Kreuzt der Kommerz auf, kratzt die Elbe ab

Werbung verheißt lukrative Elbekreuzfahrten/ Kostenpunkt 4.000 DM/ Von Ökologie ist in den Spots, die in „besseren“ Hotels ausliegen, nirgends die Rede. Ein versehentliches Versäumnis?/ Die Schiffe: bis zu 100 Meter lang und 1.600 PS  ■ Von Hans-Peter Gensichen

Wittenberg (taz) — Bald sollen sie beginnen: Elbekreuzfahrten. Westdeutsche Reedereien bieten sie an. Abgesehen von dem leicht militärischen Klang ein attraktives Angebot. Wer 4.000 DM hinblättern kann (in Vor- und Nachsaison teilweise „nur“ die Hälfte), wird in Sechs-Tagestouren nach Meißen, Magdeburg, Wittenberg und anderen touristischen Magneten gebracht, aber auch zu solchen unentdeckteren Perlen wie Tangermünde. Und dies auf so humanistisch klingenden Schiffen wie auf der „Clara Schumann“ oder der „Theodor Fontane“. Wem dies lieber ist, kann aber auch die „Prinzessin von Preußen“ nehmen.

Von Ökologie ist in den Werbebroschüren, die in „besseren“ Hotels ausliegen, nirgends die Rede. Ein versehentliches Versäumnis? Der Blick auf die Naturverträglichkeit von Planungen und Investitionen ist heute obligatorisch geworden und soll darum hier nachgeholt werden.

Die Elbekreuzfahrten sollen mit Schiffen von bis zu 100 Metern Länge durchgeführt werden, die eine Motorleistung bis zu 1.600 PS haben. Das sind 100 Prozent mehr Leistung als bislang auf der Elbe üblich sind. Schiffe mit dieser Leistung befahren zwar auch den Rhein und sogar die Mosel. Aber die Elbe ist eben die Elbe: anders ausgebaut, mit unkanalisiertem Lauf, geringerer Wasserführung und -tiefe.

1.600 PS auf der Elbe mit Schiffen dieser Größe — das kann mehreres bedeuten:

—Erhebliche Wasserbewegungen am Ufer während der Vorüberfahrt. Sog- und Schubwirkungen, Beeinträchtigungen der Uferfauna, aber auch der Buhnen, die gegenwärtig in teilweise desolatem Zustand sind.

—Aufwirbeln der auf dem Elbeboden abgesetzten Gifte und Schwermetalle mit Schadwirkungen im Uferbereich.

—Zunehmende Erosion des Elbegrundes und damit beschleunigte Vertiefung der Fahrrinne, was schließlich zum Absinken des Wasserspiegels führen muß.

Das kann zweierlei mit sich bringen: Verflachung in den Häfen (denn dort findet ja keine Erosion statt), so daß ständig zusätzliche Ausbaggerungen erfoderlich werden. Bedrohlicher als dies kann folgendes sein: Das Absinken des Wasserspiegels wird zum Absinken des Grundwasserspiegels in Elbtal und Elbaue führen — zwei einmaligen und unter Schutz stehenden Lebensräumen. Es ist klar, daß bereits ein geringfügiges Absinken zu erheblichen Veränderungen in der Flora, das heißt also im Charakter dieser Landschaften führen wird. Da sind irreversible Schäden weit über den Elbefluß hinaus vorprogrammiert. Bei den durchfahrenen Gebieten handelt es sich aber nicht nur um Landschaftsschutz-, sondern teilweise um Naturschutzgebiete und um Biosphärenreservate!

Die genannten Aspekte sprechen bereits eine eindeutige Sprache: All die angeführten Möglichkeiten müssen überprüft werden. Erst danach kann über ein Ja oder ein Nein zu den geplanten Unternehmungen entschieden werden.

Geprüft werden muß auch folgendes: Ist das Zeitregime, das die bereits veröffentlichten Fahrpläne verraten, ungefährlich? Momentan sieht es so aus, als sei dies nicht der Fall. Auf jeden Fall müssen die Fahrzeiten präzise eingehalten werden, weil teilweise kombinierte Schiff- Bus-Touren vorgesehen sind. Was aber geschieht, wenn die Zeit drängt und wenn man wegen des niedrigen Wasserstandes eigentlich nur mit halber Kraft fahren dürfte (wegen der erwähnten Gefahr von Erosionen)? Oder wenn an Flußbiegungen Schiffe entgegenkommen und man — wegen der Schmalheit der Elbe und der Größe des Schiffes — warten müßte? Dann liegt eine riskante Fahrweise sehr nahe — riskant für die Passagiere und gefährlich für die Elbe.

Einen Bewohner der Ex-DDR macht noch etwas anderes ärgerlich: Die Reedereien hatten bereits Ende 1990 Fahrpläne und Werbematerial vorgelegt und damit vollendete Tatsachen geschaffen, als noch keinerlei Absprachen mit den zuständigen und betroffenen Stellen getroffen waren. Dadurch sahen sich zum Beispiel Stadtverwaltungen gezwungen, holterdipolter Schiffsanlegestellen erheblichen Ausmaßes errichten zu lassen (als ob es jetzt nichts wichtigeres gäbe) — und dies unter Umständen an Stellen, die dafür nicht optimal sind. In Unkenntnis der neuen Rechtsverhältnisse unterlassen sie es, Umweltverträglichkeitsprüfungen oder Raumordnungsverfahren einzuleiten, obwohl diese nötig wären. Aber inzwischen bilden sich Basisinitiativen. Wenn die Regierenden die Vorgänge nicht überprüfen, wenn sie gegen vorhersehbare Umweltschädigungen nichts tun, dann muß von unten gehandelt werden. Und nicht nur die Landesregierungen, auch die internationale Elbeschutzkommission hätte hier eine Aufgabe und nimmt sie nicht wahr. Die Elbeschutzinitiativen stellen die oben genannten Fragen. Sie stellen sie den Regierungen und sie werden sie dann jedem Reisenden stellen. Sie fordern, daß alle Projekte von Elbekreuzfahrten erst genaustens auf ihre Naturverträglichkeit überprüft werden und daß sie danach — also frühesten 1992 — entweder verboten oder nach naturverträglichen Maßstäben durchgeführt werden. Vielleicht regeln aber die schon erwarteten Passagiere das Problem — nach der Devise: „Stell Dir vor, es ist Elbekreuzfahrt und keiner geht hin...“