Spenden aus dem Mutterleib

■ Die Verpflanzung von fetalem Gewebe gehört zu den heikelsten Verfahren der Transplantationschirurgie

Die Verpflanzung von Nervengewebe der abgestoßenen oder abgetriebenen Leibesfrucht in das Gehirn oder die Bauchspeicheldrüse eines Kranken gehört wohl zu den umstrittensten Verfahren der Transplantationschirurgie. Umstritten nicht nur, weil der noch ungeborene Spender noch kein Rechtssubjekt ist und daher seine Zustimmung nicht verweigern kann, sondern weil auch der therapeutische Nutzen bisher nur begrenzt ist: Bei der Parkinsonschen Krankheit (Schüttellähmung) bessern sich zwar die Krankheitssymptome, doch die Krankheitsursache selbst wird nicht beseitigt. Der Erfolg ist nicht von Dauer, es bleiben nur Nebenwirkungen wie eine Veränderung des Immunstatus, was zu einer höheren Krankheitsanfälligkeit führt. Der Schaden für die betroffenen „Fötusspenderinnen“, für ihre Familie, aber auch für die Gesellschaft ist noch nicht absehbar. Hier werden ethische Wertvorstellungen aufgeweicht und das hippokratische Weltbild der Medizin in Frage gestellt.

Bereits 1984 geriet die Verpflanzung eines artfremden Spenderorgans in die Schlagzeilen, als einem Baby ein Pavianherz verpflanzt wurde, um die Wartezeit bis ein geeignetes menschliches Spenderorgan gefunden war, zu überbrücken. Das Baby starb wie die zahllosen keimfrei im Keller gehaltenen Paviane, die im Rahmen der vorbereitenden Studie verbraucht wurden. Wie komplex die ethischen Probleme sind, wie sehr sie an die Grundfesten des ärztlichen Berufsstandes rühren, wird daran deutlich, daß der Hippokratische Eid die Ärzte verpflichtet, dem Patienten keinen Schaden zuzufügen. „Es ist unmöglich“, führte Robert M. Veatch, Professor für medizinische Ethik an der Georgetown University in Washington, während eines Kongresses in München aus, „für alle unsere Patienten das zu tun, was für jeden das beste ist“.

US-Wissenschaftler brechen Inzesttabu

Im Dienst des medizinischen Fortschritts wurde in den Vereinigten Staaten bereits das Inzesttabu gebrochen, als eine Frau, die ihrem an Schüttellähmung erkrankten Vater fetales Gewebe spenden wollte, zunächst — um die Gewebeverträglichkeit zu erhöhen und die Gefahr einer Immunabstoßungsreaktion zu vermindern —, mit dem Samen des Vaters künstlich befruchtet wurde. Nach der gezielten Abtreibung wurde dem Vater das aufbereitete fetale Gewebe in das für die Dopaminproduktion verantwortliche Hirnareal implantiert.

Etwa ein Prozent aller Menschen über sechzig Jahre erkranken in der Bundesrepublik an der Parkinsonschen Krankheit. Als Folge einer gestörten Produktion des Botenstoffes Dopamin im Gehirn, der die motorischen Bewegungen reguliert, verlieren die Erkrankten die Kontrolle über ihren Bewegungsablauf: Sie leiden fortschreitend unter Zittern und unsicherem Gang. Auch bei der Alzheimerschen Krankheit und bestimmten Anfallsleiden wird die Transplantation von fetalem Nervengewebe als vielversprechende Behandlungsmethode diskutiert.

Als weiteres Anwendungsgebiet gilt die Zuckerkrankheit, von der drei Prozent der Bevölkerung in den Industriestaaten betroffen sind. Die vererbbare Anlage zu Diabetes liegt jedoch weitaus höher. Derzeit sind 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung erblich vorbelastet und könnten, nicht auf Grund veränderter Ernährungsgewohnheiten, an Diabetes erkranken. Die Wissenschaftler erwarten hier einen weiteren Anstieg.

Konventionelle Behandlungen — die insulinproduzierende Bauchspeicheldrüse transplantieren oder lebenslang Injektionen von Insulin aus gentechnisch gewonnenem tierischen Insulin —, scheinen längerfristig überholt zu werden.

