, achtmal wurde eingebrochen und Geld aus der Kasse gestohlen. Eine Krisensitzung im Oktober 1990, gerade ein Jahr nach der Eröffnung, sollte die Talfahrt stoppen. Enttäuscht verließen einige der Initiatoren das Projekt, andere mit neuen Ideen stießen hinzu. Die Berliner Aids-Hilfe (BAH) finanzierte — nach anfänglichem Zögern — die Umgestaltung mit 20.000 Mark. Am 15. Februar feierten die Betreiber die Wiedereröffnung des neuen PositHiv.

Manchmal wird der Erfolg fast schon ungesund

Seit der »Imagewende« floriert das Café. Vor allem sonntags ist »die Bude voll«. Das bedeutet Knochenarbeit hinter den Tresen. Für die zum Teil aidskranken Mitarbeiter manchmal zuviel des Guten. Der Erfolg übersteigt dann die Grenze ihrer gesundheitlichen Belastbarkeit. Nicht zuletzt auch deshalb der frühe Zapfenstreich. Schon um 22 Uhr sollen die Stühle eigentlich auf den Tisch. »Doch immer öfter wird es später«, so Thomas, einer der Macher.

Nicht nur die Öffnungszeiten machen deutlich: »Es« ist immer da. »Die Krankheit ist präsent, ob nun jemand voller Kaposi (aidstypischer Hautkrebs) ins Café kommt, oder ein anderer dauernd in die Küche rennt, um sich dort Morphium zu spritzen«, schildert Thomas. »Doch beraten wird hier nicht«, fügt er fast trotzig hinzu. »Dafür haben wir BAH. Wir suchen vor allem das gesellige Beisammensein. Das bewirkt oft mehr als ein Beratungsgespräch.«

Damit die gute Stimmung die Obermieter nicht verstört, wurde beim Umbau vorsorglich eine Schallschutzdecke eingezogen. Keinen Schutz wissen die Mitarbeiter bisher gegen die schwulenfeindlichen Beschimpfungen und Angriffe durch zumeist türkische Jugendliche — hier, in der Großgörschenstraße an der Grenze zwischen Kreuz- und Schöneberg, ein sensibles Dauerproblem. »Wir versuchen, den Provokationen aus dem Weg zu gehen«, sagt Dirk. Manchmal ist das schwierig. Bei der Wiedereröffnung Mitte Februar flogen Schneebälle gegen die Fenster; vor der Tür mußten die Besucher des Cafés zeitweise mit Prügel rechnen. Allerdings: Die Verkäufer im benachbarten Lebensmittelladen seien sehr zuvorkommend. »Dort kaufen wir jeden Freitag die Getränke, und die wissen auch Bescheid«, sagt Dirk. Manchmal mißt auch ein Wegwerffeuerzeug die Akzeptanz: Der unübersehbare Aufdruck Café PositHIV sorge, so Dirk, immer wieder für neue »Feuerzeuggeschichten«. »Viele Leute flippen immer noch aus, wenn sie das Ding sehen.«

Wenn die Krankheit bei ihm aufflammt, bleibt Dirk lieber zu Hause: »Im PositHIV geht es auch immer noch ein wenig ums Sehen und Gesehenwerden. Das ist mir dann zu stressig.« Thomas kann sich dagegen auch in dem Café »hängenlassen«, wenn es ihm schlecht geht. »Die Anmache steht für mich dann nicht im Vordergrund. Sexualasketen sind wir trotzdem nicht. Die Erotik kommt zum Zug, wie auch immer. Das Flirten gehört schließlich zum Leben.« Marc Fest

Café PositHIV, Großgörschenstraße 7, Berlin 62 (Schöneberg), Tel.: 7820354. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 17 bis 22 Uhr. Dienstags 18 bis 20 Uhr trifft sich die Malgruppe, mittwochs ist Kartenspielabend, donnerstags wird ab 13 Uhr gemeinsam gekocht. Kaffee und Kuchen sonntags ab 15 Uhr.