Serbische Studenten wollen Rockmusik

Bei der Protestbewegung in Serbien werden unterschiedliche Positionen sichtbar, neben den Nationalisten rühren sich jetzt auch jene, die sowohl den Stalinismus wie den Chauvinismus kritisieren  ■ Aus Belgrad R. Hofwiler

Der Toten wird getrennt gedacht. Am Reiterstandbild des Fürsten Knaz Mihail liegen Blumen für den am Samstag während der Demonstrationen ums Leben gekommenen Polizisten. Wenige Meter weiter liegen Sträuße für den jugendlichen Demonstranten, den eine Polizeikugel tödlich traf. Doch es gibt kaum jemand, der zu beiden Grabstellen pilgert. Die serbische Gesellschaft ist in zwei Gruppen zerfallen. Der Haß sitzt tief, und das nicht nur zwischen der Polizei und den Demonstranten, auch zwischen den Menschen selbst.

Wer sich auffällig kleidet oder nicht ganz angepaßt aussieht, der geht am besten nur in Gruppen auf die Straße. Langhaarige, ob sie nun damit ihr „linkes“ oder „nationalistisch-rechtes“ Oppositionsbewußtsein zur Schau stellen, allein gehen, werden grundsätzlich nach Ausweispapieren gefragt, im Zentrum, am Bahnhof oder vor offiziellen Gebäuden sogar von Zivis. Zu den Ironien der Geschichte gehört, daß auch sie mit Vollbart, üppigem Haarwuchs und auffälligen Turnschuhen getarnt sind. „Es riecht überall nach V-Leuten“, sagen Altoppositionelle, deren Urteil in dieser Frage treffsicher ist.

Auch den Taxifahrern ist nicht zu trauen. Vor dem einstigen Komintern-Sitz, dem heutigen Hotel Moskva harrt den ganzen Montag über eine jugendliche Schar in einem Sitzstreik aus. Sie fordern Freiheit für alle politischen Gefangenen und wieder Rock im Radio, ihr Jugendprogramm „B-92“ soll wieder auf Sendung gehen. Denn, dies können sich Jugendliche in anderen Ländern des Ostens inzwischen gar nicht mehr vorstellen, in den Medien Serbiens dudelt tagaus tagein Volksmusik, das äußere Zeichen für die nationale Wiedererweckung. Nein, sie seien keine Anhänger des ultrarechten Oppositionsführers Vuk Draskovic, erklären einige der Sitzstreikenden, die in der Nacht zum Sonntag die Stadt in Atem hielten. „Wir sind die „Hooligans, vor denen jeder warnt“. Wenn ein Taxi scharf an ihnen auf der Marschall Tito Avenue vorbeifährt und hupt, der Fahrer die Finger zum Victory-Zeichen hebt, bleibt man trotz des zur Schau gestellten Selbstbewußtseins vorsichtig. Diese Jugendlichen wissen, daß eine Taxilizenz zu erhalten und Spitzeldienste zu leisten, oftmals gleichzusetzen sind.

Weniger mißtrauisch zeigt man sich dagegen in den unzähligen Demonstrationsgrüppchen, die noch am Montagvormittag immer wieder in der Innenstadt zu sehen sind. Einmal ist es eine Gruppe von Lehrern oder Beamten, ein anderes Mal eine Betriebsgruppe die ihren Protest über den Armeeinsatz, über das Durchgreifen des Präsidenten Slobodan Milosevic zeigen wollen. Es sind buntgewürfelte Menschenzüge, auch die starken Polizeipatrouillien lassen sie passieren. Sie schwenken alte serbische Fahnen, singen Volksweisen, tragen Transparente mit sich in denen die Freilassung der Oppositionsführer Vuk Draskovic und Jovan Marjanovi gefordert wird. Immer wieder stellen sich diesen Zügen Milosevic-Anhänger entgegen. Bald verwickeln sich beide Seiten in lange Diskussionen. Manchmal werden die so heftig geführt, daß man glauben möchte, ständen nicht in unmittelbarer Nähe Uniformierte, käme es zur Prügelei.

Die gleichgeschaltete Presse heizt die Spannungen der Belgrader auch heftig an. „Hooligans“ provozierten serbischen Brudermord, behauptet die 'Politika‘ und andere Tageszeitungen stehen mit reißerischen Schlagzeilen nicht nach. 'Politika espres‘ glaubt gar herausgefunden zu haben, ausländische Kräfte und Journalisten versuchten das serbische Volk zu spalten, subtil seien die Mittel dieser Spione wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr.

Das sind Sätze, die von manch einem Passanten gedankenlos nachgeplappert werden. An Zeitungskiosken und in den wenigen geöffneten Kaffeehäusern sind die Demonstrationen Dauerthema. Und manche meinen, nur der Armee könne man noch vertrauen. Der „Draskovic, der solle im Gefängnis erst mal zur Vernunft kommen“, meint einer, solange solle er hinter Gittern sitzen. „Denn was heute Serbien braucht, daß ist Geschlossenheit, Einheit, Brüderlichkeit.“ Noch sei die Zeit für demokratische Experimente nicht gekommen. In einer Zeit, in der „abtrünnige“ Republiken Jugoslawien zerstörten, da müsse erst einmal das Land erhalten werden.

Der Jubel, der in der Nacht zum Montag im Belgrader Universitätsviertel ausbrach, als die Hundertschaften und die Panzer wieder zurück in die Kaserne fuhren, wird von der Mehrheit der Belgrader nicht geteilt. Zwar stünden sie nicht bedingungslos hinter Milosevic, erklären viele, aber die Jugend sei viel zu weit gegangen. Der ginge es nur um Krawall. Wie anders sei es zu erklären, daß mitten in der Nacht, Minuten nach dem Abzug der Panzereinheiten Tausende Jugendliche zum Happening auf die Straße strömten.

Doch bevor Sektkorken knallen konnten, kamen paramilitärische Polizeieinheiten mit Tränengassalven zurück. Es roch noch morgens ätzend nach Gas im Stadtzentrum. Kompromisse sind nicht in Sicht. Milosevic will „alle Unruhestifter gnadenlos“ ('Politika‘) zur Rechenschaft ziehen, gleichgültig, ob sie Abgeordnete mit politischer Imunität seien oder „einfache Hooligans“.