Daß die Transplantation von fetalem Gewebe der Bauchspeicheldrüse als zukunftsträchtige Behandlung bei der Zuckerkrankheit in Erwägung gezogen wird, weist darauf hin, daß die Wissenschaftler mit dieser neuen Technik bewährte Verfahren ersetzen wollen, um sich die Eigenschaften fetaler Zellen zunutze zu machen: Sie teilen sich außergewöhnlich rasch und lassen sich auch im Reagenzglas vermehren. Eine Diabetikerin könnte in Zukunft mit insulinproduzierenden Zellen von eigenem fetalen Gewebe behandelt werden. — Eine Untersuchung des Münchner Neurologen Wolfgang Oertel ergab, daß weltweit bisher 400 Parkinsonkranke mit fetalem Nervengewebe transplantiert wurden. Oertel vermutet jedoch eine Dunkelziffer, die diese offizielle Statistik um das Doppelte übersteigt.

Schweden dämpfen die Erwartungen

Die Ergebnisse einer schwedischen Studie dämpfen allerdings die zunächst spektakulären Erfolgsmeldungen, die sich um diese neue Transplantationstechnik ranken. Parkinsonkranken wurde das Mittelhirngewebe von vier Feten implantiert, ohne daß sich die Symptome merklich besserten. Bei anderen Patienten gingen die motorischen Auffälligkeiten nur an der Körperseite zurück, die dem stereotaktischen Eingriff am Gehirn gegenüberlag.

Daß der Arzt oft unter dem Druck steht einem einzelnen Kranken zu helfen oder lebensrettende Maßnahmen einzuleiten, behindert eine grundsätzliche Reflexion über die ethischen Folgen dieser Transplantationstechnik. Sie könnte in Zukunft dazu führen, daß die Leibesfrucht als Gewebebank genutzt wird und Frauen aus finanziellen Erwägungen eine Abtreibung vornehmen lassen oder, Blutspendern vergleichbar, ständige Spenderinnen fetalen Gewebes werden.

Obwohl die Transplantation von fetalem Nervengewebe in der Bundesrepublik, nicht zuletzt wegen juristischer Probleme und ethischer Skrupel als Folge der Vorbelastung der deutschen Medizin mit ihren Menschenversuchen in Konzentrationslagern, klinisch noch nicht angewendet wird, ist die Grundlagenforschung in vollem Gang.

Dilemma entzündet sich am 218er

Ob der Gesetzgeber die durch die neuen Transplantationsverfahren aufgeworfenen Fragen im Rahmen des Embryonenschutzgesetzes oder eines noch zu schaffenden Transplantationsgesetzes regeln wird, das sich eventuell an den schwedischen Richtlinien zur neuronalen Transplantationstherapie orientiert, ist noch unklar. Vorerst beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer mit den ethischen Problemen der „Forschung und klinischen Verwendung von fetalem Gewebe“.

Das Dilemma entzündet sich hierzulande zunächst am Abtreibungsparagraphen. Eine Pattsituation, wie sie bereits am Tierschutzgesetz deutlich wurde, könnte sich wiederholen: Der Schutz des Tieres, die Forderung, ihm keine Leiden zuzufügen, kann jederzeit außer Kraft gesetzt werden, wenn dies aus wissenschaftlichen und medizinischen Gründen unumgänglich ist. Daß jener Wissenschaftler, der die Notwendigkeit seines Forschungsvorhabens nicht zwingend zu begründen weiß, sein Handwerk schlecht verstünde, ist jedem Beteiligten klar. Wegen der außerordentlichen Spezialisierung ist es selbst für Experten schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. TierschützerInnen sprechen daher von einem Gummiparagraphen.

Bei Transplantation fetalen Gewebes ergibt sich möglicherweise bald eine ähnliche Situation. Obwohl die Experten vor einem Mißbrauch der Methode, einer „Embryonenzüchtung“ warnen, ist man sich weitgehend einig, daß der Gesetzgeber den Handlungsspielraum der Wissenschaftler nicht einengen darf. Nur wenn die Kriterien für die medizinische Indikation erweitert, der Fetus, dem Tiermodell in der medizinischen Forschung vergleichbar, zum möglichen Forschungsobjekt und Gewebespender definiert würde, könnte die Forderung der Ethiker nach dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ bei Bedarf außer Kraft gesetzt werden. Ein Szenario der doppelten Buchführung zeichnet sich ab. Frauen wird es weiterhin verwehrt, über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Gleichzeitig wird, wie dies in den schwedischen Richtlinien anklingt, die medizinische Indikation liberalisiert, um Transplantationen fetalen Gewebes zu ermöglichen. Da jedoch gerade in der restaurativen Ecke die Medizin- und Fortschrittsgläubigkeit noch besonders ungebrochen auftritt, ist hier in Zukunft wohl einiges an Konflikten zu erwarten. Hanna Rheinz